„Wem gehört der Zeppelin?“

Frei nach Texten von Ödön von Horvath: Zeppelin, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Herbert Fritsch)

Von Sascha Krieger

„Wem gehört der Zeppelin?“, fragt Bastian Reiber einmal, mit unverstellter Stimme, ins Publikum hinein, ein kurzer Moment des Aus-der-Rolle-Fallens. Da ist der Abend schon weit fortgeschritten, jener erste, den Herbert Fritsch, der aus dem Paradies „seiner“ Volksbühne geworfene, an seiner neuen (Exil-)Heimat Schaubühne inszenieren wird. Es ist natürlich seiner, dieser Zeppelin oder besser sein Metallskelett, das vor blass himmelblauem Hintergrund da Bühnenbild dieses Auftakts bildet, der auch die erste Spielzeitpremiere ist – so wichtig ist Thomas Ostermeiers Haus dieser „Neuzugang“. Der Bildermaler des Absurden, der Großmeister des grellen Klamauks, der große sinnstiftende Sinnverweigerer – passt er eigentlich hierhin, mitten in den gesetzten Westen Berlins, den Ort des gepflegten Geschichtenerzählens, immer eine Spur glatter, ein wenig zurückhaltender, etwas stilsicherer als anderswo in dieser Stadt? Kann er diese in über 20 Jahren Ostermeier zuweilen doch etwas routiniert gewordene Spielstätte mit neuem, subversiven Leben füllen oder wird der Kompromisslose hier weniger wild, milder, subtiler werden. Eine Frage, die dieser Abend noch nicht endgültig beantworten kann. Wenn die Nadel jedoch zumindest leicht in eine Richtung ausschlägt, dann wäre es letztere.

Bild: Thomas Aurin

Es ist ein ungewöhnlich ruhiger Fritsch-Abend geworden und ein in seinen Bühnenmitteln reduzierter. Da ist das Zeppelinskelett, das sich im letzten Drittel zumindest ein wenig vertikal bewegt, am linken Rand ein Pult, an dem Ingo Günther steht und eine Mischung aus Synthie-Klängen und metallischer Perkussion – erzeugt am Zeppelin-Gerippe – in den Raum schickt. Dies ist der Beginn, ein großartiger Effekt, der den Ton setzt. Denn bald kommen sie, die grellgeschminkten und schrill gekleideten Fritsch-Zombies. Einer spielt mit sich Fußball, wird von einer Kindermeute umgerannt, bevor diese sich ihm einer nach dem anderen anschließen. Auf die leere mechanische Welt, übernommen von der kalten Effizienz einer Maschinerie, die ohne den Menschen nur noch Selbstzweck ist, folgt eine kurze absurde Utopie, die bald im Zucken der Mensch-Automaten erstirbt. Später wird Werner Eng an der Rampe die Geschichte vom fußballbegeisterten Jungen erzählen, der von einem Fieber überwältigt nun einem nie endenden Fußballspiel im Himmel beiwohnt. Das Glück ist flüchtig und trügerisch und im Diesseits nicht zu haben.

Damit ist Fritsch mitten in der Welt dessen, von dem er sich diesmal die Texte borgt. Ödön von Horvath ist es, der dystopische Tiefenschürfer menschlicher Abgründe. Fritsch nutzt Texte aus dessen Nachlass, zum Teil Vorarbeiten zu einigen seiner bekanntesten Werke, seziert sie, pflückt sie auseinander, bis Textfetzen übrig bleiben, die er wieder zusammenfügt. Figurenreste erscheinen. Geschlagene, Besiegte. Arbeitslose, die ihren Körper an die Anatomie oder andere Zahlende verkaufen, Sterbende, Prostituierte, Ausgestellte einer „Freak-Show“, Menschen, die nichts vom Leben zu erwarten haben und daher in den Himmel blicken. Den die Zeppeline erobert haben, Trugbilder der Freiheit, in die sie sich hineinsehnen. Doch die sind wenig mehr als eine Illusion, ein Stahlskelett, in das man sich zwängt, aus dem man herausburzelt, an dem man hängt oder welches man einem absurden Atlas gleicht stemmt. Am Ende stehen sie drinnen, der Geister-Zeppelin hebt ab, man blickt selig in die Ferne. Doch die Gesichter sind erstarrt, eingefroren, tot. Minutenlang geht das so. Das Publikum wirkt zunehmend verunsichert, versucht es mehrfach mit dem Schlussapplaus, bricht wieder ab, probiert es, scheuer, erneut. Ein hübsches Spiel mit der Erwartung. Aber auch ein arg plakatives Schlussbild.

Wie der Abend ohnehin unter einer für Fritsch ungewöhnlichen Eindeutigkeit leidet. Horvaths pessimistische Weltsicht verarbeitet er zu einem dystopischen Geistertanz, in dem seine diesmal arg blutleeren Wahnsinnigen wie Untote agieren, Roboter gar, fremd bestimmt. Die Dialogfetzen sind austauschbar, die „Figuren“ sowieso. Immer wider werden sie zu Automaten, bewegen sich im Gleichklang oder in Gruppenchorografien, als würde einer die Fäden ziehen. Sie erstarren, wie, wenn die Batterie alle wäre. Alle Lebendigkeit ist ihnen ausgetrieben, diesen Aussortiertem an die Seite Gestellten, denen billige Träume verkauft werden, denen sie anhängen, weil das jemand so bestimmt. Dabei ist diese Dystopie zeitlich noch stärker verankert, als das selbst in eher konservativen Horvath-Inszenierungen oft der Fall ist. Die Zombies sind so lange untot, dass sich ihre lebendigen Vorgänger kaum mehr erahnen lassen. Und die Endzeit, in der sie stecken, ist nicht unsere, ist eine lang vergangene, von der Fritsch den Zuschauer nicht zu überzeugen vermag, dass sie etwas mit ihm – mit uns zu tun haben.

Und so bleibt die Zappelei, bleiben die verdrehten Gliedmaßen und verzerrten Gesichter in einem erzählerischen Morast stecken, in den man sich lieber nicht hineinwagt. Fritsch stellt aus – eine dystopische Vergangenheit wie seine eigenen narrativen Mittel – aber er erzählt nicht. Die Geschichten, die er hinter dem Dada-Blödsinn von der die mann, dem Klaviergetrommel von Pfusch oder dem reinen Wortklang von Murmel Murmel hervorholte, die absurd schmerzhaften und zuweilen auch erhebenden Wahrheiten, die er fand – sie fehlen hier. Hier ist alles plakative Textarbeit und Illustration. der Mensch als fremdbestimmt und verloren, die gekauften Träume – vom Fußball bis zum Zeppelin – sein Tod. Ein Abend, der im ersten Gang stecken bleibt und zudem vergisst, die Handbremse zu lösen. „Irgendwann, da werden sie das alles verstehen“, heißt es in einer typisch Fritschschen Wendung einmal. Ja, tun wir. Sofort. Leider. „Der Zeppelin ist natürlich ein Symbol“, sagt einer. Ja, eben.

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