Weiterspielen

Nach dem Roman von Horace McCoy: Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss, Volkstheater Wien (Regie: Miloš Lolić)

Von Sascha Krieger

Man kann sie schon suchen, diese Linie von den berüchtigten Tanzmarathons der Zeit der „Großen Depression“, wie die dortige  Ausprägung der Weltwirtschaftskrise in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren in den USA heißt, und der Zurschaustellung nach Geld und ein bisschen Ruhm Dürstender im modernen TV-Castingshow-Betrieb. Auch wenn die Motiovationen – damals tanzte man für Wochen, um zu überleben – für die Zeit des Wettbewerbs gab es kostenlose Verpflegung, für das Siegerpaar gar ein Preisgeld, heute für ein wenig Aufmerksamkeit und eine Karriere am Rande des Showbusiness (auch damals allerdings schon ein intendierter Nebeneffekt, fanden sich doch immer auch Talentscouts ein), die Mechanismen, die dabei wirkten, sind ähnliche. Im Mittelpunkt steht das gaffende, voyeuristische Publikum, sich ergötzend am Leid, der Erniedrigung oder auch nur der Lächerlichmachung anderer, dies auch dienend der Illusion eigener Selbsterhebung. In Miloš Lolićs Adaption sind wir diese Zuschauer*innen, buhlen die Teilnehmer*innen um unsere Gunst.

Bild: http://www.lupispuma.com / Volkstheater)

Dabei sitzen wir gar nicht an der Tanzfläche – diese befindet sich in der Roten Bar des Volkstheaters – sondern der des Ruheraums, wo sich die Tänzer*innen umziehen, verpflegen, kurz ausruhen. Oder eben auch nicht, denn hier ist alles öffentlich, sie sind – Big Brother und Co. lassen grüßen – in keiner Sekunde unbeobachtet. Und müssen in keinem Moment nicht performen. Denn das Tanzen allein reicht nicht. Bei den Veranstaltungen gab es auch Zusatzwettbewerbe, Talentproben etwa oder Wettrennen, bei denen die langsamsten ausschieden. Auch die werden hier gegeben, die Darsteller*innen hetzen durchs Haus, als ginge es um ihr Leben. Ausgeliefert sind sie in jedem Fall, Evi Kehrstephan und Jan Thümer als das Moderator*innenpaar ändern die Regeln nach Belieben, machen die Teilnehmer*innen zur Verfügungsmasse eines effektgierigen Publikums. Da sind wir nah bei Germany’s Next Topmodel oder Deutschland sucht den Superstar, Formate, die ihre Mechaniken den Tanzmarathons der Depressionszeit entnommen haben könnten. Und so lächeln und grinsen und posieren die Paare in Publikum und Kamera, als ginge es, nun ja, um ihr Leben.

Dabei geht es in dieser Inszenierung eigentlich um viel weniger – oder, je nach Standpunkt, viel mehr: das Theater nämlich, im Allgemeinen und im Besonderen, nämlich dieses, das Wiener Volkstheater gerade wieder in existenzieller Krise befindlich. Denn dieser „Marathon“ ist ein theatraler, die Teilnehmer*innen Schauspieler*innen, der Protagonist das Volkstheater selbst. Die „Challenges“ sind des auch Theaterszenen, die aufgeführt werden müssen, Ausschnitte aus Stücken, die eine enge Beziehung zu diesem Haus aufweisen. Die reichen von Arthur Schnitzlers Reigen, Bertolt Brechts Mutter Courage oder Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald bis zuElfriede Jelineks Krankheit oder Moderne Frauen und Thomas Bernhards Vor dem Ruhestand. Meist paarweise, später auch in größerer Runde fallen die Figuren in die Rollen, machen die Theaterbühne zu einer zweiten, spielen das Spielen im Spielen. Das erzeugt seltsame und überaus spannende Effekte: Mutter Courages Monolog, gesprochen von Claudia Sabitzer, berührt, ebenso wie Steffi Krautz‘ unerträgliche Verletzlichkeit in ihrer Reigen– Szenen – doch zugleich ist der Zuschauer sich stets bewusst, dass hier performt wird, um einen Wettbewerb zu gewinnen, die hohe Kunst Mittel zum Zweck ist, und 1 zu 1 ersetzbar von Wettrennen oder andere Spielchen.

Hier liegt der Kern von Miloš Lolićs Inszenierung. Das Volkstheater, ja, das Theater als solches mutiert vom Player im Unterhaltungswettbewerb, als der er wohl von Teilen der Öffentlichkeit, der geldgebenden Politik und – der hasserfüllte Tonfall mancher Premierenkritik deutet daraufhin, dass sich der eine oder andere Rezensent gemeint haben mag – einiger Medienschaffender wahrgenommen wird. In der derzeitigen Debatte ums Volkstheater ist primär wieder von Auslastungszahlen, Kosten, Sparmöglichkeiten die Rede – da wird Kunst, wird Theater zweitrangig, hat es zweckmäßig zu sein, muss man es sich „leisten können“. Ja, das kommt zuweilen ein wenig hölzern didaktisch daher, die Exkurse in die Geschichte des Theaters haben etwas von Selbstbeweihräucherung, störrischer Rechtfertigung und verströmen mitunter den Charme einer der drögeren Volkshochschulvorlesungen.

Und doch ergeben die Szeneneinsprengsel meist Sinn, auch wenn sie gegen Ende ein wenig in Richtung Selbstzweck abdriften. Die Wettbewerbssituation, in der das Theater stets und in Zeiten ständiger Verfügbarkeit von fast allem erst recht steht, ist schließlich real: Es ist ein Wettbewerb ums Publikum, das sich gegen Netflix & Co. für den nicht immer bequemen Theatersessel entscheiden soll,  einer um gesellschaftliche Relevanz, wenn dem Theater meist nur noch eine Nischenexiostenz zu erkannt wird, eine sehr reale ums Geld und die Frage, was man fördert und was nicht und ob der Markt nicht alles regeln dürfen sollte. Da werden der Theatermacher und die Schauspielerin zu Dauertänzer*innen, die performen, Gunst erheischen, um Aufmerksamkeit buhlen müssen, auch im Wettbewerb untereinander, gerade in der Burgtheaterstadt-Wien. Kann man sich da, wie die sarkastisch-stoische Birgit Stöger und der naiv-verlorene Sebastian Klein als das zentrale Paar im Roman herausziehen und wenn ja, um welchen Preis?

Im Roman lautet der Tod und Gefägnis, das ende der Freiheit als ihre einzig noch denkbare Möglichkeit. So weit geht der Abend nicht. Sein Preis für den Theaterdiskurs ist, die existenzielle Ebene der Vorlage abzuschwächen. Hier mag es um Großes gehen, das individuelle recht auf (Über)Leben steht nicht in Frage. Der Schluss, eine Art Zombieapokalypse, ist denn auch wieder pure Show. Draußen, am Gerüst des im Umbau befindlichen Hauses, prangt Werbung für die neue Staffel einer Zombie-Serie. Der Mitbewerber ist bereits mitten unter uns, das Theater von Untoten bedroht. Oder sind sie auch ein Ausweg, ein neuer Pfad, ein weiteres theatrales Narrativ. Wird hier zerstört und vernichtet, sondern einfach weitergespielt, so wie es das akut bedrohte Haus ja auch tut? Darüber spricht der Abend und das führt er vor. Und das macht diese Arbeit vielleicht nicht zu einem Triumph, aber ganz sicher nicht zu dem Offenbarungseid, den die versammelte österreichische Kritik in ihm sehen wollte.

 

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