Das Echo des Abwesenden

Friedrich Schiller: Maria Stuart (Open Air), Theater an der Parkaue, Berlin (Regie: Albrecht Hirche)

Die eindringlichsten, die vielleicht wichtigsten Momente dieses Abends ereignen womöglich sich nicht während, sondern vor und nach der Vorstellung. Da ist der Weg, den die Zuschauer*innen, Masken tragend, durch die Bühne 2 des theaters an der Parakauer nehmen. Da, wo Maria Stuart im Februar Premiere hatte, herrscht gähnende Leere auf der Bühne. Die Sitzreihen verlassen, die Stühle dicht an dicht, der Publikumsstrom wie eine Führung durch eine Ruinenstätte, ein Relikt einer anderen, nur noch kaum erinnerten Zeit. Und dann das Ende, der Schlussapplaus, leise, ankämpfend gegen die Stille, die Distanz, ein akustisches Monument der Abwesenheit, aber auch des aufbegehrens, des schüchternen Wiedereinforderns des Gemeinschaftserlebnisses, das Theater, des geistig-emotionalen Korrektivs, das Kunst und Kultur sind. Da droht das klatschen im sanften abendwind zu verwehen, zu verschwinden, wie das, was wir da gerade erfuhren, verschwinden war, für viel zu viele viel zu spurlos, wie es jetzt wie von fern heranwinkt, leise rufend „Ich bin noch da“, nicht sicher, ob das denn auch stimmt. Das Echo des Abwesenden hallt dröhnend.

Unter freiem Himmel und mit Abstand: An der Parkaue wird der Innenhof zum Theater (Bild: Theater an der Parkaue)

Es wird wieder gespielt nach drei Monaten viel zu selten ohrenbetäubender Stille. Die Kunst- und Kulturszene Berlins verschwand, ihre Protagonist*innen litten und doch stellte sich die frage, was da fehlten, ob überhaupt etwas fehlte, scheinbar nur wenigen, ertappte auch dieser Rezensent sich zuweilen dabei, den ausgefallenen Friseurbesuch zumindest nicht als schwerwiegender zu empfinden als fehlende Theaterabende. Die Frage, welche Rolle Kultur, Kunst, Theater in dieser Gesellschaft, in dieser Stadt spielen können, vielleicht auch müssen, wird zu stellen, zu diskutieren, zu beantworten sein. Doch dazu müssen sie erst einmal wieder stattfinden. einige wenige Bühnen machen den ersten Schritt, allen voran das „junge Staatstheater“ am eingang von Lichtenberg, jenes Einstiegtor für Generationen, für welche es die erste – und zu oft auch die letzte – Begegnung mit dem Theater darstellte und wohl noch darstellt. Im Innenhof, wo sonst Autos parken, findet sie jetzt statt, diese Kunst der begnung, des gemeinsamen erlebnisses im gleichen Raum – mit Abstand, ohne abgeschlossenen Raum, eine skizze des verlorenen, ein Traum des noch immer Abwesenden.

Maria Stuart wird gegeben, in der adaptierten Inszenierung Albrecht Hirches, eigentlich Bühnen- und kostümbildner und Schauspieler und in all diesen Funktionen auch hier präsent. Das Schillersche Intrigenspiel der Macht, ausgeführt von Männern mit zwei Frauen als vermeintlichen Machtzentren, doch realen Spielfiguren, wird in seinen Händen zur grellbunten Geister-Show. Irrwitzig die eklektischen Kostüme, Mischungen aus Clown-Outfits und Renaissancekleidern, grotesk die Schminke, in Explosionen aus gespentischem Weiß, blutigem Rot und lächerlichen Paletten-Unfällen, plump mechanisch, wie besoffene Clowns oder schlecht geführte Puppen, die Bewegungen. An eine Union Flag erinner der blaurote Bühnenteppich, Resultat der von Elisabeth I nicht durchgeführten, jedoch bereits vorbereiteten Zwangsverheiratungen der schottischen und englischen Königreiches, eine noch scheiternde feindliche Übernahme, die später unblutig, wie in einem Börsengeschäft vollzogen werden wird.

Bild: Theater an der Parkaue

Marionetten der Macht sind sie, Elisabeth und Maria, beide zunächst in ähnlich wahnwitzigen Kostümzustammenstellungen, später fein getrennt – die „Siegerin“ in regalem Renaissancepomp, die „Unterlegene“ im weißen Büßerinnen-Gewand. Doch die Strippen ziehen andere, die Burleighs und Leicesters und Mortimers und Shrewsburys, auch sie hier keine Selbstbestimmten Plot-Treiber, sondern in aller Lächerlichkeit ausgestellte Getriebene, so tief im Netzt der Macht gefangen, dass sie dessen Mechaniken längst nicht mehr durchschauen, geschweige denn in der Lage sind, sich diesem zu entziehen. Kugelrund Erik Borns ziellos trampelhafter Intrigen-Bürokrat Burleigh, hysterisch aufgelöst der hilflose Doppelagent Leicester, clownesk charismafrei der vermeintliche Vernunftträger Shrewsbury des Jakob Kraze. Da ergeht es den Frauenfiguren nur ein wenig besser: Sowohl Caroline Erdmanns Elisabeth als auch Kinga Schmidts Maria haben Momente resilienten Selbstbewusstseins, leicht arroganter Selbstbehauptung, die Oberfläche zumindest ankratzender Reflexion. Doch sie bleiben Spielbälle, kaum die Diagonalen des schottischen Andreaskreuzes verlassend, angetrieben vom langsamen, zum Schafott leitenden, kettenrasselnden Schlagzeugrhythmus Karoline Körbels. Schade, dass Elisabeth als zitterndes Wrack zurückbleibt, während Maria pathetische Würde erlangen darf, die Opferung der Frau wieder etwas seltsam Heroisches bekommt, während die durchaus selbstbestimmte Machterhalterin Elisabeth zur hysterischen Marionette degradiert wird. Da werden überkommene Frauenbilder und Geschlechternarrative reproduziert, die nicht vergessen lassen, dass hier ein (nicht mehr ganz so junger) Mann Regie führt.

Zumal das klischeeverliebte pseudoernste Ende gar nicht zum Rest des Abends passen will. Eine groteske Geisterfarce entspinnt sich, ein wenig zu laut mitunter, doch sorgfältig choregraphiert, in den Tänzen der Intrige, den Chören der Speichellecker und Einflüsterer, den mechanisch eingeschränkten Bewegungen der im vermeintlich eigenen Spiel Feststeckenden. Die Pandemie-bedingten Abstandsregeln machen das Zwanghafte dieser überzeitlichen Versuchsanordnung noch eindringlicher und visuell klarer, jede*r sieht sich auf ihrer Bahn eingezwängt, unfähig, den eigenen Orbit zu verlassen, reduziert auf die vom großen Autor Macht vorgegebenen Rolle. Sie können nicht aus ihrer Haut, was Marias angebliche Befreiung durch die Opferung noch perfider macht. Die emanzipatorischen ansätze, welche die Geschichte durchaus bereithält, verpuffen, zurück bleibt eine durchaus gelungene Moralsatire, die das Mechanische von in politischen Zwängen weit jenseits des feudalen Ursprings Gefangenen, die sich auch heute, im aufgeklärt demokratischen Umfeld noch tagtäglich beobachten lassen, eindrucksvoll sichtbar macht. Und die zeigt, was fehlt. Im politischen Tagesgeschäft, wie in der abwesenheit ihres von Schiller als solches intendierten Korrektivs. Der Applaus verhallt, bevor er Fuß fassen kann. Aber es gab ihn. Das ist ein Anfang.

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