Volle Kraft voraus

Musikfest Berlin 2022 – Klaus Mäkelä und das Royal Concertgebouw Orchestra eröffnen das Musikfest Berlin

Von Sascha Krieger

Am Ende erinnert Klaus Mäkelä eher an einen Hochleistungssportler (der er in seinem Alter durchaus sein könnte): Die Haare schweißgetränkt, die Anstrengung in sein Gesicht gemeißelt, muss der Finne erst einmal kräftig durchatmen, bevor er sich dem stürmischen Applaus stellen kann. Der 26-Jährige ist ein Phänomen: Chefdirigent zweier renommierter Orchester (der Osloer Philharmonie und dem Orchestre de Paris) ist er neuer „Künstlerischer Partner“ und designierter zukünftiger Chef eines Klangkörpers, den manche nach wie vor für den besten der Welt halten: das Royal Concertgebouw Orchestra in Amsterdam. Eine Karriere, die ihresgleichen sucht, zumal der jugendlich wirkende Maestro zunächst eine Laufbahn als Cellist im Auge hatte. Als Dirigent gilt er als Naturtalent, die Statements, mit denen die Amsterdamer die Zusammenarbeit bekannt gaben, flossen nur so über vor Begeisterung. Sofort habe es gepasst mit ihm, jubeln sie, und ja, die Chemie ist auch beim Berliner Gastspiel zu spüren. Und auch der Jochleistungssport-Vergleich passt, denn was Orchester und Dirigent in diesen zweieinhalb Stunden leisten, hat olympisches Nivea. Da ist kein Zurücknehmen, da ist jede Sekunde erfüllt von hundertprozentigem Einsatz, von enthusiastischer Hingabe, von vollständiger Verausgabung.

Eröffnungskonzert Musikfest Berlin 2022
Klaus Mäkelä dirigiert das Royal Concertgebouw Orchestra beim Musikfest Berlin 2022 (Bild: Fabian Schellhorn / Berliner Festspiele)

Das tut vor allem dem ersten Werk des Abends nicht besonders gut. Orion, ein dreisätziges Orchesterstück der finnischen Komponistin Kaija Saariaho ist ohnehin schon eines, das zu Überfülle und Wuchtigkeit neigt. Seit die einzige Avantgardistin sich auf Opern und Orchesterwerke mit weitgehend traditioneller Besetzung konzentriert, wird auch ihre Klangsprache traditioneller. Und wenn dann ein Dirigent wie Mäkelä mit Hang zur Überdeutlichkeit sich ihres Werks annimmt, ist mit Subtilität nicht mehr zu rechnen. Wo zu Beginn Klarheit im Ausdruck und körperliche Präsenz auf einen transparenten Zugang zu den komplexen Klangstrukturen hoffen lassen, hat schnell Kraftmeierei ihren großen Auftritt. Die klare Unterscheidung von Vorder- und Hintergrund mit wechselnden Dominanzverhältnissen lässt bald jegliche Ambivalenz verschwinden, die flirrenden Klangstrukturen krachen  tonnenschwer zu Boden, hier schwebt nichts, hier schleppt sich pure Muskulosität dahin. Die Pauken üben den Überwältigungsmodus, Streicher und Holz kreischen scharf und Mäkelä lässt jede Farbe extra grell in den Saal malen. Überdeutlichkeit als Grundmodus. Insbesondere im Kopf- und im Schlusssatz geraten die dynamischen Kontraste und Tempiwechsel zum Selbstzweck, ist alles Schärfe und Drama und dauernde Erregung, werden Rhythmus und Lautstärke zu den dominanten Ausdrucksmitteln. Lediglich im Mittelsatz scheinen Grautöne auf: die geisterhaft brüchige Piccoloflöte zu Beginn, die dunkel angetönte Solovioline, der schnörkellos klare Gesang der Klarinette: Hier könnte die Musik ihre Ausdruckkraft austesten, die Spannung zwischen Form und Melodik ausprobieren. Doch das bleiben Momentaufnahmen. Letztlich fällt der volle Einsatz der Beteiligten einem Werk in den Rücken, das eigentlich Zurücknahme, Subtilität und Hinterfragen seiner inhärenten Wuchtigkeit bräuchte.

