Maja Zade: status quo, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Marius von Mayenburg)
Von Sascha Krieger
Florian, nicht Flo. es ist sein Akt der Rebellion, einer der wenigen, die ihm offenstehen, dem schlaksigen, etwas unbeholfenen jungen Mann, der mal Auszubildender ist, mal angehender Schauspieler, mal unglücklich verheirateter Endzwanziger und Studienabbrecher. Viel mehr bleibt ihm auch nicht, denn: This is a woman’s world. Womit Prämisse, Clue und Inhalt von Maja Zades Stück bereits umrissen sind. Nach über einem Jahr #MeToo debattiert die das Thema systemischen Sexismus auf ebenso simple wie originelle Weise: Sie dreht den Spieß um. In ihrer Parallelwelt haben Frauen das Sagen. Sie besetzen alle Schlüsselpositionen, verdienen das Geld, während der Mann kocht, die Kinder erzieht und, nun ja, bastelt. Eine welt, in welcher der Mann sich ständig sexueller Belästigung ausgesetzt sieht, zum Sexobjekt degradiert wird, Opfer sexueller Gewalt ist. In der die Frau auch die Sprache beherrscht: Man tut etwas nicht, frau tut es. Telefone werden befraut, Kollegen „bocken“ sich an, weibliche Bezeichnungen sind Standard, der Mann darf sich „mitgemeint“ fühlen.

Damit das nicht zu langweilig wird, hat Zade, langjährige Dramaturgin der Schaubühne und in diesem Jahr gleich zweifach als Autorin am Haus vertreten (über ihre zweite Arbeit breite frau lieber den Mantel des Schweigens), drei beispielhafte Geschichten kombiniert.Protagonist ist stets besagter Florian – den die mächtigen Frauen natürlich trotzdem Flo nennen – in Marius von Mayenburgs Uraufführungsinszenierung von Moritz Gottwald gespielt und in Händen und Körper des spindeldürren Schlakses bestens aufgehoben. Er ist Azubi in einem Drogeriemarkt, einiger männlicher Makler in einer Immobilienfirma und Jungschauspieler an einem ebenfalls rein weiblich geführten Theater. Seine Figur variiert zwischen nervöser Indignation, angespannter Gefallsucht und manipulativer Assimilation. Gottwald spielt die verschiedenen Techniken, sich in einer sexistischen Gesellschaft zu behaupten, varianten- und ausdrucksreich durch, gibt jedem seiner Florians eine eigene Note und zeichnet zugleich die Verbindungslinien der drei, die sich, auf unterschiedlichste Weise in einem System behaupten müssen, dass sie als beteiligte zweiter Klasse einstuft.
Seine Gegenspielerin ist Jule Böwe: Filialleiterin, Firmenchefin, Starregisseurin. Als Drogeriemarkt-Daniela positioniert sie sich irgendwo zwischen Evelyn Hamann und Klischee-Bauarbeiter, betatscht den jungen Azubis, wann immer sie kann, stellt ihr sexuelles Privileg nie in Frage. Ihre Immobilien-Sabine ist weniger sexuell ausgerichtet (sie hat ja schon ihren Sekretär geheiratet), aber umso machtbewusster, nutzt den Angestellten nach strich und Faden aus, durchaus jovial, ständig betonend, er sei ja Teil des Teams und jederzeit deutlich machend, wer die Hosen anhat. Als Regisseurin darf sie genüsslich herumbrüllen und das Alpha-Männchern-Klischee des deutschsprachigen Theaters ebenso lustvoll wie platt ausweiden. Sie behauptet ihr Theater als politisch fortschrittlich und objektifiziert das andere Geschlecht, wo es nur geht. Parallelen zu realen Großregisseuren nicht ausgeschlossen.
