Fremde Welten

Auf der Konferenz „Theater und Netz“ versuchten sich nachtkritik.de und Heinrich-Böll-Stiftung am Clash zweier Kulturen

Von Sascha Krieger

Von „getrennten Welten“, die sich hier begegneten, sprach Ralf Fücks, Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung, schon bei der Eröffnung. Und so wurde die erste Ausgabe der Konferenz „Theater und Netz“, welche die Stiftung gemeinsam mit dem Initiator der Veranstaltung, der Online-Theaterkritik-Plattform nachtkritik.de veranstaltete, zu einer Art Blind Date zwischen Theater und Internet, Theaterszene und Netzgesellschaft, einem ersten Kennenlernen und Abtasten, bei dem am Ende unklar blieb, ob es ein zweites Date geben würde. Klar wurde zumindest, dass so manches Mitglied der viel zitierten „Netzgemeinde“mehr mit dem Theater anfangen kann, als dies andersherum der Fall ist. Die Konferenz stellte viele Fragen, Antworten blieben weitgehend aus, und doch ist es als Erfolg zu bezeichnen, überhaupt in Kontakt gekommen zu sein, so manche Gewissheit zu hinterfragen und den einen oder anderen Denkprozess anzustoßen. Noch kennt man sich kaum, aber dass daraus mehr werden kann, ist auch nach den eineinhalb Tagen in Berlin nicht ausgeschlossen.

Philipp Banse im Gespräch mit Robert Lehninger, Ulf Otto und Herbert Fritsch (v.l.) (Foto: Sascha Krieger)
Philipp Banse im Gespräch mit Robert Lehninger, Ulf Otto und Herbert Fritsch (v.l.) (Foto: Sascha Krieger)

Es passte zum Konzept, dass die Veranstalter zur Eröffnung tatsächlich zwei Welten aufeinanderprallen ließen: hier der 76-jährige BE-Intendant und Regisseur Claus Peymann, dort die ehemalige Geschäftsführerin der Piratenpartei Marina Weisband. Das funktionierte nur zum Teil: So gab Peymann zu, vom Netz wenig zu verstehen, was sich umgekehrt von Weisband, die aktive Theatererfahrung mitbringt, nicht sagen lässt. Und so betätigte sich die Netzpolitikerin als Brückenbauerin, sprach vom Internet als einem Werkzeug, aber auch von der „Magie“, die entstünde, wenn Menschen in einem Raum beisammen sind. Das Theater, auch das vermeintlich herkömmliche, hat auch für Weisband weiter seinen Platz in der Welt, Peymanns Aussage, das Theater sei immer subversiv, widersprach sie nicht und fragte: „Muss denn wirklich alles digitaler und vernetzter werden?“ Alles muss nicht, aber manches kann, könnte man ihr antworten, aber das tat sie auch schon selbst: Wo das Theater seiner Natur nach unidirektional sei und eben nie plattformneutral, ist das Internet eine Art Gegenentwurf, „Netzwerke“, so Weisband, „sind das komplementäre Konzept zum Theater.“ Es war ein ebenso eklektischer wie unterhaltsamer Auftakt, dem vor allem eines gelang: Themen zu setzen, die der folgende Tag aufgreifen konnte.

