Ein Aufbruch und viele offene Fragen

Die Berliner Philharmoniker wählen Kirill Petrenko zu ihrem achten Chefdirigenten

Von Sascha Krieger

Plötzlich ging alles ganz schnell: Noch am 11. Mai war es den Berliner Philharmonikern nicht gelungen, den Nachfolger von Sir Simon Rattle, der 2018 seine Amtszeit als Chefdirigent des Orchesters beenden wird zu wählen. Innerhalb eines Jahres, so hieß es damals, solle eine Entscheidung fallen. Jetzt dauerte es nur vier Wochen: Krill Petrenko, 43 Jahre alt, im russischen Omsk geboren, aber im Alter von 18 Jahren mit seiner Familie nach Österreich ausgewandert, wird der achte Chefdirigent des 133 Jahre alten Klangkörpers und steht damit in einer Reihe mit Hans von Bülow, Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan und Claudio Abbado. Eine große Ehre und eine nicht ganz gewöhnliche Wahl, wie Orchestervorstand Ulrich Knörzer bei der Pressekonferenz hervorhebt. Nur dreimal stand Petrenko bislang am Pult der Philharmoniker, zuletzt vor drei Jahren, zwei weitere Dirigate sagte er ab. Doch schon bei der ersten Zusammenarbeit, so betonen es Knörzer und Medienvorstand Olaf Maninger, hätte es „gefunkt“: „Es war von der ersten Minute an klar, dass da eine besondere Beziehung ist“, so Maninger.

Kirill Petrenko (Foto: Wilfried Hösl)
Kirill Petrenko (Foto: Wilfried Hösl)

Trotzdem bleiben Fragezeichen: Wie gut können sich Orchester und Dirigent nach drei Programmen kennen, Programme, die kein Werk des Kernrepertoires beinhalteten? Zumal Petrenko bislang vor allem als Openspezialist galt. Seit zwei Jahren ist er Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, zuvor war er unter anderem einige Jahre in Berlin an der Komischen Oper aktiv, zuletzt dirigierte er auch in Bayreuth. Seine symphonische Karriere war beachtlich und verlief doch immer im Schatten der Opernlaufbahn, einem reinen Symphonieorchester stand er bislang nicht vor, auch viele Spitzenorchester wie die Wiener Philharmoniker oder auch jene in New York, Boston oder Chicago, dirigierte er bislang nicht. Petrenko gilt als akribischer Arbeiter, als einer, bei dem, wie Orchestervorstand Peter Riegelbauer sagte, „Partitur und Werk immer im Vordergrund stehen“. Kein Traditionalist und kein Erneuerer, eher ein Partiturforscher und Analytiker. Kitrill Petrenko ist ein Mann der leisen Töne, er gibt keine Interviews und sieht sich auch künstlerisch eher als Mittler.

Keiner, der polarisiert wie die als Favoriten gehandelten Christian Thielemann und Andris Nelsons. Aber eben auch keiner, dessen Wahl eine Richtungsentscheidung erfordert. Hätte die Wahl Thielemanns eine Rückkehr zum Karajanschen Schönklang bedeutet und die von Nelsons das Orchester als Sucher nach immer Neuem positioniert, ist Petrenko sicher auch ein Kompromiss, einer mit dem die Neuerer wie die Traditionalisten leben können. Der bescheidene Schweiger wird vor der Herausforderung stehen, aus der sowohl-als-auch-Entscheidung, die das Orchester getroffen hat, ein klares Profil zu formen. Die Berliner Philharmoniker sind eben auch eine Marke, die von jedem ihrer bisherigen Chefdirigenten maßgeblich geprägt wurde. Als Dirigent ist Petrenko in der Musikwelt hochgeachtet, als Orchesterleiter ein unbeschriebenes Blatt. Die Entscheidung birgt die Gefahr, dass Beliebigkeit, ein unscharfes Profil, der Preis sein könnten, den der Kompromiss der noch vor sechs Wochen unversöhnlich sich gegenüberstehenden Lager kostet.

Die Wahl Petrenkos trifft einen der klügsten und talentiertesten Dirigenten unserer Zeit, ob sie das Orchester vorwärtsbringt, muss sich noch zeigen. Bis dahin heißt es warten. Nicht nur steht der Anfangszeitpunkt der Ära Petrenko noch nicht fest, auch das Berliner Publikum muss sich gedulden: In der kommenden Spielzeit steht der designierte Chef nicht am Pult des Orchesters. Ein abwesender, quasi unsichtbarer Chefdirigent: Das wenigstens ist neu in Berlin. So ganz wohl muss einem bei dem Gedanken, dass sich dieses wohl selbstbewussteste aller Orchester einem anvertraut, der sich lieber zurückzieht, der das Scheinwerferlicht meidet , wo er nur kann, nicht sein. Die Berliner Philharmoniker haben keine Richtungsentscheidung getroffen, sondern eine, die künstlerisch wie in Bezug auf die Persönlichkeit des Auserkorenen Fragen aufwirft. Es ist, daran besteht kein Zweifel, eine überaus sympathische Wahl, besonders mutig ist sie nicht. Wohin die Reise gehen soll, bleibt unklar. Darin liegt auch eine Chance: Gemeinsam und in der Ruhe, die Petrenko auszeichnet, einen Weg zu suchen und zu finden, der das Orchester, das stets das beste der Welt zu sein beansprucht, durch die nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte führt. Jedem Anfang, so sagt man, wohne ein Zauber inne. Geben wir ihm eine Chance.

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