Die Magie des Scheiterns

Forced Entertainment: Out of Order, Schauspiel Frankfurt / Künstlerhaus Mousonturm, Frankfurt am Main / Hebbel am Ufer (HAU2), Berlin (Regie: Tim Etchells)

Von Sascha Krieger

„Ever tried. Ever failed. Try again. Fail again. Fail better.“ Vielleicht sind die Engländer von Forced Entertainment ja die wahren und legitimen und einzigen und Wahrhaftigen und überhaupt Erben Samuel Becketts. Diese Virtuosen und Handwerker und Schwerarbeiter der Vergeblichkeit. Spätestens seit Real Magic und dessen Einladung zum Theatertreffen weiß man auch im deutschsprachigen Raum, dass wohl niemand sonst die unerträglichste Erkenntnis des Menschen, die seiner Vergänglichkeit und der Unmöglichkeit, wirklich Bleibendes zu hinterlassen, auf so konsequente, theatrale, geradlinige und durch und durch clowneske – jene unschlagbare Mischung aus zwerchfellerschütternder Komik und existenzieller Traurigkeit – Weise auf die Bühne zu bringen vermag wie die Gruppe um Tim Etchells. Out of Order setzt an, wo Real Magic aufhörte – und ebenfalls anfing. Denn Lineraität ist der Grund alles Scheiterns und der Feind seiner Erkenntnis. Ganz in Becketts Sinn besteht das Theater von Forced Entertainment darin, immer wieder anzufangen, die landläufig Einstein zugeschriebene These, der Wahnsinn bestünde darin, immer wieder das Gleiche zu versuchen und auf einen anderen Ausgang zu hoffen, auszutesten, zu bestätigen und vielleicht gerade darin zu widerlegen.

Bild: Sascha Krieger

In Out of Order haben Etchells und Co. ihre perfekten Akteur*innen und Figuren und Versuchskaninchen gefunden: Sechs traurige Clowns, mit schwarzen Strichen durch die Augen auf den weißgeschminkten Gesichtern mit den knallroten Mündern, in albernen Karo-Anzügen stecken, zurückgelassen im Nirgendwo, im Nichts, auf einer Bühne. Darauf ein Tisch Stühle. Sie sitzen am Tisch, warten. Dann springt einer auf, stürzt seinen Stuhl um und sich auf einen anderen. Eine wilde Jagt beginnt, bei der die anderen vier den Angreoifenenden von seinem Ziel abzuhalten versuchen. Das gelingt. Irgendwann gibt der Jäger erschöpft auf, setzt sich, bis der nächste aufspringt. Das setzt sich ad nauseam fort. Immer neue Konstellationen entstehen, neue Versuche, das ewige Rad des Scheiterns zu durchbrechen, wissend, dass das nie gelingen wird. Und so wird aus einem heiteren Kinderspiel bald existenzielle Verzweiflung, ein nur noch mechanisches Anrennen. Die Musik spielt, immer der gleiche Song, bis er irgendwann verstummt. Der Wahnsinn geht weiter.

Und such sich neue Ausdrucksformen: Ballons werden aufgeblasen und mit furzartigen, sich zu Klangkaskaden aufschichtenden Geräuschen in den leeren Raum geschickt, die Erschöpften mit Hupen aufgeschreckt, die bald zu einem schönen Hupen-Battle führen, das Mobiliar in einer hochkomischen und tieftraurigen Prozession in immer neu scheiternden Gruppierungen bis zum vollständigen Zusammenbruch über die Bühne getragen. Einzelne brechen punktuell aus, ergehen sich in kleinen Spötteleien über die Mitstreiter*innen, Zickereien als Zeitvertreib, machen sich wissend über das sinnlose Anrennen der anderen lustig und verkennen ihre eigene identische Situation doch nicht. Die Absetzung vom Nebenmenschen als letzter Individualisierungsakt. Und als das bitterste scheitern von allen. Irgendwann die Rückkehr zum Anfang. Die gleichen Jagdspiele, zunächst mit Hupen und umgestürztem Tisch, dann in einer erschöpft zombiehaften Spiegelung des Beginns, wobei der ewig kreisende Sixties-Song durch Johan Strauss‘ Donauwalzer abgelöst wird. Es folgt ein berührend intimes Ballett der Vergeblichkeit und der ultimative Akt des Aufgebens. Langsam, lakonisch treten die traurigen Sechs ab. Sie werden wiederkommen, einander um den Tisch.

Wo Real Magic die Beckettsche Absurdität in der endlosen Wiederholung des Immergleichen suchte, findet Out of Order sie in einer kreativen Raumweitung, bei der doch jeder neue Ansatz, jede frische Idee sich als Wiederholung des Vorangegangenen entpuppt, die Diversität das identische, sich nicht Ändernde nur noch betont, die Vergeblichkeit verstärkt. Und doch liegt, wie in der früheren Arbeit, auch hier ein Element der Hoffnung: So lange der Mensch strebt, so lange er das Einsteinsche(?) Diktum nicht befolgt, so lange er sich trotzig dem Logischen entgegenstellt, so lange lebt er, so lange wird er gegen alle Evidenz hoffen. Und wir, die wir ihn beobachten, halb ahnend, dass wir in einen Spiegel blicken, werden mit ihm lachen und wütend und verzweifeln und ermüden. Niedersinken und wieder aufstehen. Und erschüttert zurückbleiben, wenn er am Ende doch aufgibt. Dieser kindische Trotz ist die Wurzel der theatralen Poesie dieses Abends und vielleicht allen großen Theater. Die Hoffnung, sie mag zwar sicher sterben, aber sie wird die letzte sein, die es tut. Bis dahin hinein in den Kreislauf des Theaters, der Manege, des Lebens. Ins gemeinsame Lachen und Weinen und sich Langweilen und ratlos Zurückbleiben. In das absurde ballett des einander nicht Erreichens, den Zauber der furzenden Luftballons. „Fail again“? Aber gern doch!

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