Kreislaufprobleme

Theatertreffen 2024 – William Shakespeare: Macbeth, Schauspielhaus Bochum (Regie: Johan Simons)

Von Sascha Krieger

Am Ende stehen wir wieder am Anfang: Drei Darsteller*innen im schwarzen Smoking und Fliege stehe auf der Bühne und begutachten das Terrain. Kurz zuvor haben riesige Videobilder die Natur in Form von Käfern, Raupen und Pflanzen bei der Arbeit gezeigt. Der Kreislauf der Natur steht hier dem der menschlichen Gewalt gegenüber, alles klar. Das dockt durchaus be Shakespeare an und ist doch so offensichtlich und platt oberflächlich, dass es diesen voll und ganz missglückten Abend nicht retten kann. Eher im Gegenteil. Zumal die Wiederholung des Immergleichen so etwas wie ein Leitmotiv ist. Szenen, Textabschnitte, Choreografien: Hier kommt alles wieder. Am deutlichsten wird das in den im Halbdunkel absolvierten Wasch- und Reinigungsritualen, die nach jeder Bluttat vollzogen werden, auch nach dem blutigen Ende des titelgebenden Tyrannen. In Johan Simons Lesart macht dieser Mord keinen Unterschied zu den vorangegangen. Es ist Teil des ewig gleichen Kreislauf von Gewalt und Machtrausch.

Bild: Armin Sailovic

Sie sind die Sterblichen wie die Hexen, die „Guten“ wie die „Bösen“. Wenn Duncan ermordet wird, übernimmt er das gleich selbst, der gerade getötete Macbeth erhebt sich flugs als Malcolm, die Spieler*innen dialogisieren mit sich selbst, wechseln dabei nur Position und Kopfbedeckung (wer die Krone aufhat, ist der gerade aktuelle Monarch). Das kann durch aus unterhaltsam sein – so wir denn hier im Reich der Farce, der Komödie oder gar der Persiflage wären. Sind wir zuweilen auch, so sehr albern sich Iffland-Ring-Träger Jens Harzer, Marina Galic und Stefan Hunstein durch so manche Szene. In der Übersetzung Angela Schanelecs lautet der Schlüsselsatz dieses Abends: „Das Leben ist ein Märchen nur von einem Depp erzählt“ Und so zappeln und hüfen und gestikulieren und überdrehen sich die seltsamen Drei durch das Brutalste, Düsterste und Pessimistischste, was Shakespeare über die menschliche Natur zu sagen hatte. Nur um im nächsten Moment wieder in angespannte Stille zu verfallen. Das Auseinanderbrechen der Lady Macbeth unter der tonnenschweren Schuld könnte fast berühren, stünde es nicht in diesem Kontext aus Mehl, Klamauk und drastischer Überzeichnung. Harzer schnarrt sich geschmeidig durch sämtliche Rollen, Galic versucht es – außer bei der mörderischen Lady – mit plumper Karikatur, Hunstein ist fürs Rauere, Gröbere zuständig. So mordspielen sie sich über Nadja Sofie Ellers reduzierte Bühne – einzige Elemente sind ein gefliestes Becken mit Bett darin und zwei ebenso gekachelte Bänke – wi Varietékünstler*innen, de einander ausstechen wollen.

Da wird es auch mal erotisch – die Gewalt und das Schlachten führen zu nahezu orgasmischen Körperkonstellationen, vielleicht die im Programmheft angedeutete Theorie von der Liebe als Quelle des mörderischen Paars andeutend, letztlich aber nur zum Blutrausch einen weiteren hinzufügend. Da geht auch schon mal eine Hose verloren, was ebenso egal wirkt wie die Clownsnase, die sich Harzer kurz auf- und dann wieder absetzt. Immer wieder versuchen sich Seitenblicke des Effekts des Gespielten vergewissern zu wollen, bei einander und beim Publikum. Es ist, als zeigt man gezielt auf das gerade Geschehende: Schaut her, wie klug wir dieses Werk dekonstruieren und seinen Kern freilegen. Der bei Simons dann doch eher an Des Kaisers Neue Kleider erinnert. So spielerisch leidenschaftlich das daherkommt, so kalt und blutleer ist dieses Spiel tatsächlich, je mehr der Abend aufbietet, desto leerer wird er, je mehr darstellerische und theaterzaubernde Kleidung er sich überwirft, desto nackter steht er da.

Hier ist alles durchkomponiert und jede Szene ihre eigener Metakommentar. Und doch zerfällt dieses Konstrukt zusehends, weil es nichts hat, was es zusammenhält. Ernst tragischer Gestus, schrille Überzeichnung und leichtfüßige Albernheit stehen nebeneinander – nicht im Kontrast, nicht als Spannungsfeld, sondern als hätten sie miteinander nichts zu tun. Da wird zunehmend egal, wer da gerade agiert, welche Szene wie gespielt wird – letztlich macht es keinen Unterschied. Wenn alles ein Kreislauf der Gewalt ist, ohne Ziel, ohne Anfang und Ende, ist auch das blutigste Schlachten ohne jede Relevanz. Wenn gegen Ende der Kopf des Macbeth verspeist wird, ist auch das purer Effekt, sorgt für Erheiterung und sagt überhaupt nichts aus. Gerade erst war mit Karin Beiers und Roland Schmimmelpfennigs Laios ein Abend in Berlin zu sehen, der sich mit diesem Kreislauf ebenfalls befasste. Doch um wie vieles weniger zynisch, kalt, wie viel komplexer, anregender, empathischer, menschlicher- Und zielführender: Laios denkt über die Entrinnbarkeit aus dem (un)menschlichen Teufelskreis nach – dieser Macbeth dagegen hat das Denken bereits an der Garderobe abgegeben.

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