„Ich lenke, also bin ich“

andcompany&Co.: COLONIA DIGITAL: The Empire Feeds Back, Hebbel am Ufer (HAU1), Berlin

Von Sascha Krieger

Es soll ja immer noch Leute geben, die überzeugt sind, dass sich dieses Internet nicht durchsetzen wird. Vielleicht sollte es das auch gar nicht. Denn irgendwie ist es ja längst außer Kontrolle geraten, hat seine Mitte verloren, Sender und Empfänger sind nicht mehr zu unterscheiden, aus Kommunikation wurde ein rauschen. Das vielleicht wir selbst geworden sind? In ihrer neuen Arbeit begeben sich andcompany&Co. – diesmal tatsächlich nur das dreiköpfige Kernteam aus Alexander Karschnia, Nicola Nord und Sascha Sulimma – auf die Spuren eines Absturzes. Exkommuniziert seien sie, berichten sie zu Beginn, aus der Kommunikation ausgeschlossen, hinweggerafft von einer Datenflut, die unkontrollierbar wurde. Draußen tobt jetzt ein Datensturm, der alles hinwegfegt. Die Rache von Big Data. Zuflucht bietet ein, nun ja, Kontrollraum. Nachempfunden ist er dem, den der chilenische Präsident Salvador Allende bauen ließ. Von hier aus sollte Cybersyn gesteuert werden, ein vom britischen Kybernetiker Stafford Beer konzipiertes Netzwerk, das die gesamte chilenische Wirtschaft steuern sollte. Nach Pinochets Putsch und Allendes Ermordung wurde das Programm aufgegeben.

Bild: Sascha Krieger

Für andcompany&Co. stellt Cybersyn so etwas wie ein Gegeninternet dar, eine sozialistische, am Gemeinwohl ausgerichtete Alternative zum Internet der Konzerne, zum Netz der Datensammler. Das ist natürlich zu plump, um es so deutlich auszusprechen. Also redet man knapp anderthalb Stunden fast ununterbrochen um den lauwarmen Brei herum. Assoziativ und wortspielerisch, wie man es von der Gruppe kennt, geht es um Kontrolle und Beherrschung – und den Unterschied beider – um Kommunikation, um das Wesen von Systemen. „Der Zweck eines Systems, ist, was es tut“, erklärt Karschnia anhand eines verwirrenden Diagramms. Oder kurz: „ZESIWET“. Die Lust der Internet-Industrie an Akronymen aufs Korn nehmen? Check. Überhaupt hat man Spaß an leicht zu versenkenden Gags. Hier ein paar Trump-Anspielungen, die gehen schließlich immer, dort eine Nachstellung der berühmten Computer-Abschaltszene aus 2001. Es sind nicht die schlechtesten Momente des Abends, der ansonsten  mit seiner Überforderungslogik kokettiert.

Unablässig ergehen sich die drei in Streitgesprächen. Wer auf welcher Seite steht, worum es überhaupt geht, welche Positionen sich gegenüberstehen, verfliegt schnell in einer Wortflut, die jene der Daten für den leidenden Zuschauer ein wenig nachvollziehbarer macht. Auch die Bühne ist überladen. Verpixelte schwarz-weiße Bildfragmente sind zu einer Papplandschaft zusammengestellt, die sich als labyrinthisches Tunnelsystem durchkriechen lässt, was die drei denn auch ausgiebig tun. Ob man drin ist oder draußen, ist entscheidend, aber nie so richtig zu bestimmen, weil keiner mehr weiß, was das eigentlich sein soll. Drei Kontrollsessel stehen im Raum, die aussehen wie aus einer  No-Budget-Scifi-Serie der Sechzigerjahre. Satellitenbilder flimmern über die Bildschirme, Bildfluten oder auch Dokumentarisches wie Bilder von der Beerdigung des chilenischen Nationaldichters Pablo Neruda. Allende erscheint als Roboter-Bild und erzählt etwas vom neuen Menschen.

Der Abend ist ein wildes Potpourri aus Internetskepsis, Utopie-Nostalgie und der Lust an der Unberechenbarkeit der Sprache. Doch ist das gedankliche Konzept zu eng, um die vielen losen gedanklichen Enden ihren Weg suchen, die Assoziationsketten und -türme frei mäandern zu lassen. „Ich lenke, also bin ich“, heißt es einmal. Die Kontrolle, die angeblich verloren sei, halten die drei in ihren roten Ganzkörper-Anoraks, Verzeihung, Schutzanzügen, und den Achtzigerjahre-Headsets, fest in der Hand. Hier die böse neue Welt der Datenflut, dort die gute Utopie. Da kann man noch so lustvoll vom Hundertsten ins Millionste kommen und durch Kontrollebenen hetzen, an der spitze steht doch nicht, wie von Allende erhofft, das Volk, sondern andcompany&Co. Und die Kleider, die ihr Diskursfeuerwerk trägt, scheinen von Hans Christian Andersens Kaiser geborgt. Bald stellt sich der Verdacht ein, dass all das aufgefahrene Material, die Sprachgewalt, die Überforderungsmaschine nur davon ablenken soll, dass der Abend darunter nackt ist, dass seine Substanz nur leere Behauptung ist, ein vages, Gut-Böse-Schema, dem argumentative Kraft zu verleihen bei allem Aufwand nicht recht gelingen will. Oder um im Duktus zu bleiben: COLONIA DIGITAL ist eine einzige Feedback-Schleife, die sich nur selbst füttert.

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