Hitlergruß und Zeigefinger

Theatertreffen der Jugend 2017 – Nach Peter Weiß, „Die Ermittlung“: Das bin ich nicht, Theater-AG der 12. Klasse der Waldorfschule Freiburg-Rieselfeld

Von Sascha Krieger

Die stärkste Szene des Abends findet sich an seinem Anfang, noch während das Publikum seine Plätze sucht. Drei kleine Kinder und ein größeres Mädchen tollen über die Bühne, schaukeln ausgelassen oder spielen Verstecken, klein leichtes Unterfangen auf der fast leeren Bühne. Im Hintergrund spielt ein weiteres Mädchen sanft auf der Gitarre. Eine Idylle, vor allem aber ein echtes, unmittelbares Stück Leben, spontan, lustvoll, unbeschwert, alltäglich. Welch ein Kontrast zu dem, was folgen wird in diesen für eine Schultheateraufführung nahezu epischen fast zwei Stunden. Denn Das bin ich nicht basiert auf einem der wegweisendsten deutschsprachigen Theatertexte des vergangenen Jahrhunderts, Die Ermittlung von Peter Weiss. Damit setzte der Schriftsteller nicht nur das Dokumentartheater  auf the theatrale Landkarte, sondern zwang dem Theater eine politische Relevanz auf, die es zuvor vor allem versucht war zu vermeiden. Basierend auf dem ersten Auschwitz-Prozess von  1963 bis 1965 führt das Stück Zeugenberichte und Täterausflüchte zusammen, wuchtet die Shoah auf die Theaterbühne, stellt, erzwingt die Frage nach Schuld und Verantwortung. Starker Tobak für eine Schul-Theater-AG.

Bild: Elena Stenzel

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Im Kasperletheater der Geschichte

Peter Weiss: Marat / Sade, Deutsches Theater, Berlin (Regie: Stefan Pucher)

Von Sascha Krieger

Am 8. November 2016 wäre Peter Weiss 100 Jahre alt geworden. Das HAU hat ihm deshalb zu Spielzeitbeginn ein ganzes Festival gewidmet, am Deutschen Theater, das sich in diesem Jahr mit den Spielzeitmotto „Keine angst vor Niemand“ betont politisch gibt, reicht es immerhin für eine Neuinszenierung im großen Saal. Dass die Wahl dabei auf Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats, dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade – der vollständige Titel sollte einmal genannt sein – liegt, ist doppelt erklärlich. Zum einen ist das Stück neben Die Ermittlung zweifellos Weiss‘ bekanntestes und populärstes – zum anderen passt es wohl auch am besten in unsere Zeit. Mit der – fiktionalen – Konfrontation des Revolutionärs und Verfechter gesellschaftlicher Bewegungen Jean Paul Marat und des radikalen Individualisten Marquis de Sade zielte Weiss sehr deutlich auf die Restorations- und Verdrändgungsbemühungen Nachkriegsdeutschland. In einer Zeit, in der sich so mancher berechtigt fühlt, auf Weiss‘ Frage „Wer ist das Volk!“ mit einem exklusiven „Wir!“ zu antworten, in dem Geschichtsvergessenheit und Schlussstrichverlangen sich erneut mit gesellschaftlich sanktioniertem Egoismus paaren, schreit das Stück geradezu nach einer neuerlichen Hinterfragung.

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Bild: Arno Declair

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Revolution in der Badewanne

Peter Weiss: Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Peter Kleinert)

Von Sascha Krieger

Willkommen bei der Arbeit! Während das Publikum seine Plätze sucht, füllt sich langsam auch die Bühne. Einzeln und in kleinen Grüppchen kommen die Darsteller herein, begrüßen einander, ziehen sich um und das Publikum und räumen die Requisiten an die richtige Stelle. Alles klar, wir wohnen also einer Probe bei, einer öffentlichen, wie es scheint. Und einer doppelten noch  dazu. Denn Felix, Andine, Sebastian oder Max sprechen sich nicht nur mit echtem Namen an, sie sind hier Darsteller wie Figuren. Und stellen gleichzeitig andere Spieler dar, namenlose Insassen einer Nervenheilanstalt der napoleonischen Zeit, die wiederum im Bad ihrer Einrichtung ein Stück aufführen oder dies zumindest versuchen. Peter Weiss‘ zumeist als Marat/Sade abgekürztes Stück von 1964 spielt mit den Zeit- und Realitätsebenen, behandelt im schnellen Galopp durch die Zeiten Thesen von der Möglichkeit und Sinnhaftigkeit gesellschaftlicher Rebellion und thematisiert gleich noch die Rolle des Theaters, indem es Theater in seiner Entstehung vorführt und das Spiel als solches entlarvt. Peter Kleinert hat dieses seltsame Konglomerat, in dem Weiss zu allem Überfluss auch noch in Versen sprechen lässt, mit zwei Ensemblemitgliedern (in den Titelrollen) und Studenten der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“ an der Schaubühne inszeniert und zumindest in der ersten halben Stunde gelingt ihm ein erfrischend leichtes Balancespiel auf, mit und zwischen den Ebenen, in denen Revolutionsthematik, Meta-Theater und perspektivische Wechsel erfrischend aufeinanderprallen und miteinander spielen. Das hält die Inszenierung leider nicht durch, ist aber im Ansatz ebenso unterhaltsam wie anregend.

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These und Antithese in der Badewanne (Foto: Gianmarco Bresadola)

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