Der rote Hahn kräht nicht

Rainald Grebe: fontane.200: Einblicke in die Vorbereitungen des Jubiläums des zweihundertsten Geburtstags Theodor Fontanes, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Rainald Grebe)

Von Sascha Krieger

Rainald Grebe und Brandenburg verbindet eine nicht ganz leichte Beziehung. Zum einen lebt der Kabarettist, Musiker, Theatermacher und vermutlich noch einiges mehr bereits seit Jahren in dem Bundesland, zum anderen verdankt er seine Popularität zu einem nicht geringen Teil seinem Lied „Brandenburg“, die als Hommage an das Land zu bezeichnen einige Argumentationskraft erfordern würde. „Es gibt Länder, wo was los ist“, singt er da. „Und es gibt Brandenburg.“ Wenn er sich nun Theodor Fontane widmet, der, wäre Brandenburg eine Nation, zweifellos ihr Nationaldichter wäre, geht es natürlich eben auch um die Region, die bei dem Spätstarter, der mit 60 seinen ersten Roman veröffentlichte und im kommenden Jahr 200 Jahre alt würde, stets Dreh- und Angelpunkt war. Ach ja, das Jubiläum. Das ist der Anlass dieses Abends. Grebe habe eine Anfrage bekommen, sich zu beteiligen, berichtet er auf der Bühne – und das entspricht wohl auch der Wahrheit. Statt in Neuruppin 2019 spielt er seinen Fontane-Abend jedoch jetzt schon, in Berlin. Das ist vielleicht auch besser so.

Bild: Thomas Aurin

Denn schon sind wir mittendrin im Dilemma dieser zwei Stunden: Soll es um Brandenburg gehen, um Fontane oder vielleicht den Jubiläums-Irrsinn, den Grebe gegen Ende auch explizit anspricht. Kaum sein das Fontane-Jahr zu Ende, beginne schon das Beethoven-Jahr. „Hauptsache weiß, männlich, tot“, sagt er. Und geht zum nächsten Programmpunkt weiter. Womit der Abend schon beschrieben wäre. Eine mal wildere, meist reichlich gemächliche Nummernrevue wird gegeben. Los geht’s mit Brandenburg-Satire. Damir Avdic gibt erinen tumben Radiomoderator, der Show ist und den Substanz wenig interessiert. Seine Hörer*innen verabschiedet er mit den Worten „Kommen Sie gut aufs Gehöft!“. In diesem Brandenburg wimmelt es vor nicht minder klischeehaften Honoratior*innen und Kunstfunktionären. Axel Wandtke gibt den Chefplaner des Jubiläums – die Prämisse des abends ist ja, einen vermeintlichen Einblick in die Planungen zu geben – mit viel Tourismusmarketinggedöns und tollem Hüftschwung, Iris Becher eine hyperenthusiastische Klischee-Kuratorin, die von immersiven Fontane-Erlebnissen schwafelt und von der VR-Brille fast einen Orgasmus kriegt, während auf der Rückwand, die zunächst schön klischeehaft eine platte Mark-Landschaft zeigte, ein eigentlich sehr starker selbstgedrehter Effi-Briest-Stummfilm läuft, der im ihn umgebenden Klamauk-Irrsinn leider ziemlich verpufft.

So richtig weiß der Abend eben nicht, was er will. Irgendwann scheint er sich darauf zu einigen, sich Fontanes Werk zu nähern. Aber wie? Mit überdrehten Soap-Kurzversionen der Romane, die bald ermüden? Einem schnell entgleisenden Nachspielen des deutsch-dänischen Krieges mit Zinnsoldaten, wie es Florian Anderer virtuos gelingt? Mit Stechlin-Szenen im Miniatur-Puppenhaus? Oder mit Lesungen aus dem Briefwechsel zwischen Fontane und seiner Frau, vorgetragen von Anderer und Tilla Kratochwil, hoch oben schweben auf Fontane-Zeit-Stühlen, wissend, dass der Abstieg kommen muss? Oder liegt der Schlüssel vielleicht im Singen von Fontane-Vertonungen, wie sie Grebe-Veteran Jens-Karsten Stoll hoch oben meisterhaft begleitet? Manches davon geht nahe, etwa die Brief-Ausschnitte oder einige der Lieder. Da deutet sich so etwas an wie eine Annäherung an Fontane, ein Versuch, seine Faszination zu verstehen, indem man den Menschen, den Mann, der einen so langen Weg zurück legte, bis er der Schriftsteller wurde, den wir zu kennen glauben, in den Blick rückt.

Doch zu wenige dieser Momente gibt es, zu sehr will ein witziger und – wichtiger noch – ironischer Einfall den nächsten jagen. Vielleicht wollen die karikaturesken Fontane-Verwurstungen das verknöcherte, Abiturtext-belastete Fontane-Bild aufbrechen, neue Sichtweisen zu lassen, doch geht das im allgemeinen Gelächter bald unter. Es muss ja auch noch Platz sein für klassische Grebe-Momente, etwa wenn er mit Ruderboot und Taucheranzug von einer irrwitzigen Suche nach dem „Roten Hahn“, dem mythischen Unglücksbringer aus dem Stechlin berichtet oder immer mal wieder für eines seiner ironischen Bonmots das Bühnengeschehen unterbricht. Der Irrsinn, den Grebe so treffend in unserer tolerant-selbstverliebten Gegenwart zu finden vermag, leuchtet immer wieder auf, aber in homöopathischen Dosen und meist eher unabhängig von dem, was sonst gerade auf Jürgen Liers Bühne passiert.

Was mit „Nummernrevue“ ausreichend beschrieben ist. Immer wieder fährt die Kamera durch, natürlich leere und waldige, Landschaften, man wechselt zwischen Klamauk und ernst, Jubiläumssatire, Fontane und Brandenburg-Bashing, streut Musiknummern ein – auch schön abwechselnd zwischen Ernst (Fontane) und Ironie (das Beste von gestern, heute und vorgestern) – wie überhaupt der Abend streng darauf achtet, dass auf jeden ernsthafteren Ton ein klamaukiger folgt, der die Wirkung des vorangegangenen relativiert und allzu oft auch aufhebt. Da kann Tilla Kratochwil noch so anschaulich aufzeigen, dass Fontanes Romanen den Bechdel-Test, der untersucht, wie ernst ein Auto seine Frauenfiguren nimmt, nicht besteht, das ist in der nächsten Szene schon vergessen. Wo Gegenwartsbezug oder gar politische Analyse aufscheinen, wo man an der Oberfläche kratzt, wird es sofort wieder weggespült. Der Ethnozentrismus der Jubiläumsindustrie? Das hinterfragbare Image Fontanes als Erschaffer großer Frauenfiguren? Sein Status als Vorgänger heutiger „Groschenroman“-Autor*innen? Alles kurze Streiflichter, die nicht weiter interessieren. Rainald Grebe kann und will sich nicht entscheiden, was er mit dem Abend anfangen will, also macht er das, was er am besten kann: unterhalten. Gern albern, manchmal leicht anarchisch, stets sprachgewandt. Und ach, wie beliebig!

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