Textprobe mit Fragezeichen

Elfriede Jelinek: Wolken.Heim., Deutsches Theater (Kammerspiele), Berlin (Regie: Martin Laberenz)

Von Sascha Krieger

Elfriede Jelinek zu inszenieren, ist bekanntlich keine einfache Aufgabe. Das theatrale Potenzial ist in ihren rollenlosen Textflächen bestenfalls tief verborgen, jede*r Regisseur*in muss es für sich suchen, finden, heben, umwandeln in Theaterrealität. Jelinek schreibt Assoziationsketten, inszeniert Sprache, lässt sie von der Leine und ihre eigene Wirklichkeit, vielleicht sogar Wahrheit suchen, scheinbar formlos, mäandernd, ergebnisoffen. Nicolas Stemann, einer der großen Protagonist*innen des postdramatischen Theaters und Jelinek-Experte, löst das oft durch performative Textarbeit, die den Suchprozess der Texte spiegelt und befragt, Falk Richter versucht es mit grellbunter Collagentechnik, anderen, am erfolgreichsten vielleicht Michael Thalheimer, gelingt es, die Textbefragung in ihre eigene Theatersprache zu übersetzen. Auch Martin Laberenz hat Jelinek schon inszeniert, hier am DT. Wut war ein einigermaßen hilfloses Ausprobieren und Zitieren theatraler Möglichkeiten, anderer Regiehandschriften, und landete im Nirgendwo der Belanglosigkeit.

Bild: Arno Declair

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Die große bunte Handke-Schau

Peter Handke: Publikumsbeschimpfung, Schauspiel Stuttgart / Deutsches Theater (Kammerspiele), Berlin (Regie: Martin Laberenz)

Von Sascha Krieger

Am Ende findet die Beschimpfung nicht statt. Sie ist nur eine Erinnerung, eingespielt als Audioaufnahme der Uraufführung von 1966. Übertönt, weggespült von den Live-Instrumenten der Neuinszenierung von 2018. Ein Opfer der zeit, die, wie Handke postulierte, ja keine Bedeutung habe und nicht gespielt werden dürfe. Die einzige Zeit, die zähle, sei das Jetzt und das Jetzt und das Jetzt. 1966 war Publikumsbeschimpfung ein Angriff auf das Theater, wie man es kannte, auf das Spiel als Repräsentation, auf das „Als ob“ und den Zuschauer als passiven Konsumenten. Mehr noch: Handke attackierte die bestehende, seit dem Ende des 2. Weltkriegs reichlich konsolidierte Ordnung mit ihrem Oben und Unten, ihrem Subjekt und Objekt, ihren Machern und ihren Empfängern. Das Theater war für ihn ein Symptom, ein Teil dieser Ordnung – und das Labor, in dem an deren Aufhebung geforscht werden konnte. Das „Wir machen es so, weil wir es immer schon so gemacht haben“ war Handkes Feind. Theater, Kunst sollte ein Möglichkeitsraum werden, einer, der keine Grenzen kannte, ein Ort kollektiven Ausprobierens und damit ein Modell für eine sich neu hinterfragende Gesellschaft. Publikumsbeschimpfung war und ist ein zutiefst politisches Stück. Und eines über, nein, für das Theater.

Bild: Arno Declair

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Selfie mit Jesus

Elfriede Jelinek: WUT, Deutsches Theater (Kammerspiele), Berlin (Regie: Martin Laberenz)

Von Sascha Krieger

Wir leben, das hört man ständig, im Zeitalter der Wut. Ob der „heilige Zorn“ selbsternannter Gotteskrieger oder das angsterfüllte Aufbegehren abendländischer „Kulturverteidiger“, für die der schöne Begriff des Wutbürgers verniedlichend herhalten darf, ob Paris, Brexit oder Trump: Die Wut ist überall, sie zündelt an allen Stellen und in alle Richtungen, gibt es einen Konflikt, steht Wut gegen Wut. Nach den Pariser Anschlägen gegen die Satirezeitschrift Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt hat Elfriede Jelinek versucht, sich mit dieser Wut auseinanderzusetzen, die Frage gestellt, woher sie kommt und was sich mit ihr anfangen ließe. Heraiusgekommen ist ein selbst für ihre Verhältnisse ungewöhnlich mäandernder Text, ein ausfransendes Konvolut offener Enden, in dem der Bogen von Prometheus und dem heldengebährenden Zorn der Ilias reicht bis zum „Gotteskrieg“ als Sinnangebot und der individuellen Frustration als Wutquelle. Pegida kommt vor, der Widerstreit zwischen religiösem Bilderverbot und der Bilderflut als Waffe, Gott wird angerufen, wetteifert mit sich selbst oder, je nach Perspektive, den göttlichen Rivalen, Jesus lässt sich kreuzigen und macht dabei ein Selfie von sich. Ein völlig überladener Eintopf postmoderne Verunsicherung. Der Text als Instrument der individuellen wie kollektiven Selbstbefragung, als Mittel der Analyse und als sein eigenes Symptom.

Kammerspiele und Box des Deutschen Theaters Berlin (Foto: Sascha Krieger)
Kammerspiele und Box des Deutschen Theaters Berlin (Bild: Sascha Krieger)

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„Der Abend hätte so schön sein können!“

Molière: Der Geizige, Deutsches Theater/Kammerspiele, Berlin (Regie: Martin Laberenz)

Von Sascha Krieger

Geld und Liebe: Das dieses Paar, von dem wir immer behaupten wollen, dass es nicht zusammenpasse, viel von dem bestimmt, was wir Leben nennen, ist eine „Weisheit“, für die ich sicher keinen gut dreistündigen Theaterabend brauche. Wohl jeder im Publikum – und auch die große, nicht regelmäßig Theater besuchende Mehrheit – werden schon einmal den Balanceakt zwischen beiden Polen versucht, sich zwischen dem einen der dem anderen zu entscheiden gehabt haben. Und doch hat diesen Widerstreit, das eben doch keiner ist, weil Geld in unserer Gesellschaft längst selbst zum Liebesobjekt geworden ist, wohl niemand je treffender dargestellt als Anita Vulesica als Heiratsvermittlerin Frosine in Molières Der Geizige in der Regie des DT-Debütanten Martin Laberenz: Gerade hat sie der Titelfigur die Liebe derer vorgeheuchelt, die jener zu ehelichen wünscht, da erbittet sie einen kleinen Obolus. Doch plötzlich blockt der Bräutigam, zieht die Vorhänge zu, lässt die Bittstellerin im Regen stehen. Immer kurzatmiger wird der Wechsel zwischen Schmeicheln und Flehen, aus ganzen Passagen werden Sätze werden Worte wird ein Wort. Geld und Liebe werden zu einem Konglomerat, das Vulesica unter schmerzen auskotzt, an dem sie fast erstickt. Ganz plötzlich sind wir bei Existenziellen angelangt, ansatzlos und brutal auf den Boden des Abgrunds geschleudert unter schallendem Lachen. Ein hochkomischer Moment und ein ungemein berührender zugleich.

Die Kammerspiele des Deutschen Theaters (Foto: Sascha Krieger)
Die Kammerspiele des Deutschen Theaters (Foto: Sascha Krieger)

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