Kanalratten hinter Glas

Theatertreffen 2021 – Max Frisch: Graf Öderland, Theater Basel / Residenztheater, München – Aufzeichnung (Regie: Stefan Bachmann)

Von Sascha Krieger

Nein, eine Parabel mit aktuellem Bezug wie Volker Löschs Dresdner Inszenierung von 2015, welche die Geschichte vom Staatsanwalt, der axtschwingend als mordender Anführer einer Bande Vegessener durch die Lande zieht, mit dem hasserfüllten Populismus der Pegida-Bewegung kurschloss, ist Stefan Bachmanns ausgrabung des selten gespielten Stücks von Max Frisch nicht. Dieser Öderland ist micht von dieser Welt, der Abend kein Kommentar der Gegenwart, eher ein zeitloses oder gar die Zeit negierendes Schauermärchen. Was im übrigen auch deswegen passt, weil die Inszenierung eine der letzten Premieren vor der Pandemie war, ein Relikt aus halb vergessner Zeit. Olaf Altmann hat dafür eines seiner postapokalyptisch minimalistischen Bühnenbilder geschaffen, welche die Spieler*innen zu Fredgeesteuerten, Getriebenen , Gefangenen von Schwerkraft und Raum machen.Ein trichterartiges Rohr erfüllt die Bühne, eine dunkle, fahl erhellte Kanalisation, in der die Mernschen wie Ratten – das Tier mit dem schlechten Ruf macht denn auch mehrfach seine Aufwartung – leben. Sie plumpsen durch ein Loch in der Rückwand hinein, werden vor wieder rausgespült, nur um zurück in den Kreislauf zu geraten.

Graf Öderland
Bild: Birgit Hupfeld

Gebückt sind sie, unsicher, sie ritschen und kriechen und verbiegen sich, in grotesken Posen, eingefrorenen Gestehn, ein Horrorkabinett der Untoten (eine Figur wird später auch zum Zombie). Eine „Moritat in 12 Bildern“ nannte Frisch sein Stück und daran orientiert sich Bachmann. Wo Lösch Realismus suchte, findet er Künstlichkeit. Grelle Farben, ebensolche Mimik und Gestik, blasses Licht, harte Kontraste, viel Schwarz-Weiß – die an expressionistischen Stummfilm erinnernde Ästhetik ist nicht nur diesem Rezensenten aufgefallen. Ein düsterer Totentanz, ein gespenstischer Albtraum – als der sich die Geschichte schließlich ja auch entpuppt – ist das, rhythmisch, musikalisch grundiert durch Sven Kaisers oft pochend grollenden Klangteppich. Es wird zuweilen Brechtisch angehaucht gesungen, wenn die Regierungsmeute auftaucht, mutiert der Text gar zum chorischen Sprechgesang samt Refrain. Ein Tableau, nicht besonders vivant, der Angst. Sie bestimmt diese Nachtmahr, sie erfüllt die Regierenden wie das zurückbleibende Affärenpaar aus des Staatsanwalts Gattin und dem Anwalt, den mordenden Bankangestellten wie den titelgebenden Antihelden. Hier ist keine Rebellion gegen eine irgendwie erstarrte Gesellschaft, hier herrscht ein Welten-Urgrund aus lähmender Furcht. Vor dem anderen, sich selbst, der Langeweile, dem Geld, der Macht, der Liebe.

Verzerrt die Gesichter, in Schmerz, Verzückung, Wahn, Schrecken, gekrümmt, verzerrt die krampfenden Körper, ratlos, verloren, stets in ein entferntes Nichts schweifend die Blicke. Allenn voran jener Thiemo Strutzenbergers, der demn Staatsanwalt als verzweifelt orientierungslosen Schlafwandler spielt, dessen Blick, Stimme, Körper nicht von dieser Welt scheinen, der stets nicht ganz anwesend ist, ein Hologramm, ein Traumbild, einer, der sich selbst verloren hat. Und den Steffen Höld als Mörder ohne Grund spiegelt, eine schlichtere Fassung der gleichen Ziellosigkeit, derselben Unbehaustheit in einer fremden, nicht zu begreifenden Welt.

Es sind starke Bilder, die Bachmann schafft, aber sie bleiben fern. Er entpolitisiert den Stoff, wo Lösch ihn ins Hier und Jetzt geholt hatte (und Frisch ihn durch aus als Kommentar auf die geschlossene Schweizer Gesellschaft der 1950er-Jahre meinte), versucht seine Essenz als Moritat herauszuarbeiten und macht ihn damit zu einemm zweifelllos faszinierenden aber doch distanziert zu betrachtendenn Museumsstück. Das führt vor allem gegen Ende beim Machtkampf des Rebellen Ödetrland mit der herrschenden Klasse zu einigen Reibungen, dort, wo sich das Politische nicht leugnen lässt. Bachmann sucht hier das Absurde, die grelle Satire, streift die Lächerlichkeit und verschüttet alles unter dem Effekt.

Die rhythmisch-musikalische Erzählung, diemalerisch-expressionistische Ästhetik, das von Altmanns Bühne erzwungene unsicher-künstlerische Spiel – sie geraten zm Selbstweck. Die Kanalratte Mensch, sie mutiert zum Requisit, das Bild ist pures Bild, dem Bezeichnenden fehlt das Bezeichnete. Die  Enthebung aus der Realität wird absiolut und so gut uund präzise, wie hier gespielt witrd, so kalt lässt es zumindest den Betrachter der Aufzeichnung. So findet Bachmann denn auch keine Lösung für den reichlich improvisiert wirkenden Schluss – der Traum ist so  perfekt und in sich selbbst verliebt, dass das Erwachen zum Problem wird. In welche Wirklichkeit hinein sollte das Aufwachen auch geschehen? So bleibt ein großartig anzuschauen und ob seiner handwerklichen Perfektion zu bewundernder Theateraabend, der vollkommmen hermetisch ist, wie hinter Glas erscheint, weil er vergessen hat, uns etwas sagen zu wollen, der keine Haltung zu benötigen meint, weil er sich selbst genügt. Ein Abend aus einer anderen Zeit.

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