Der anschließenden sechsten Symphonie Gustav Mahlers ist Mäkeläs muskulöser Ansatz angemessener. Die Lust am Wer ist zu spüren: beim hingebungsvollen Maestro wie bei den unter höchster Spannung agierenden Musiker*innen. Scharfkantig, festen Schrittes, mit zur Überdeutlichkeit neigender Klarheit rollt der Zug im Kopfsatz an – und lässt sich bis zum Schluss nicht mehr aufhalten. Mäkelä lässt die Motive, Themen, Rhythmen und Tempi, die dynamischen Kontraste ungebremst aufeinander prallen, ein lustvoller Tanz an einem Abgrund, für den aufgrund der zuweilen in Hektik kippenden permanenten Erregung der Blick fehlt. So bleibt der dunkle Kern, um den das kreist, meist ungesehen und ungehört. Was dem Spektakel keinen Abbruch tut, bietet die Oberfläche doch genug existenzielles Drama. Überzeugen kann vor allem der langsamere Satzteil, in dem Mäkelä sein Orchester mal spielen lässt und der mitunter fast entspannt melancholisch klingt, gar beinahe ein wenig jazzig. Dann ziehen die Zügen wieder an, rast die Maschine durch den raum, wuchtig, kraftvoll, allzu oft auch arg plakativ.

Wie es anders geht, deutet der zweite Satz an. Da bewegt der Gesang der Holzbläser, denen kurzzeitig mehr erlaubt ist, als scharf zu drohen, da bricht die Streicherdecke auf in fragil angsterfüllter klanglicher Frangmentierung, da funkelt ihr Gesang aus der Düsternis. Doch auch hier übernimmt oft das Plakative, das bis zum Zerbersten Geschärfte, die gewaltigen dynamischen  Kontraste und abrupten Tempiwechsel. Die dann das Scherzo dominieren: mal in treibendem Duktus, mal in sich selbst fast auf den Füßen stehendem mitunter bleischwerem Kreisen. Wie eine unerbittliche Naturgewalt hämmern die Bässe, agrressiv, keinen Widerspruch duldend. Hier finden Mäkelä und sein Orchester endlich ihren Ton, der bis zum Ende des halbstündigen Schlusssatzes bleiben wird: Unruhe, Afgewühltheit, Erregung, ein Suchen, dass zum Aufeinanderprallen des nicht zueinander Passenden wird, eine Entladung der fehlenden Mitte.

Das ist im Finale durchaus eindrucksvoll, die enorme Kraft dieser Musik fast durchgängig zu spüren, auch in ihrer Bedrohlichkeit, der kaum gebändigten Destruktivität. Dieses musikalische Universum ist ein Tanz auf dem Volkan, der all dies sekündlich ins Verderben reißen kann. Grelle Farben beißen sich, schrill affirmative Klangsegmente reiben sich, rhythmische Gegensätze ringen miteinander. Musik als Kampf und als nimmermüdes in die Bresche Schlagen. Die Pauken grollen voller Gewalt, die berühmten Hammerschläge sind trocken endgültige Welturteile, die gesaglichen Passagen von kantiger Gefährlichkeit, der Satz ein stetiger Wechsel aus Losrennen und Vollbremsung, aus Zielstrebigkeit und hilflosem Taumeln. Ein Sich-Aufbäumen und Anrennen, das sich immer aufs Neue selbst in die Beine fährt. Jegliche weritschweifige Mahler-Seligkeit treibt Mäkelä diesem Werk aus, raut es auf bis zur Kenntlichkeit. Der Preis ist  eine plakative Betonug auf oberflächliche Konflikte. Doese Interpretation rührt an den Kern, ohne zu ihm vorzudringen, sie macht die von ihm verursachten Verwerfungen sicht- und hörrbar, ohne ih freilegen zu wollen. Wirkung statt Ursache.

Das wirkt zuweilen uneben, hat streckenweise eine gehörige Unwucht und neigt immer wider zu dramatischer Performanz. Aber es ist auch von ungeheurer Spannung, Enteckungs- und Musizierlust, die ansteckt, nicht nachlässt und den passenden Kontrast aufbaut zum trocken resignierenden Schluss, der in seiner pragmatischen Kälte erschüttert. Hier war alles Anrennen, alles Versuchen umsonst. Das Ende ist unerbittlich und es ist absolut. Klaus Mäkelä wird die Fähigkeit, auch Farben zwischen Schwarz und Weiß, Modi zwischen Alles oder Nichts zu finden und zu erforschen, ausbauen, er wird sein Repertoire um feinere Pinsel erweitern, er wird den Wert lockererer Zügel und die Magie der Zwischentöne noch mehr wertzuschätzen lernen. Bis dahin wird sein keine Gnade kennende Tendenz zum „Volle Kraft voraus!“ in jedem Augenblick, zur kompromisslosen Betonung aller Bruchstellen, zum plakativen Herausstellen jeglichen Dramas und verborgener Konflikte begeistern und irritieren, überzeugen und zu Widerspruch herausfordern. Eines aber wird sie – wie auch an diesem Abend – nicht tun: die Zuhörenden kaltlassen.

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