Dort ging es zunächst um das Verhältnis von Theaterwelt und Netzgesellschaft. Internetunternehmer Christoph Kappes hatte im Vorfeld 30 Thesen zum Verhältnis von Theater und Netz aufgestellt, die in ihrer Menge und thematischen Vielfalt fast schon wieder beliebig wirkten. Zumindest versuchte er mit einem weit verbreiteten Vorurteil aufzuräumen: „Die Netzgemeinde“, so Kappes, „sind sehr unterschiedliche Leute“, die oft behauptete Homogenität gibt es nicht, und das gilt auch für das Netz selbst: „Ich sehe nicht das Internet, sondern viele verschiedene Räume.“ Auch das Theater, meint Kappes, könnte multiple Räume haben, das Internet dazu beitragen, die Linearität des herkömmlichen Theaters aufzubrechen. Das Internet als Chance statt als Bedrohung: So ließe sich der Tenor der netzaffineren Diskutanten zusammenfassen. Stefan Kaegi von Rimini Protokoll etwa warnte, das Internet primär als Technik zu betrachten: „Technik wird von Menschen gemacht“, so Kaegi. „Die Frage, ob das Internet etwas verändert, ist falsch.“ Man solle, so Kaegi, die Technik nicht gegen die Menschen stellen. Die Theatermacher rief er dazu auf, die Veränderungen, die das digitale Zeitalter mit sich bringt, erst einmal zu beobachten, bevor man sie bewerte. Wie wichtig ein solcher Appell ist, zeigte Thalia-Intendant Joachim Lux, der das Theater von der „Kreativwirtschaft“, zu der er das Internet zählt, bewahren möchte, den Niedergang der Printmedien beklagte und sich immer noch spürbar angeschlagen zeigte ob des Fehlschlags der Spielplanwahl seines Hauses via Internet.

Auch Netzaktivist Stefan Urbach sprach im Anschluss von einer „Raumerweiterung durch das Internet“ und betonte „Das Netz sind wir alle“, die Trennung von Netz und Realität, die so oft behauptet wird, existiere nicht: „Das Netz ist nicht virtuell, sondern realer Diskurs.“ Urbach plädierte dafür, das Internet als Chance anzunehmen, dem Theater viele verschiedene Formen zu geben. Ein wesentlicher Aspekt sei dabei die Möglichkeit der Teilhabe und Teilnahme an Theater. Auch wenn der Dresdner Intendant Wilfried Schulz postulierte, die wichtigste Form der Teilhabe im Theater sei immer noch die Empathie des Zuschauers, ist doch gerade sein Haus ein Musterbeispiel der Einbeziehung der Zuschauer:durch Einführungen, Publikumsgespräche, aber auch die von ihm initiierten Bürgerbühnen. Welche Rolle das Internet bei der Ermöglichung von Teilhabe spielen könnte, blieb dagegen ebenso offen wie die Frage, was denn diese Teilhabe eigentlich sei. dabei konnte man sich nicht einmal darauf einigen, ob das Internet eine Rolle dabei spielen kann, Hemmschwellen finanzieller und sonstiger Art gegenüber dem Theater abzubauen. Schulz verstieg sich gar zu der Aussage, es gäbe keine finanziellen Hürden, die dem Theaterbesuch im Wege stünden.

Noch weniger ergiebig war die anschließende Debatte über Interaktivität im Theater, in der machinaEx-Macher Mathias Prinz sein Konzept der in die physische Realität des Theaters übertragenen Computerspiele und Signa Köstler das ihrige eines interaktiven Theaters vorstellen dürfte und der Noch-Intendant des Leipziger Centraltheaters, Sebastian Hartmann erzählen durfte, wie er seine Schauspieler anhält, auf Huster oder Zuschauer zu reagieren, die den Saal verlassen. Es blieb der Eindruck, dass die Diskussion über das, wie Marina Weisband zu Beginn sagte, im Grunde unidirektionale, Theater als Ort der Interaktion erst begonnen hat. Was auch bereits ein Erfolg ist. Danach wurde es unterhaltsam, schließlich saß Herbert Fritsch auf dem Podium, durfte über sein HamletX-Projekt erzählen, für das er Shakespeares Drama in zahllose Einzelaspekte aufbrach, und aus diesen Internetvideos erstellte – ein fragmentarisch-multiperspektivischer Blick auf das Netz,der so vielleicht nur in der frühen Phase des Internets möglich war, wie Theaterwissenschaftler Ulf Otto kommentierte, der von einer Evolution des Internets sprach: Es gibt heute nicht mehr das eine Internet. Es gibt so viele Netze und unterschiedliche Lebenswelten“. Zudem sei das Netz heute längst nicht mehr Inhalt, es müsse viel mehr als Medium, Informationsmittel, Kommunikationsraum entdeckt und genutzt werden. Theater über das Netz zu machen, führe in die falsche Richtung. Dabei wies Regisseur Robert Lehninger auf ein gravierendes Problem hin, wenn es um das Aufbrechen der Grenzen zwischen Theater und Netz geht: die Rechteproblematik, die es oftmals verhindere, diese Grenze zu überschreiten.

