Die sich selbst zerlegen

Oliver Frljić: Gorki – Alternative für Deutschland?, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Oliver Frljić)

Von Sascha Krieger

Es klingt eigentlich wie der Titel eines Uni-Seminars: „Über die repräsentative Schwäche des Theaters und der Demokratie“ untertitelt Oliver Frljić seine erste Arbeit am Maxim Gorki Theater. Doch wer den kroatischen Regisseur kennt, weiß, dass es bei ihm in der Regel um einiges härter und konfrontativer zugeht als an einer durchschnittlichen deutschen Hochschule. „Mut zur Wahrheit“ steht zunächst auf den eisernen Vorhang. Das ist der Slogan der rechtsextremen AfD – geschrieben ist er aber im Schriftdesign des ersten postmigrantischen Stadttheaters im deutschsprachigen Raum. Und Frljić fackelt nicht lange: Mit aggressiver Mimik und Gestik treten sie an die Rampe und schleudern dem Publikum Zahlen und Fakten zum Gorki ins Gesicht. Zum Beispiel den Passus in dessen Stellenausschreibungen, dass Menschen mit Migrationshintergrund bevorzugt würden. „Es findet eine positive Ausgrenzung statt“, lautet das Fazit. Und was bedeutet das eigentlich für die Schauspieler*innen ohne „Hintergrund“? Sind sie zu schlecht für „richtige“ Theater? Und was, wenn sie einfach mal wirkliches Theater spielen Wollen, statt den üblichen Betroffenheitseinheitsbrei? Und überhaupt: Frauen inszenieren hier auch nicht häufiger als anderswo, in diesem „Theater für Randgruppen“, das ja eigentlich ebenso ausgrenzt wie die, gegen die zu stellen es sich auf die Fahnen schreibt. Und gibt ein solches theater nicht den anderen, „weißen“ einen Freifahrtschein, sich nicht zu diversifizieren, denn dafür gäbe es ja das Gorki?

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Bild: Esra Rotthoff

Oops, da ist der Rezensent ja direkt reingeraten in die diskursive Perfidie, die Frljić sein Septett absondern lässt. Es ist ein furioser Start: Frljić nutzt die Mittel des Gorki und wendet sie gegen ihre Quelle. Pseudo-Improvisationen, Selbstfeflecionen und Biografischen werden bei ihm zu einem Diskursmix, der ständig über sich selbst herfällt, die eigenen Prämissen und Absichten untergräbt, immer wieder in sein Gegenteil kippt. Aus Affirmation wird Protest, aus Zustimmung, Hetze. Als Falilou Seck sein eigenes Klischee anklagt, fallen die anderen über ihn her und wehren sich anschließend gegen eben diesen Regieeinfall. Die kroatische Newcomerin muss sich regelrecht prostituieren, um Aufnahme zu finden, was in einem Wechsel aus Hasstirade und flehendem Betteln endet, bevor Mareike Beykirch und Svenja Liesau mit anrührenden autobiografischen Geschichten um ihren Job kämpfen müssen, denn für zwei weiße Frauen sei hier kein Platz. Mittels Applaus soll das Publikum entscheiden, wer bleibt, und wird natürlich gleich angezählt, was es denn da täte. Wie überhaupt – wie immer bei Frljić – der Zuschauer als Komplize, als Nichthandler oder unreflektierter Beifallklatscher in Mitverantwortung genommen wird.

Die erste Hälfte des Abends ist ein Strudel aus Klischees, Selbstbehauptungen, Anfeindungen und Selbsthinterfragungen. Jegliche politische Setzung dieses Theaters und seiner Programmatik erscheint angreifbar – von den „Rechten“ wie von den „Linken“, sieht sich einer kaum aufzulösenden Ambivalenz aus positiver und negativer Bewertbarkeit gegenüber, welche die Gewissheiten dieses Hauses und das wohligen Überlegenheitsgefühl seines Publikums aufs Korn nehmen, in dem sie es bloßstellen – und dies mit den bewährten künstlerischen und diskursiven Mitteln dieser Bühne. Falilou Seck will sich nicht mehr rechtfertigen, als mensch mit dunkler Hautfarbe auf einer deutschen Bühne zu stehen, während Till Wonka eben das Deutschsein dieses Theaters vermisst. Man spricht eigene Texte, zitiert aus Theaterkritiken und theoretischen Schriften, aber auch aus AfD-Texten. Alles vermischt sich und kann von einer Sekunde auf die andere kippen, nein, in ein und derselben eines und dessen Gegenteil sein. Ist das Gorki, wie der Titel fragt, eine Alternative, oder spielt es nicht nur das Spiel derer mit und denen in die Hände, die sich selbst als eine solche titulieren?

Der Zuschauer ahnt, wo die Antwort liegen könnte, erkennt aber auch die Gefahr, welche die schwarz-weiße Unterteilung in gut und böse, die diesem Haus nicht fremd ist, bietet, versteht, wie schnell das eine in das andere zu kippen vermag und Gutgemeintes nicht immer gute Auswirkungen haben kann. Bis hierhin ist der Abend ein auf- wie anregendes Stück theatraler und performativer Selbstuntergrabung, eine Serie sich auftürmender Infragestellungen, in der nicht unwidersprochen bleibt. Hier versinkt sich das Gorki in seinem eigenen Vokabular und Instrumentarium und nutzt es mit einiger Aggression und Energie, um die eigene Fassade anzukratzen und zu schauen, was dahinter liegt.

Das ist wörtlich zu verstehen. Irgendwann fällt der Eiserne und ein großes Modell des Theaters (Bühne: Pauška) erscheint. Bald wird es zerlgt und gibt den Blick frei auf ganz deutsche Angsträume, private und öffentliche. Seck trägt mit verzerrtem Ton einen text des AfD-Ideologen Marc Jongen, Mareike Beykirch bekommt eine Wehrmachtsuniform angezogen, die sich aus Einzelteilen zusammensetzt, die alle Darsteller*innen zuvor unbemerkt getragen haben. Ein stimmiges Bild, das gleich textlich unterlegt wird: Das führen AfD-Zitate direkt in Texte Joseph Goebbels‘ über die Ausnutzung der Demokratie mit dem Ziel ihrer Abschaffung. Die Wurzeln des Totalitarismus liegen mitten in unserer Gesellschaft, sagt uns das. Erkennen wir sie, ist es oft bereits zu spät. Da ist der Abend längst seine eigene Karikatur geworden, eine Verkörperung des gleichen eindimensionalen didaktischen Theater, das er zuvor so virtuos auseinandernahm und durchleuchtete, eine Kopfnick- und Hirausschalt-Verantstaltungen für ein längst wissendes Publikum. So beißt sich dieser zunächst aufwühlende Abend selbst in den Schwanz und spürt den Schmerz nicht. Das ist weniger schade als ärgerlich. Doch dass sich Ärger erkenntnisbringend verwerten lässt, hat der erste Teil gezeigt. Noch ist die Hoffnung ebenso wenig tot, wie die Untoten, von denen Oliver Frljić erzählt.

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