„Liebe ist hardcore!“

Zelal Yesilyurt nach William Shakespeares Romeo und Julia: Benvolio + Mercutio. Du bist mein Lieblingsort auf der ganzen Welt, Babe!, P14 – Jugendtheater der Volksbühne Berlin (3. Stock) (Regie: Zelal Yesilyurt)

Von Sascha Krieger

Damit kann er gar nicht umgehen: Wenn Romeo, der Inbegriff bedingungsloser jugendlicher Liebe mal nicht im Mittelpunkt steht. So wie in den ersten Minuten von Zelal Yesilyurts Shakespeare-Überschreibung im dritten Stock der Volksbühne. Gerade versuchten seine besetzten Freunde Benvolio und Mercutio im noch Ratschläge in Sachen Liebe zu geben, da bemerken sie, wir und mit einiger Verzögerung auch der eben noch Angesprochene, dass es plötzlich gar nicht mehr um ihn geht: Im Appell, an einer einmal errungenen Liebe festzuhalten, komme was wolle, und nicht ständig Ausschau zu halten, ob es nicht noch etwas „Besseres“ gäbe, treffen sich nicht nur die Blicke, sondern auch die Herzen der beiden Ratgeber. „Ich glaube, dass es hier nicht mehr um mich geht“, erkennt der Namensgeber eines universellen Typus des Liebenden erstaunt – und hat Recht. Die Sprunghaftigkeit seiner Person spinnt Yesilyurt konsequent zum Klischeebild eines allem, was atmet (eine Aussage, die später auch fällt), hinterher laufendem „Fuckboy“ (auch ein Zitat) weiter, der sich durch die Betten Veronas schläft und für den auch die „größte aller Lieben“ nur Episode bleibt.

Foto: Kakhi Mrelashvili

Das Gegenbild bilden seine „Sidekicks“, bei Shakespeare eher vernachlässigt und funktionalisiert. Hier finden sie die große schwule Liebe, die sie schnurstracks in den Darkroom führt. Die Interpretation der beiden als queeres Paar ist nicht neu, die radikale Fokusverschiebung des Stücks dient hier als Symbol für das hinter gesellschaftlich genehmen Narrativen Verdrängten. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, mussten Benvolio und Mercution blasse, eindimensionale Anhängsel der staatstragenden und weltverändernden heterosexuellen Liebesideologie bleiben, die bis heute Jung und Alt in ihren Bann zieht. Yesilyurt dreht den Spieß um: Nicht nur verzwergt sie Romeos pubertäre Selbstüberhebung und befreit die unbedingte Liebe aus dem Erwartungskorsett von 500 Jahren Shakespeare-Rezeption, sie subvertiert gleich den gesamten Erfahrungsraum: Ihr Verona ist eine vollkommen schwule Welt (auch Romeo „liebt“ einen Giulio, keine Julia), in der die gleichen Machtmechanismen wirken wie bei Shakespeare und doch alles anders ist.

Auch weil es eine jugendliche Welt ist: Alle Figuren befinden sich irgendwo auf der Skala des „Coming-of-Age“-Prozesses, verlieren sich irgendwo zwischen Einsamkeitsängsten, sexueller Abenteuerlust und Liebessehnsucht. Sie sind Party Animals, in wildem lustvoll Genderklischees umherwerfendem Stilmix gekleidet, Romeo (Luis Huayna) in weißem Drag-Queen-Kleidchen, Benvolio (Milan Herms) mit blauem Dandy-Anzug und -Schal über bauchfreiem Top, Mercutio (Ben Engelgeer) in klassisch schwuler Tanktop-Ästhetik, beide mit Gay-Club-tauglichem Make-up versehen. Andere Spieler*innen „zieren“ wilde Mischungen aus Renaissance, Pierrot-Kostüm und Netzhemd. Alles geht und darf ausprobiert werden. Ironisch jongliert der Abend mit Klischees, Schwulen-Stereotype werden mit größter Lust ausgebreitet und selbstbewusst durchexerziert, das Klischee zurückerobert und ins Repertoire freier Selbstbestimmtheit zurückgeholt.  Wenn Benvolio  und Mercutio auf Inlineskates sich in einen Liebesrausch tanzen, ist das natürlich pubertär albern und lässt doch kein Herz unberührt. Die unbedingte, von der Welt unberührte Liebe bleibt auch hier Illusion, und erhält doch ihr Existenzrecht als zwar vergänglicher, aber unbezahlbarer menschlicher Entwicklungsmoment wieder.

Was am Ende droht, führt der vierköpfige Freundeschor vor, der sich in kleinlichen Beziehungsvivisektionen verliert, sich gegenseitig das Erstarren in Routinen vorwirft, um am Ende kleinlaut in den gemeinschaftlichen Schoß zurückzukehren. Denn die Alternative ist noch unerträglicher: Der Prinz (Leander Dörr) und Tybalt (Finn Michelis) erweisen sich nur deshalb als entweder narzisstische oder gewalttätige Jammerlappen, weil ihnen die Liebe fehlt, die sie – vielleicht – bei einander finden. Und die natürlich auch den Titelfiguren entgleitet. Der Versuch, den Rausch festzuhalten, endet in der Trennung: Mercutio wird Verona zu klein, zu kalt, zu feindselig. Während seine Polkappen schmelzen und Menschen leiden, habe er kein Anrecht auf Glück, meint er und müsse fort. Spielerisch und mit leichter Hand hält hier die sich eben nicht ausblenden lassende Welt Einzug, werden aktuelle Diskursbällchen im Assoziationspingpong hin und her gespielt. Eine Intervention findet statt, Motivationsphrasen werden ausgekippt, eine sehr heutige Selbstoptimierungs- und Effizienzideologie lustvoll persifliert.  Da mutiert Pater Lorenzo (Caspar Unterweger) Aufrechterhalter traditioneller Moral zum Drogendealer – nüchtern lassen sich konservative Lebensmodelle nicht mehr ertragen.

Am Ende stecken alle drin im Dilemma, den eigenen Weg finden zu wollen – und sollen – und doch hineinzupassen in das, was ihnen als Realität verkauft wird. Alle sind lächerlich und albern, alle authentisch und ehrlich. Der Weg zum Glück führt über die Lächerlichkeit. Mercutios Flucht scheitert, Benvolio gefällt sich in der Rolle des verlassenen Opfers, Egos erlauben eine Wiederannäherung erst, als es zu spät ist und ein Shakespearescher Plot-Twist zitiert ist. Wobei sich überhaupt die Ebenen mischen: Jugendsprachliche Drastik steht neben Shakespeare-Monologen und leicht Pollesch-gefärbten (wir sind schließlich bei P14) Diskursfetzen. Alles fließt und taumelt und hüpft lustvoll in einander, wie in einem Labor werden die Stufen junger Verliebtheit und durchs Erwachsenwerden verursachter Korruption analysiert und rollen doch in eins: in Verwirrung und Neugier, in unschuldig verruchtes Ausprobieren und narzisstisch bedingte Glücksverweigerung. Das Ich steht im Weg und ist doch der einzig begehbare Pfad. Am Schluss steht der Chor (Emil Heusinger, Luis Krummenacher, Pepe Röpnack und Julian Winterstein), an der Rampe und fordert das Publikum auf zu lieben: „Lieben Sie! Lieben Sie hart! Lieben Sie sanft! Lieben Sie ehrlich! Lieben Sie bedingungslos! Lieben Sie radikal!“ Denn: „Liebe ist hardcore.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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