Die Lächerlichkeit des Seins

Bertolt Brecht: Der kaukasische Kreidekreis, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Peter Kleinert)

Von Sascha Krieger

Bertolt Brecht ist an diesem Abend wenig mehr als ein altes dickes Buch, von dem mehrfach demonstrativ der Staub geblasen wird. Und eine Stimme, die aus dem Off in herrischem Duktus und mit rollendem „R“ Regieanweisungen gibt, die dann gleich mit höchstem Lächerlichkeitseffekt umgesetzt werden. Dass sich Regisseur Peter Kleinert und die Spieler*innen der Ernst-Busch-Hochschule dem vielgespielten Stoff ironisch nähern, machen sie gleich von Beginn an klar. Schwarz gekleidet und behaubt stimmen sie dissonant dilettantische Klänge auf dem Bandpodium auf der linken Bühnenseite an. Dass die Parabel von der Dienstmagd Grusche, die das Kind der Gouverneurin nach deren egoistischer Flucht rettet und aufzieht und am Ende vom korrupten Stadtrichter Azdak recht bekommt, weil Dinge – oder, etwas kontroverser aber nicht weiter beachteter Gedanke, Menschen – zu denen gehören sollten, die sich um sie kümmern und sorgen, hier nicht ernst genommen wird, setzt das Ensemble gleich zu Beginn.

Bild: Gianmarco Bresadola

Kräftig gekürzt hat man auch und trägt große Teile der Geschichte narrativ und mit spöttischem Tonfall vor. Zuweilen entfalten sich dazu Spielszenen, die sich vor allem durch extreme Überzeichnung und den reichlichen Gebrauch von Mitteln der Farce oder des Slapsticks auszeichnen. Ob dabei der Gouverneur ermordet oder sich Azdak und der Dorfpolizist anflirten: Alles ist gleich lächerlich. Nacheinander werden die Grusche- und Azdak-Strenge nacherzählt, wobei immerhin letztere, verkörpert von Lotte Schubert, ein wenig Ernsthaftigkeit und Würde zugesprochen bekommt. Sie, die Pragmatikerin voller Menschlichkeit, auch noch durch den Kakao zu ziehen, vermögen regie und Spieler*innen denn doch nicht. Was allerdings auch dazu führt, dass diese Grusche Fremdkörper bleibt, nicht nur, nachvollziehbar, in einer Gesellschaft voller Opportunisten, sondern auch auf dieser Bühne (Céline Demars) mit den zwei Ebenen weißer Stoffbahnen. Sie passt nicht in dieses Gruselkabinett der Eitlen, Brutalen, Selbstsüchtigen und Dummen, das doch den Tonfall bestimmt und Grusches Würde kaum Raum gibt.

Natürlich wird viel gesungen, auch gerappt, chorisch gesprochen – alles, um die Texte im allerüblichsten Brechtschen Sinne ihrer Illusion eines Wirklichkeitsbezugs zu berauben. Da kommt es auch schon vor, dass der gleiche Text zweimal in unterschiedlichen Modi gesungen wird. Aus-der-Rolle-Fallen, Hinterfragen der Textfassung oder der Spielhaltung, plakatives Genervtsein von gerade zu Sehenden gehören natürlich auch zum Standardrepertoire. Vielleicht sollen hier – wie so oft im postdramatischen Fach, das in Brechts epischem Theater bekanntlich ein wesentliches Vorbild hat – die theatralen Mittel hervorgehoben, die Gemachtheit und Künstlichkeit der Bühnensituation thematisiert werden, am Ende überwiegt der Eindruck, hier ginge es nur darum, die Lächerlichkeit des Geschehens noch zu betonen.

Dass der Tanz um die Erhaltung des eigenen Ich durchaus komödiantisch-satirisches Potenzial aufweist, steht außer Frage und wird vom überaus enthusiastischen Ensemble auch eindringlich umgesetzt. Dass die Parabel jedoch eine Moral besitzt, stört da eher. Die große Entscheidung mit dem titelgebenden Kreidekreis gerät da zur zusammenhangfreien Nummernrevue, bei der nichts zusammenpasst, am allerwenigsten die abrupten Wendungen von Alexander Wertmanns Azdak. Da wird keine Konsistenz gesucht, wozu auch, eine „Moral“ hat eine solche „Geschicht'“ ja ohnehin nicht verdient. Da steht man am ende fein grinsend da und fragt: „Schönes Märchen. Oder?“ Nein, schön war das nicht, ein Märchen noch weniger und ein Happy end gibt es auch nicht. Denn das ist ja das Lächerlichste an Brechts text: die Idee, dass sich die Menschheit bessern könnte. Im Jahr 2020. Wo sind wir denn? Mitten im Zynismus, wie es scheint.

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