Zade pflügt sich voller Detailverliebtheit durch ein Geschlechterrollen-Klischee nach dem anderen. Nur eben umgekehrt: Frauen sind machtbewusst, berechnend, autoritär, patronisierend, Männer emotional, geschwätzig, unsicher, stets darauf bedacht zu gefallen. Wenn der Mann gut kocht, bekommt er von der Partnerin schon mal ein „Braver Junge!“ serviert, verweigert er sich dem Beischlaf – Kopfschmerzen! – ist schnell Schluss mit lustig. Von Mayenburg tut gut daran, das alles mit leichter Hand zu inszenieren. Magda Willi hat ihm dazu eine hübsch kitschige und nicht störende Bühne gebaut, eine Art braun verholzte Schrankwand mit regenbogenbunten Streifenvorhängen, domestizierte Spießigkeit, die Vielfalt und Offenheit nur als alibimäßiges Dekor kennt. Er lässt die Szenen ineinander laufen, deutlich machend, dass auf allen Ebenen die gleichen Gesetze herrschen, Individualität nur so weit möglich ist, wie sie das System nicht stört. Hinten heraus purzeln mitunter Gottwald die verschiedenen Florians ineinander, eine Identitäts-Verunsicherung, die beiläufig daher kommt, aber stärker wirkt, weil wahrhaftiger ist als all die paradierten Klischees.
Denn der Clou des Stücks ist auch seine Schwäche, die Umkehrung der Geschlechterverhältnisse sein einziger Inhalt. So verkehrt, besticht das alltägliche durch seine Absurdität, seine dreiste Selbstverständlichkeit, seine Arroganz der Privilegierten. Aber das läuft sich eben auch recht schnell tot. Man, pardon, frau hat bald begriffen, wie die Häsin läuft, freut sich über die mit mittlerem Tempo und komödiantischem Gestus – wobei vor allem Böwe karikieren und überzeichnen darf, dass es eine Lust ist – voregebrachten Momente des Wiedererkennens, die meist so nett boulevardesk aufbereitet sind, dass sie nicht wehtun. Selbst intensivere Augenblicke – wenn sich Azubi-Florian auf dem Klo versteckt oder Immobilien-Flo seine Beziehung verändert, werden rasch weggelacht, Gottwalds Song-Einlagen, mit todtraurigem Blick vorgetragene Klischeelieder weiblicher Hingabe, berühren, wenn, dann nur kurz. Die frische Beziehung des Azubi-Florians ist denn auch nur eine nette umgedrehte Beziehungsmachtstudie, der man allerdings wahnsinnig gern zusieht, weil Jenny König die Alpha-Frau mit einer virtuosen Unnachgiebigkeit auf die Bretter nagelt, dass es eine Lust ist.
Nur zwei Momente durchbrechen den Wohlfühl-Kokon des Abends: einmal, wenn Böwes Daniela den Azubi unter dem Vorwand, eine Lotion auszuprobieren und seine Entspannungen zu lösen, nötigt, sein Hemd auszuziehen – was der Schauspieler-Flo im Übrigen ständig tut, sich seines Kapitals als Sexobjekt wohlbewusst und das sexistische Spiel zum eigenen Vorteil mitspielend – und den wehrlos Erstarrten nach allen Regeln des Missbrauchs begrabscht. Der ohnmächtige Schrecken, die verzweifelte Resignation in Moritz Gottwalds Blick wird frau nicht so leicht los. Und dann der Schluss. Da bleibt Gottwald zurück, ein Ausbruchsversuch gescheitert, ein Häufchen Hilflosigkeit, singt „What’s Going On?“, geht ab, vermutlich um sich weiter irgendwie durchzuquälen, denn die Dinge sind halt, wie sie sind. Da spürt frau ganz kurz, was systemischer Sexismus mit Menschen tut, wie er sie verformt, einhegt, bricht. Da wirkt die Geschlechterumkehrung plötzlich in brutalster augenöffnender Weise, wo sie sonst viel zu oft witzig harmloses Spiel bleibt, auch weil weder Zade noch von Mayenburg besonders bemüht scheinen, die Stück-Prämisse weiterzuentwickeln. So bleibt der Abend Skizze, Komfortzonen-Komödie und viel zu langer Sketch. Brav halt – wie sein Protagonist.