„Einer muss es ja tun“

Martin Behnke und Burhan Qurbani: Kriegsbeute, Berliner Ensemble (Kleines Haus) (Regie: Laura Linnenbaum)

Von Sascha Krieger

Eine Art Ausguss hat Valentin Burmeister auf die Bühne des Kleinen Hauses des Berliner Ensembles gestellt. Vier dreieckige geflieste Flächen streben einem mittigen Gulli zu, die Abwässer, Ausscheidungen, Kollateralschäden einer überaus erfolgreichen Familie aufnehmend. Die Blochs nennen Burhan Qurbani und Martin Behnke sie, die mit Kriegsbeute ihre erste Theaterarbeit abliefern. Als Filmemacher arbeiteten sie sich bislang an zentralen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit ab, an der Stellung der muslimischen Bevölkerung in unserem Land oder an der Hartnäckigkeit rassistischer und rechtsextremer Umtriebe. Mit Deutschlands Rolle in der Welt, seiner Friedensphilosophie auf der einen, dem Status als einer der weltweit größten Waffenexporteure auf der anderen Seite befasst sich nun ihr erstes Stück, mit dem das zum Amtsantritt von Intendant Oliver Reese gestartete Autoren-Programm des Berliner Ensembles nach eineinhalb Jahren und dem Verlust des ursprünglichen Koordinators Moritz Rinke (der mittlerweile zum benachbarten Deutschen Theater abgewandert ist) endlich nach eineinhalb Spielzeiten sein erstes Ergebnis zeitigt. Viele Premieren also, da passt das Berlin-Debüt von Regisseurin Laura Linnenbaum gut ins Bild.

Bild: © JR Berliner Ensemble

Die den Text des Duos ordentlich kürzt, wenn auch vielleicht nicht konsequent genug. Vieles packen Behnke und Qurbani hinein: ein Familiendrama, Satirisches, eine Farce, ein bisschen Dystopie und Pseudo-Dokumentarisches. Gerade diese Einsprengsel, Nachrichtenmeldungen einer nahenden krisenhaften Zukunft, gehören zu den redundanteren Aspekten des Uraufführungsabends, versuchen sie doch eine Geschichte in ein größeres Ganzes einzubetten, die einer solchen gar nicht bedarf. Dass es hier um mehr geht als um die Befindlichkeiten eines Familienclans, ist von Beginn an nicht zu übersehen. Denn die Blochs sind Waffenhändler, Inhaber eines großen Konzerns, der überall hin liefert, gern auch in Krisengebiete, denn, so sagt es das inoffizielle Familienmotto: „Einer muss es ja tun“. Autoren und Regisseurin schicken das Unternehmen nun in die existenzielle Krise: Familienoberhaupt Friedrich (Martin Rentzsch) beschließt von einem Tag auf den Anderen, sein Vermögen der Wohltätigkeit zu widmen und sein Unternehmen zu zerschlagen. Das ruft die Nachkommen auf den Plan. Marie, die mit dem Vater die Geschäfte führt, Pazifist Johannes und das Ingenieurspaar der nicht namentlich genannten Zwillinge. Der älteste Sohn Peter ist vor vielen Jahren verschwunden, der Krebs-Tod der Mutter vermeintlicher Aufhänger der Wandlung des Patriarchen.

Auch wenn die Herleitung dieses Wandels ordentlich knarrt und dramaturgisch auch sonst nicht alles wie geschmiert läuft, gelingt dem Abend der Spagat zwischen den zahlreichen zitierten Genres. Auch weil sich die Regie zurückhält. Linnenbaum überbetont nicht, sondern reduziert eher. Die Akzente sind subtil, aber wirkungsvoll: die pointierten Kostüme Michaela Kratzers, etwa die irrsinnigen Schulterpolster der pflichtbewussten Marie von Annika Meier, die hingetupften Slapstickandeutungen und Gruppenchoreografien, die feinen Verschiebungen der konfrontativen Konstellationen und Aufstellungen, welche die Dynamik kippender Allianzen visualisieren oder die nuancierte Lichtregie, die virtuos mit Licht und Schatten spielt. Denn solche gibt es genug, unter den Teppich (bzw. das Parkett) gekehrte und verdrängte Schuld, Lebenslügen und die Mär vom „Haus des Friedens). So geordnet hier alles scheint, so sehr ist es doch – die Bühne lässt grüßen – schon immer im Rutschen begriffen. Und so braucht es gar keine großen Überzeichnungen, um die grotesken Verzerrungen der Familie deutlich zu machen: Lustvoll zelebriert Gerrit Jansen, gewandet irgendwo zwischen Hippie und Zuhälter, die Heuchelei seines parasitischen Pseudo-Pazifisten Johannes, passend schizophren mit Puppenkopf an der rechten Hand die Zwillinge Owen Peter Reads. Etwas überflüssig der Peter-Wiedergänger und Dauersöldner Simon (Oliver Kraushaar) und die unvermeidliche Haushälter- (und uneheliche Firmenchef-)Tochter Leao (Nora Quest) – ganz klischeefrei geht es bei den Theaterneulingen Behnke und Qurbani nicht zu.

Doch das sind – wie das etwas ideenlose Ende – Schönheitsfehler an einem über weite Strecken durchaus stimmigen Abend. Gerade weil sich Linnenbaum bezüglich der Grundtonalität nicht festlegt. So grotesk und absurd sich der Verteilungskampf zuweilen ausnimmt, so präzise beobachtet und seziert die Regie die sich immer wider verschiebenden Machtkonstellationen, so fein arbeitet sie die Widersprüchlichkeit der Standpunkte und den Egoismus jedes Einzelnen heraus. Auch des Patriarchen: Diesen Friedrich spielt Rentzsch auch als Wohltäter als ausgemachtes Ekelpaket, als Narzissten und Egomanen, für den der Charity-Drive wenig mehr ist als eine weitere Ich-Manie, als ein ganz Ich-zentriertes Rettungsmanöver. Und zugleich eine existenzielle Krise: Wenn Simon Friedrichs verdrängtes Gewissen gibt, ihm auf die Macht symbolisierende und am Schluss mehrfach den Träger wechselnde Riesenschleppe tritt und ihn zwingt, traumatische Erlebnisse zu rekapitulieren, wird es plötzlich ganz still: Friedrich windet und wehrt sich in stiller Verzweiflung, tanzt einen Geistertanz, wie sich die Gespenster immer wieder  manifestieren, die Schatten länger werden und von der Welt der Blochs Besitz ergreifen.

Immer wieder findet Linnenbaum solche Momente gespenstischer Stille, in denen die Toten, die Opfer schweigend Präsenz erlangen, nur um am Ende in gleißendem Licht hinweggefegt zu werden. Die Gratwanderung zwischen Farce und Kammerspiel, zwischen Slapstick und Geistertanz gelingt über weite Strecken und vergrößert das Bild. Denn natürlich stehen die Blochs für eine Gesellschaft, die sich als friedlich und friedenserhaltend geriert und zugleich mehr oder weniger gleichgültig Krieg exportiert. „Einer muss es ja machen“. Das sagt auch Marie, wenn sie schließlich den Vater erschießt – mit einer Bloch-Pistole, versteht sich. Der Familienwohlstand wie jener der Gesellschaft hat einen Preis, einen, den wir nur zu oft zu zahlen bereit sind. Die Moral landet dann schnell im Ausguss. Das ist absurd, tragisch, gespenstisch und beängstigend. So wie dieser im besten Sinne unentschiedene, Lücken lassende, Brüche betonende Abend. Kein schlechter Auftakt für Oliver Reeses Herzenszprojekt.

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