„Studieren oder frittieren“

Autorentheatertage 2019 – Nora Abdel-Maksoud: Café Populaire, Theater am Neumarkt, Zürich (Regie: Nora Abdel-Maksoud)

Von Sascha Krieger

Besucher*innen des Berliner Maxim Gorki Theaters kennen Nora Abdel-Maksoud spätestens seit The Making-of als ebenso scharfzüngige wie unbarmherzige Entlarverin (post)moderner bürgerlicher Pseudo-Aufgeklärtheit und der Durchlässigkeit zwischen vermeintlich linker Toleranz und real rechtem Populismus. Dabei paart sie beste Unterhaltung mit schmerzenden Nadelstichen gegen ihr Publikum, heiter serviert, schonungslos ausgeführt. Das funktioniert nicht nur im politisch heißen Berlin, sondern auch im beschaulicheren Zürich, wie Café Populaire eindrucksvoll vorführt. Diesmal nimmt sich Abdel-Maksoud das Phänomen des Klassismus vor, der Abwertung vermeintlich „unterer“ Gesellschaftsschichten durch die, die sich für gebildet, zivilisiert und tolerant halten. Und natürlich der Meinung sind, Klassismus gäbe es zumindest bei ihnen überhaupt gar nicht. In kitschiges Rosa getaucht ist die Bühne, ein rechteckiger Kasten von so widerwärtiger Harmonieseligkeit, dass es gar nicht anders kann, als hier zu krachen. Das Rechteck ist YouTube-Screen und Varietébühne, ein Schlachtfeld der Deutungshoheiten, die schnell sehr viel düsterer werden als ihr bonbonfriedliches Umfeld.

Bild: Barbara Braun

Protagonistin ist Svenja, studierte Kulturwissenschaftlerin, die gern als politisch aufklärerische und genderneutrale Comedienne und Satirikerin „Humormismus“, Humor verstanden als Waffe für den Humanismus verbreiten möchte, sich zunächst aber noch als erfolgloser Hospizclown und YouTuberin mit acht Abonnent*innen durchschlagen muss. Ihre Chance kommt, als die Goldene Möwe, das beste Haus am Platz und Bühne für die örtliche (Klein)Kunstszene zum Verkauf steht. Dorthin hat sie es noch nicht geschafft, ihre bemühten und stets alle denkbaren Sensibilitäten einberechnenden Witzchen machen bald klar, warum. Doch das ist nicht ihre Geschichte, nicht Eva Bays, die Svenja als selbstgerecht unsicheres wandelndes Klischee spielt, so inbrünstig, dass seine Plattheit die Authentizität atmet, die diesem Stereotyp gebührt. Nein, Erzählerin ast Marie Bonnet als „Der Don“, Svenjas ausbrechendes politisch inkorrektes, armenfeindliches, sozial diskriminierendes Alter Ego, die Svenjas Selbstbetrug entlarvt, indem sie sie Sachen sagen lässt, die kaum akzeptabel, aber umso ehrlicher sind. So ziehen sie gemeinsam im Bewerbungsvideo über „Asi-Prolls“ her, was Svenja anschließend höchst peinlich ist, ihr aber viele neue Follower beschert.

Wie Bonnet dabei scharfzüngig und klarsichtig argumentiert und Bay von einer Rolle in die andere fällt und dabei oft auch in Zwischenräume purzelt, ist allein in seiner virtuosen Präzision eindrucksvoll. Schnell kommen Risse in die zivilisierte Fassade, wird klar, wie sehr auch Svenja dem Klassismus verfallen ist, ihre eigenen Bildungs- und Kultivierungsvorsprung vor sich herträgt, wie herablassend sie sich verhält gegen Menschen wie Aram (Maximilian Kraus), den sie in schleimigstem Unterstützungs- und Gleichheitspathos ihr „Dienstleistungsproletariat“ nennt, bevor sich dieser ebenfalls als Fake herausstellt, als Wirtschaftspsychologe migrantischer Herkunft, auch ein klassistischer Spieler, als nicht-weiß Gelesener aber weniger privilegiert, ein Zwischen-den-Stühlen-Sitzer. Aus ihren eingeübten Rollen gefallen buhlen sie um die Schlüssel zur „Möwe“ und damit zum Aufstieg und um die Gunst von Altenheimbewohnerin und Alt-Marxistin Püppi, der hierbei eine Schlüsselrolle zukommt. Simon Brusis spielt sie als bärbeißige Überzeugungstäterin, die gegen die Verwandlungs- und Ego-Spiele der anderen keine Chance hat.

