„Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen!“

Elfriede Jelinek: Die Schutzbefohlenen, Thalia Theater Hamburg (Regie: Nicolas Stemann) – eingeladen zum Theatertreffen 2015

Von Sascha Krieger

Elfriede Jelinek ist wütend. Wütend über die Art und Weise, wie unsere, komfortable, reiche, selbstgerechte, Gesellschaft mit jenen Umgehen, die unter Einsatz ihres Lebens versuchen zu uns zu kommen, um Schutz zu suchen und nicht mehr zu finden als etwas Leben. Ausgelöst wurde ihr neuestes Stück Die Schutzbefohlenen von den Ereignissen in Wien 2012, als Flüchtlinge in der Votivkirche Schutz suchten, über mehrere Stationen weitergereicht wurden, sich von Rechtsextremisten attackieren lassen mussten, und am Ende in so manchem Fall kaltblütig abgeschoben wurden. Zu den Abgewiesenen, so erfahren wir in einem Nebensatz, ist jeder Kontakt abgebrochen. Uns als Gesellschaft, so konstatiert Jelinek, ficht das nicht an. Ganz im Gegensatz: Der Tod, so ist sie sicher, ist kein Kollateralschaden, sondern ein legitimes Mittel, das „Flüchtlingsproblem“ zu lösen. So scharf, so dicht, so intensiv war lange kein Jelinek-Text mehr. In einem Ich, das ein Wir ist, kommen die Sprachlosen zu Wort, die „Unerhörten“, die Unsichtbarzumachenden. Aber es sind, und dessen ist sich der Text stets bewusst, eben nicht ihre Worte, sondern jene einer der Privilegierten, einer jener, die dort leben, wo jene hin wollen, welche die Freiheit verteidigen, die sie jenen verweigern.

Foto: Sascha Krieger
Foto: Sascha Krieger

Nicolas Stemann, der die Uraufführung besorgt hat, gelingt es, diese Ambivalenz wirkungsvoll zu bebildern. Ruhig und eindringlich ergießt sich der Text, so lange ihn drei weiße, männliche Darsteller sprechen. Dann kommt ein schwarzer Darsteller dazu und plötzlich gerät das schöne didaktische Konstrukt aus dem Ruder, brechen sich die Vorurteile der Wohlmeinenden ebenso Bahn, wie ihre Unwillen, Klischees und Machtverhältnisse zu verlassen. „Wir können euch nicht helfen, wir müssen euch doch spielen!“, erwehrt sich Sebastian Rudolph gegen Ende des Abends den wachsenden Forderungen der ganz realen Flüchtlingen, die Stemann hier auf die Bühne bringt und die in ihren eigenen Stimmen Jelineks Text in all seinen Brüchen, auch seiner Anmaßung erfahrbar machen. Denn dieser Text ist voller Ebenen und Untiefen – Subskription eines Aufschreis, der doch ein von der Gegenseite imaginierter ist. Stemann baut weitere Distanzierungen ein, lässt einige der drastischsten Passagen mit einschmeichelnden Melodien singen, lässt die Darsteller aus der Rolle fallen und ihren eigenen Gegenentwurf spielen. Schnell werden die drei Stühle zu wenig, ergibt sich ein Tanz des Ausstoßens, mit all der verbalen Brutalität, zu der sich auch die Gutmeinenden fähig sehen, sobald ihre Position der Selbstsicherheit gefährdet scheint.

Denn letztlich ist es die existenzielle Bedrohung, welche die Flüchtlinge repräsentieren, die wir als Gefahr wahrnehmen. Die wollen wir nicht sehen und jene, die sie verkörpern, ebenso wenig. Genüsslich stürzt sich der Text auf die Integrationsrhetorik, zerpflückt mit beißender Ironie eine österreichische Broschüre zum Zusammenleben, lässt Darsteller wie Flüchtlinge auf dem „Fundament der Werte“ tanzen, das eigentlich die Klippe ist, von der wir sie gern werfen würden. Irgendwann lässt Stemann einen Stacheldrahtzaun errichten, hinter dem die Flüchtlinge zunächst bleiben. Doch verschwindet er nicht, wenn er durchbrochen scheint: Die Flüchtlinge tragen Stacheldraht-T-Shirts, kultivierte Anwohner ziehen den Stacheldrahtvorhang zu – die Grenzen und Mauern mögen sich verschieben, doch bleibt immer klar, wer drinnen ist und wer draußen.

Das ist eindringlich und tut dem Zuschauer so weh, wie es angemessen ist, solange Stemann dem Text und seiner Ambivalenz, verkörpert auch durch die Darstellergruppen – weiße Schauspieler, afro-deutsche Schauspieler, Flüchtlinge – die sich vermischen und doch separat bleiben (wie beispielsweise auch die Untergruppe der Schauspielerinnen von ihren männlichen Kollegen), Raum gibt. Leider bleibt das nicht so, kippt das ganze in eine Materialschlacht und einen Wettstreit der Regieeinfälle , in dem Jesus zu Boden geht, die Flüchtlinge ihre Gesichter verlieren, „gute“ Migranten den ungewollten entgegengestellt werden und der Abend in einem reichlich albernen Kostümfest untergeht. Immer schaler wird denn auch der Beigeschmack, erscheinen die „echten“ Flüchtlinge zunehmend als Authentizität heuchelndes Beiwerk, scheinen sie streckenweise vom weißen Kunstwillen instrumentalisiert, entgeht die Inszenierung der Falle, von welcher der Text spricht nicht immer. Und doch sind es dann die eigenen Stimmen und Worte derer, die zuvor in den ihnen von Jelinek in den Mund gelegten Wortkaskaden unterzugehen drohten, ihre Stimme in der fremden suchen mussten, um überhaupt gehört zu werden, die am Ende bestehen und wohl auch bleiben werden. So sehr wir den Diskurs kontrollieren, die Bilder vorgeben, die Deutungshoheit beanspruchen – es bleibt etwas, das uns entgleitet, ein Leben, eine Wirklichkeit, die ihr Recht fordern. Wir können sie spielen, so sehr wir wollen, verschwinden werden sie nicht.

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