Im Darm der Sprache

Nach Texten von Konrad Bayer: der die mann, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: Herbert Fritsch)

Von Sascha Krieger

Mit der Sprache ist das ja bekanntlich so eine Sache: Sie soll Menschen verbinden, ihnen Interaktion möglich machen, ist eine essenzielle Voraussetzung für das, was wir Gesellschaft nennen. Sie ist eine Übereinkunft, die es uns erlaubt, Gebrochenes und Gemeintes zu korrelieren. Auch diese Rezension – wie überhaupt das Konzept einer Theaterkritik oder auch das Theater selbst – gäbe es ohne sie nicht. Doch Sprache kann auch trennen, sie kann manipulieren, ist Herrschaftsmittel und Folterinstrument, Waffe und Unterdrückungsmittel. Oft trennt sie mehr als sie verbindet, schließt sie aus und verkommt sie für den Nichteingeweihten zu wenig mehr als einem jeder Bedeutung beraubten Klangbrei. Genau so erfahren wir Sprache, wenn wir uns mit den Texten der Dadaisten befassen – und auch jenen ihrer Nachfolger der „Wiener Schule“, Konrad Bayer etwa. Bei ihm wir Sprache zum Selbstzweck, dreht sich um die eigene Achse, mutiert zur leeren Hülle und stellt ihre Künstlichkeit aggressiv aus: etwa in den Begriffskaskaden, in denen sich Silben aus einem Wort befreien und ins darauffolgende stürzen, in den Texten, in denen alle Substantive durch ein Wort (zum Beispiel „Karl“) ersetzt werden und ein wunderbar bedeutugshaltiges Konvolut zum Sprachslapstick wird. Andere Male wird Sprache zum reinen Klangmaterial, werden Worte nicht nach ihrer Bedeutung, sondern ihrer klanglichen Nähe zusammengereiht. Und in wieder anderen Texten, dreht sich eine Geschichte so lange im Kreis oder verteilt sich auf so viele sich immer wieder multiplizierende Nebenschauplätze, dass jedes Sinnversprechen implodiert. Bayer ist ein großer Sprachskeptiker und er hat in Regisseur Herbert Fritsch einen Gleichgesinnten gefunden. Wenn beide zusammenkommen, kann eigentlich nur Irrwitziges entstehen. Oder – wie in diesem Fall – Großes.

Foto: Sascha Krieger
Foto: Sascha Krieger

Fritsch betrachtet Sprache hier als bunte, doch weitgehend leere Show. Und so hat er sich eine wunderbar abstrakte Showbühne gebaut – mit Spiegelboden, einsamer roter Showtreppe, die nirgendwohin führt, und einem goldgelben Riesengrammophontrichter. Hier drehen die Darsteller zunächst stumme Runden, gruppieren sich – gekleidet in gummiglänzend grellbunte Anzüge, die Gesichter ebenso glänzend – zu immer neuen Showaufstellungen. Auch später, die Schauspieler sind längst in mausgraue Anzüge und Beatles-Frisuren geschlüpft, stellen sie sich immer wieder auf: zu Backgroundchören, Chorus-Lines und großer Oper. Überhaupt wird hier durchgängig verformt, wechseln sich Conférencier-Ansagen mit Standup-Nummer, Opernarien, Duo-Routinen und Slapstickeinlagen. Fritsch übersetzt Bayers Sprachdekonstruktion in eine visuell aufregende Varietérevue. Alles ist hier Show und Sprache wenig mehr als ein abgehalfterter Comedian. Lustvoll und ohne jede Rücksicht auf sich selbst wirft sich das Ensemble in die Fritsch-Bayersche-Sprach-Show-Maschine, dreht sich und uns durch den theatralen Fleischwolf und kommt heraus mit Einsichten über die Künstlichkeit und Biegsamkeit der Mittel, derer wir uns bedienen, um uns und anderen Sinn vorzutäuschen, die alles andere als neu sind. Und doch treffen sie mit einer solchen Wucht, als würde man sie gerade erst entdecken.

Letztlich geschieht zwei Stunden lang wenig mehr, als dass Herbert Fritsch seine Darsteller Bayers Texte vortragen lässt. Doch wie sie das machen, wie sie Varieté und Comedy und Slapstick, Musical, Oper und Tragödie, große Geste und lächerlichste Witze kombinieren, ineinander stülpen, sich und uns um die Ohren werfen, ist atemberaubend. Es ist im besten Sinn des Wortes eine große Sprach-Show geworden, in der Sprache selbst Gegenstand, Instrument, Darsteller und Bühne in einem ist. So leer die eingefrorenen Gesichter zu Beginn sind, so leer bleiben auch die virtuosen Sprachkonstrukte. Und sind doch reicher, als vieles, von dem, was wir Tag für Tag absondern und für so ungemein wichtig halten, weil es sich seiner Beschränkung, seiner Konstruiertheit, seines Potenzials, nichts meinen zu können, bewusst ist. Das Erschreckende an Bayers texten ist ja, wie nah sie der Wirklichkeit sind, wie wenig es bedarf, sie zu bloßer Fassade zu machen. Fritsch gelingt es, dies zu übersetzen: in Bilder, Musik, Bewegung, kurz: Theater. An einer Stelle ist vom „Darm der Hirne“ die Rede. Vielleicht befinden wir uns hier im Darm der Sprache. Dessen Ausscheidungen mögen ansehnlicher und wohlriechender sein als andere, doch bleiben sie eben genau dies.

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