Morgen geht’s los

Sibylle Berg: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Sebastian Nübling)

Von Sascha Krieger

Manchmal geziemt es sich auch für eine Theaterkritik, mit der sprichwörtlichen Tür ins ebensolche Haus zu fallen: Sebastian Nüblings Uraufführung von Sybille Bergs Text Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen gehört zu jenen seltenen Theatermomenten, die einfach nur glücklich machen. 75 Minuten Theaterglück: Intelligent, komisch, temporeich und mitreißend gespielt entführt der Abend in die Seelenlage einer Generation zwischen Internet und realer Welt, einem ständig wachsenden Anforderungskatalog von Gesellschaft, Medien, Werbung und „Peer Groups“ und einer sich immer weiter auffächernden Kaleidoskop der Wirklichkeiten. Auf atemberaubende Weise, die Ironie und Ernsthaftigkeit, Neugier und Selbstzweifel vereint, erzählt er von Glücksversprechen und Rollenerwartungen und von der Schwierigkeit, so etwas zu erschaffen wie ein Ich. Und er tut das so leicht, schwungvoll und unprätenziös, dass zuweilen kaum auffällt, was hier alles drin ist und sich im Zuschauer festsetzt. Vielleicht hat das „neue“ Gorki schon seinen ersten Kandidaten fürs Theatertreffen – einen Hit, und zwar aus den bestmöglichen Gründen, hat es auf jeden Fall.

Foto: Sascha Krieger
Foto: Sascha Krieger

Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen handelt von einer jungen Frau, die sich im Geflecht der Rollenerwartungen und Heilsversprechen einer Gesellschaft, die alles zu erlauben scheint und doch das Anforderungsprofil jedes Einzelnen nur noch verkompliziert hat, zurechtfinden will, die zwischen Anpassung und Rebellion schwankt und die doch stets erfährt: „Wir alle genügen nicht.“ Und versuchen es doch immer wieder aufs Neue. Nachdem der Ausbruchsversuch im Gewand jugendlicher Gewalt nicht zum Ziel führte, kapselt man sich nun ein, geht kaum noch raus, kommuniziert virtuell mit nur noch virtuell wahrgenommenen Menschen und hinterfragt sich täglich, stündlich, sekündlich. Dabei ist alles Mittel zum Zweck: den sich selbst zu spüren und dem noch viel wichtigeren, sich als etwas darzustellen. „Liebeskummer gibt mir das Gefühlt, eine außergewöhnlich emotionale Person zu sein“, heißt es einmal. Außergewöhnlich sein und hineinpassen in die Welt: Dieses Paradoxon ist das Ziel. Auch in der Liebe: „Sie will keinen, der sie will“, lautet ein Satz. Auch das Zusammensein wird zum Ort der Selbstpräsentation und des Wettkampfs.

Nübling hat Bergs Textfläche auf vier grandiose junge Darstellerinnen verteilt, die im Schlabberlook und mit Nerd-Brille die Stirn runzeln, sich jedem Schönheitsideal verweigernd, gebückt gehen und ihre Herausforderung an uns Welt mit herausfordernden Blicken in den hell erleuchteten Saal schleudern. Sie sprechen im Chor, der immer wieder aufbricht, vereinzelt, kurzzeitig zum Streit wird und mitunter im polyphonen Durcheinander endet. Es ist eine darstellerische Ursuppe, in der Individualität entstehen soll und doch alles gleich ist – und beides sich nicht widerspricht. Furios, durchchoreographiert und immer wieder ironisch mit Musik angereichert – zum Niederknien die gelangweilt passiv-aggressive Version des Gorillaz-Song „Clint Eastwood“ mit der Refrainzeile: „I’m happy, I’m feeling glad, I’ve got sunshine in a bag.“ Eigentlich ist hier allein schon alles drin.

Sibylle Bergs Text erzählt von einer Generation, die Porno-Popliteratur konsumiert, sich dem Körperkult ergibt, indem sie bis zur Selbstverleugnung Zumba betreibt, die politisch korrekt sein und rebellieren will, aber nicht weiß, wogegen. Und die Fragen erörtert, wie jene, ob die neueste Hose dazu führt, dass jeder einen ficken wolle. Virtuos springt der Abend von Thema zu Thema, skizziert, probiert und konterkariert Rollenbilder und versinkt doch nie im Sumpf unerfüllbarer Erwartungen. Eher jongliert er mit ihnen, macht aus ihnen glitzernde Seifenblasen und lässt sie lustvoll zerplatzen. Da prallen die medial vermittelten Vorstellungen, davon wie Sex zu sein habe, auf die weniger romantische Realität und führt dies zur Erkenntnis: „So richtig, verstanden, was das mit dem Sex sein soll, hat doch keiner. Den wir kennen.“ Und so bleibt man im „Zustand der Unentschlossenheit“ und fragt sich: „Seid ihr alle da draußen? Gibt es euch?“

Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen ist ein poppig bunter Reigen all der Themen, die junge Menschen umtreiben, die verunsichern und verzweifeln lassen und denen man sich doch stellen muss, auf der Suche nach dem eigenen Ich. Er handelt von einer Generation, die gar keine sein will, die sich nicht entscheiden kann und doch ziemlich genau weiß, was mit ihr los ist, die ihre Unentschiedenheit und Unzulänglichkeit vielleicht nicht überwinden kann, sich ihrer aber voll und ganz bewusst ist. „Ich bin jung“, sagt sie. „Für mich geht es morgen los.“ Hier in den einst heiligen Hallen des Maxi Gorki Theater geht es schon heute los. Morgen ist jetzt.

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