Maskierte Wahrheit

Mohammad Al Attar: The Factory, Ruhrtriennale / Volksbühne Berlin (Regie: Omar Abusaada)

Von Sascha Krieger

„Die ganze Weltsoll erfahren, was sie uns angetan haben. Die Welt soll erfahren, dass die Fabrik eine Miniatur war: von Syrien und allem, was dort geschieht.“ So steht es in einer Email, die Ahmad, Arbeiter in der riesigen Zementfabrik des französischen Konzerns Lafarge im Norden Syriens, schickt und die bei der französischen Journalistin Maryam landet, wahrscheinlich, weil sie als Tochter eines Algeriers des arabischen mächtig ist. The Factory, nach Iphigenie  die zweite gemeinsame Arbeit von Autor Mohammad al Attar und Regisseur Omar Abusaada an der Volksbühne, will die Geschichte dieser Fabriuk und in ihr von diesem Syrien erzählen, dass wir als Diktatur und Bürgerkriegsland aus den Nachrichten kennen – und von der Verstrickung auch der westlichen Welt in diesem Konflikt. Denn als die westliche Gemeinschaft das Assad-Regime verurteilte, als sich fast alle westlichen Unternehmen, die zuvor mit der Gewaltherrschaft des jungen wie des älteren Assad kaum Probleme hatten, blieb der französische Baustoffkonzern Lafarge. Wie er sich zuvor – und weiterhin – mit den Assads arrangiert hatte,  tut er es nun auch mit allen anderen bei denen es nötig erscheint. So erhält selbst der IS Millionen an Schutzgeldern aus Frankreich.

Bild: David Baltzer

Die Leidtragenden sind die Beschäftigten: Werden sie oder ihre angehörigen entführt, zahlt das Unternehmen keinen Cent an Lösegeld – um die Entführer nicht zu ermutigen. Einer der bittersten Momente im Stück kommt, wenn Ahmad vom entführten Kollegen erzählt, dem die Entführer gar einen Sonderpreis machten, als sie erfuhren, dass Lafarge nicht zahlen würde, sondern er selbst das Lösegeld aufbringen müsste. Sie seinen ihm mehr entgegengekommen als sein Arbeitgeber, so Ahmad. Und das ist auch noch so, als der IS bereits vor den Toren der Fabrik steht: Die Arbeiter sind angehalten zu bleiben, auch ohne jeglichen Schutz. Wer versucht, sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen, wird gefeuert. Wer selbst nach der Eroberung der Fabrik das Land verlässt ebenso. Vier Figuren lässt Al Attar die Geschichte erzählen: Neben Ahmad und Maryam sind dies Firas, geschäftsmann, Mitglied einer Assad-treuen Familie und ehemaliger Anteilseigner an der Fabrik, und Amr, ein kanadisch-syrischer Karrierist, der zur rechten Hand des Fabrikdirektors wird und später an den IS-Zahlungen beteiligt ist.

Jeder erzählt die gleiche Geschichte – doch jeweils aus der eigenen sehr subjektiven Perspektive. Abusaada lässt sie meist ins Publikum sprechen, wenn man so etwas wie eine Szenenandeutiung kommt, dann nur, um das Erzählte zu illustrieren und den Gegenschnitt der zuweilen sich widersprechenden Aussagen, den Al Attar im text angelegt hat,  macht dabei sehr deutlich ein wenig zu theatralisieren. Was als eine Art Dia-Vortrag beginnt (zu Beginn werden Fotos ausgeschnitten und per Video drapiert, als wäre es eine Ermittlungspinnwand im Tatort), gewinnt später revuehafte Züge – wie mancher Dokumentarfilmer Unterhaltungselemente einbaut, um den Zuschauer bei der Stange zu halten, tut dies auch Abusaada. Dabei hilft es ihm, dass er die Figuren eher karikaturesk anlegt. Während Ahmad (Mustafa Kur) als ehrlicher, heldenhafter Rächer die Schuldigen konfrontiert, erscheint Ramzi Choukairs als mit allen Wassern gewaschener Strippenzieher, der freundlich manipuliert, und empathisch abwiegelt, und Saad Al Ghefaris Amr als gockelhaft eitle Witzfigur, der selbst bei der eigenen Ermordung noch ein Selfie macht. Selbst Maryam hält sich viel zu lange mit den eigenen Karrierewünschen auf – weil Abusaada sie aber nicht recht denunzieren will, verschwindet die einzige weibliche Figur irgendwann in vollständiger Eigenschaftslosigkeit.

Wo der Autor die Geschichtsversionen mit einiger Offenheit neben- und gegeneinander stellt, bezieht der Regisseur klar Stellung. Ahmad ist der einzige, der zu beginn und am Ende keine zementartige Maske trägt, er ist die ehrliche Haut, das beklagenswerte Opfer, der Spielball der Interessen. Von denen wir viel zu wenig erfahren. The Factory bleibt bei den individuellen Geschichten und persönlichen Schicksalen. Doch wo in der Konzentration auf das Konkrete in Iphigenie das große Ganze zumindest aufschien, erscheint es hier seltsam verzwergt. Auch weil Abusaada die Geschichten auf Distanz hält, sie in karikaturhaftem, plakativ exemplarischem Rollenspiel verpackt, die Figuren zu Thesenträgern, zu Stereotypen degradiert, die jedoch in ihrem Selbstbezug kaum einen Blick auf die Strukturen von Macht und Menschenverachtung erlauben, um die es doch eigentlich geben soll. Die intriganten Hampelmänner stehen im Licht, die Drahtzieher bleiben im Schatten. In der Mitte der Bühne von Bissane Al Charif steht eine Art Betonbunker mit Einschusslöchern. Das System des Vertuschens bleibt stehen, egal wie viel Textwüsten über die Lafarge-Ermittlungen an die Betonmauer projiziert werden.

Das Lafarge-Fiasko bleibt ein erschrckendes, aber eben auch ein wenig lachhaftes Schelmenstück, das zur Empörung aufruft: gegen die skrupellosen Kriegsgewinnler und die profitgierigen Konzernbosse. Wir als dies zulassende Gesellschaft bleiben außen vor, mit uns hat das nichts zu tun, wir dürfen uns mitempören – wohlfeil und konsequenzlos. Erst ganz am Ende bröckelt die Fassade: Da liegen von Taschenlampen erleuchtete Bauarbeiterhelme auf der Bühne, an die waren Opfer von Gewalt und Raubtierkapitalismus gemahnend, erzählt Kur als einsame Stimme in die Stille hinein vom einsamen Überleben, der Flucht aus der Fabrik und dem Land, gibt den Opfern, den Betroffenen, den Held*innen ein Gesicht, eine Stimme, ein Licht in der Dunkelheit. Ein berührender Moment, ein wahrhaftiger und unmittelbarer – nach eineinhalb Stunden blutleerer Politrevue, die dieser wahnwitzigen, unfassbaren Geschichte viel zu wenig entspricht. Und die doch gehört werden sollte. In den Händen eine*r anderen Regisseur*in vielleicht?

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