Zum Abschluss der Veranstaltung ging es dann nicht mehr um das Theater selbst, sondern das Schreiben darüber. Nachtkritik-Gründerin beschrieb die Grundidee ihrer Plattform mit den Worten, man wollte „die Theaterkritik für den Gegenverkehr öffnen“, und äußerte die Überzeugung, die Kritik solle nicht das letzte, sondern das erste Wort über eine Inszenierung sein, die Kritik in den Leserkommentaren weitergeschrieben werden, so dass am Ende ein multiperspektivisches Bild über Theater entstehen könne. demgegenüber verteidigte Christine Dössel, Theaterkritikerin der Süddeutschen Zeitung, die klassische Print-Kritik als Königsdisziplin des Schreibens über Theater, sprach von Qualitätskriterien, der „Meinungssuppe“ des Internets und dem Primat der Berufskritik. Den vermeintlichen Gegensatz zwischen objektiver Kritik und meinungsstarker Polemik der Internetgemeinde wollte Kritikerkollege Tobi Müller nicht so stehen lassen: Gerade im Printbereich sei die Theaterkritik in den letzten Jahren erheblich aggressiver und polemischer geworden, was er als Ergebnis der wirtschaftlich immer schwieriger werdenden Situation der Printmedien interpretierte. Wo Dössel nachtkritik.de und Theaterblogs als Verwässerung der Theaterkritik kritisierte, lobte der Münchner Theaterwissenschaftler Christopher Balme dagegen die Verwischung von Berufskritik und Blogging als positive Öffnung des Diskursraums über Theater.

Ein Thema, welches das  abschließende Panel aufnahm, an dem auch der Autor dieses Beitrags teilnahm, der dafür plädierte, die Vielfalt dea Schreibens über Theater – von Print- und Onlinekritik über Theaterblogs und Kritikforen wie livekritik.de bis hin zu Online-Kommentaren als Chance zu sehen, die von Esther Slevogt geprägte Idee des multiperspektivischen Bildes tatsächlich wahr werden zu lassen – zumal die Zunahme der Foren für das Schreiben über Theater Szenen und Formen in den Blickpunkt rücken könne, die in Printmedien aber auch auf nachtkritik.de nicht vorkämen, etwa Orte der Freien Szene oder auch das junge Theater. Das es bei der Öffnung des Theaterdiskurses auch Regeln geben müsse, betonten Nachtritik-Autor Wofgang Behrens und der Dramatiker Nis-Momme Stockmann, der die Anonymität des Internets als Gefahr für eine fruchtbare Diskussion über Theater betrachtete, weil sie die Möglichkeit gebe, ohne Angst vor der eigenen Reputation im Internet zu wüten und damit jede konstruktive Diskussion zu ersticken. Ob ein Klarnamenzwang dies verhindern oder möglicherweise so manchen davon abhalten könne, seine Meinung zu äußern, darüber herrschte Uneinigkeit.

Am Ende der Konferenz war die Erleichterung bei Theaterleuten und Netzaktivisten gleichermaßen mit Händen zu greifen. Ein Anfang war gemacht, Fragen gestellt, Anregungen gegeben, ein erster Anstoß, einander besser zu verstehen, sich auf die vermeintlich so fremden Welten einzulassen, gemeinsam herauszufinden, wie sich Theater und Netz gegenseitig befruchten können. wer antworten erwartete, wurde enttäuscht, aber dies konnte das erste „Blind Date“ auch niemals liefern. Der wichtigste Schritt auf dem Weg, Antworten zu finden, ist bekanntlich, Fragen zu stellen. Dieser Schritt gelang der Konferenz. Es ist zu hoffen, dass dies nicht der letzte war.

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