Nora Abdel-Maksoud macht die Bühne mittels Lichtbalken immer wieder zum Video- und Split-Screen, lässt die, die gerade nicht im Licht stehen, erstarren – nur wer Öffentlichkeit hat, existiert, „die im Dunkeln sieht man nicht“. Hebt der Abend noch recht gemächlich an, wie eine milde Satirenummer in einem ambitionierten Kabarett, gewinnt er schnell an Fahrt, steigert sich hinein in ein Crescendo an Wendungen, die zu kontrollieren das ultimative Ziel und der direkte Weg zur Macht ist. Genüsslich werden klassistische Wahrheiten hinter pseudo-wokem Toleranzgeschwafel aufgedeckt und vorgeführt, wie sehr das bürgerliche „Gutmenschentum“ oft noch vom Zwang sozialer Distinktion bestimmt ist. Man kann sich nur solidarisch zeigen, so lange man sich überlegen fühlt – tut man dies nicht mehr, wird es sehr schnell sehr hässlich. Wie stets bei Abdel-Maksound geschieht das in einer Mischung aus Frontalerzählung und Spiel, wobei die Gleichzeitigkeiten, die Mehrfachebenen ihrer Berliner Arbeiten etwas fehlen. Hier passiert immer nur eines, Narration oder Spiel, Repräsentation oder metatheatrale Illusionsdurchbrechung. Wo in The Making-of und The Sequel das filmische Handwerk als Mittel der Manipulation thematisiert wurde, ist es hier das Als-ob des Theaters. Die Spieler*innen hadern mit ihren Rollen, ihrem Text, der eindeutigen Moral des zu Spielenden, wissend um den Safe Space, in dem sie sich bewegen.

„Warum man hier so gut Witze über Arme machen kann?“, fragt Bay ganz am Schluss. „Weil sie sich die Karte eh nicht leisten können!“ So endet der Abend mit einem Zynismus, der an Ehrlichkeit nicht zu überbieten ist. Zuvor hatte Svenja, die irgendwann den „Don“ rechts überholt, Spielideen wie „Studieren oder Frittieren“ vorgeschlagen, die den Bildungsnachteil sozial weniger Privilegierter – ebenso deutlich gemacht durch die Danksagung der Protagonistin an alle, die sich ihren Bildungsweg nicht leisten konnten und ihn dadurch erst möglich machten – sichtbar werden lassen sollen. Café Populaire reißt denen, die sich da im Zuschauer*innen-Saal versammeln, die Maske herunter, wissend, dass die Selbstrechtfertigungen ihre Arbeit tun und den Spiegel, der hier vorgehalten wird, als Portrait aller anderen oder bestenfalls als milde Kritik und Aufforderung, noch toleranter und aufgeklärter zu werden, uminterpretiert werden. Das ist schon eingepreist, die Unfähigkeit, wirklich etwas zu ändern, mitgedacht und thematisiert in den lustlos resignierten Momenten des Aus-der-Rolle-Fallens. Wenn am Ende nur ein zunächst nicht bemerktes Stachelchen im Fleisch stecken bleibt, bei der einen oder andere Spitze ein wenig Unwohlsein aufkommt, wäre schon viel gewonnen. Und vielleicht entzündet sich die geschlagene kaum sichtbare Wunde ja irgendwann. Ein Pflaster hat dieser hochkomische, stets unterhaltsame und ungefiltert boshafte Abend jedenfalls nicht zu bieten.

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