Der Frosch, der kein Prinz war

Dietrich Brüggemann: Vater, Deutsches Theater (Box), Berlin (Regie: Dietrich Brüggemann)

Von Sascha Krieger

Das kann ja heiter werden. Ein sterbender Vater liegt komatös und unbeweglich im Krankenbett, der Sohn sitzt rat- und hilflos daneben. Soviel ist noch zu sagen, abzurechnen, zu erfahren, doch es ist zu spät. Es wird keine Aussprache mehr geben, werden keine Geheimnisse mehr enthüllt oder Rechnungen beglichen. Stattdesen 90 Minuten anreden gegen die Stille, monologische Auseinandersetzung mit, Emanzipation mit der Vaterfigur. Geschrieben und inszeniert von Dietrich Brüggemann, Filmemacher und Theaterdebütant, der uns vor ein paar Jahren mit Kreuzweg eine der formstrengsten und herausforderndsten Arbeiten des jüngeren deutschen Films servierte, sperrig, anstrengend, aufwühlend. Der aber, und das darf man nicht vergessen, auch ganz anders kann: Denn nach Kreuzweg folgte mit Heil eine Rechtsextremismus-Satire der grellsten Sorte. Und zuvor hatte er sich mit Filmen wie Renn, wenn du kannst und 3 Zimmer/Küche/Bad als Spezialist für zwischen Aufbruch und Scheitern verlorene, nicht recht erwachsen werden wollende frühe und mittlere Zwanziger erwiesen. Und genau da setzt er jetzt an. Zehn Jahre später ist es jetzt ein Mittdreißiger namens Michael, besagter Sohn des längst abwesenden Vaters. Weitergekommen ist er nicht.

Bild: Arno Declair

Brüggemann beginnt den Abend mit einer Überraschung: Michael erhebt sich von der Seite des Kranken, geht zum Bühnenrand und holt das Handy hervor, liest eine SMS vor, von seiner letzten Flamme. Keine Überraschung: Sie macht Schluss. Das gegenüber ist nun nicht der Vater, sondern das Publikum. Vor ihm, uns, wühlt sich Michael durch sein Leben im Spannungsfeld zwischen Vaterfigur – ein Womanizer, anspruchsvoll, oft abwesend – und stets asymmetrischen Beziehungen zu Frauen. Da ist Desiree, die er will und nicht haben kann. Und Katja. Auch die himmelt er an, sie will nur Freundschaft. Dann wendet er sich Desiree zu, für einen kurzen Moment scheint da etwas zu gehen, und plötzlich ist es Katja, die ihn will, aber er sie nicht mehr so recht. Man kommt trotzdem zusammen, irgendwie, doch sie will ein Kind, er kann sich nicht entscheiden, sie ist weg. Es folgt Nadja, die mit der SMS, die einen Freund hat. Man hat einmal Sex, dann ist sie weg. Aber etwas anderes es ist da. Es ist kompliziert. Auch weil es Sven gibt, den Freund und erfolgreichen Familienvater, der auf alles eine Antwort hat. Was ihm dann die Ehe und Familie kostet. Am Ende geht der Vater, ein neuer ist im Anmarsch, man bleibt im Wartesaal des Lebens. Oder im Vorhof der Hölle. Was irgendwie ja das Gleiche ist.

Es ist der Stoff zu einer launigen Beziehungskomödie und man hat während der 90 Minuten viel Zeit, sie sich als Dietrich-Brüggemann-Film vorzustellen, auch weil der Abend bisweilen so wirkt, als pitchte einer seine Filmidee. Jacob Matschenz würde vielleicht wie üblich den Michael spielen, Robert Gwisdek wäre sicher ein guter Sven. Hier, in der Box des Deutschen Theaters, ist Alexander Khuon Michael – und alle andere. Unter den wachsamen Augen des Intendanten-Vaters, die vielleicht schönste Ironie der Premiere. Michael erzählt sein Leben, launig, nachdenklich, mal ein bisschen ratlos, dann mit schelmischem Trotz. Er springt wild zwischen den Zeiten, lässt alles mit allem kollidieren, frühe Kränkungen durch den Vater, das unentwirrbare Beziehungsgeflecht mit den Unerreichbaren mit den sich immer wiederholenden Mustern. Da ist keine Linearität, weil es diese in Michaels Leben nicht gibt. Da steht die abweisend freundschaftliche Desiree neben der scheiternden Stiefmutter, der besserwisserische Sven neben dem ewigen Single Uwe, das Kennenlernen der Eltern im Göttinger Studentenorchester neben einem verlorenen Abend in einer Studentenkneipe am gleichen Ort. Da geht nichts vorwärts, auch weil sich Michael fremdbestimmt fühlt. „Ihre Stimme sagt in meinem Kopf: Ich ziehe jetzt hier ein.“ Sagt er über Katja. Und lässt es zu, sich aber nicht ein.

Weil da schon ein anderer haust: Der Vater. Als Mahner, Zurechtweiser, den-Sohn-Lächerlichmachender, aber auch als dessen Projektion der eigenen Unzulänglichketen, real oder eingebildet. Er muss den Vater nicht ansprechen, sich ihm nicht zuwenden, kann ihn (Michael Gerber mit beeindruckender Unbeweglichkeit) links (oder in diesem Fall rechts) liegen lassen, denn er ist ohnehin immer da, in ihm drin, eine mehr richtende als leitende Instanz. Selbst wenn er verschwunden scheint, ist er nicht weit und stürzt sich im nächstmöglichen Moment wieder auf den dann Wehrlosen. Die kulturell eingeimpfte – vor allem den hauptberuflichen Söhnen unserer Gesellschaft – überragende Bedeutung des Vaters als übermenschliche Leit- und Leidfigur wurde wohl selten so zwingend und treffend sowie humorvoll auf den Punkt gebracht.

Dabei redet Khuon ja nur. Er skizziert die anderen Figuren, die nur Bedeutung haben als Projektionsflächen des eigenen neurotischen Zauderns. Anwesend sind sie als Röntgenbilder, die Vater und Mutter, die Freunde, die Angehimmelten – mal auch nur deren Beine – zeigen. Urlaubs- und Porträtfotos der Essenz, die auch Ratlosigkeit ist. Denn so orientierungslos, wie Michael ducrh dei Welt driften, sind eben auch diese Bilder, die er an und ausknipst. Da ist nichts, woran er sich festhalten kann. Das muss schon aus dem Inneren kommen. Aber da ist ja schon der Vater. Und Katja. Und die Stimme von Sven, welche die Realität als Umkehrung des Märchens vom Froschkönig beschreibt: „Ich wahren Leben bist du erst kein Prinz und wirst dann ein Frosch.“ Oder den Beziehungssuchenden als Hubschrauberpiloten: Er müsse erkennen, wo er nicht landen könne, und dort könne er dann eben nicht landen. Ja. Abende bleibt der Vorhang weg und die Fragen trotzdem offen, Michael verlässt das Krankenzimmer, vielleicht, um von Nadjas Freund aufs Maul zu bekommen. Dass das ganze kurz davor ins Surreale kippt, um auch Gerber einen Kurzauftritt zu geben und die ewige Wiederkehr des Vatertraumas zu betonen, ist da schon vergeben. Was bleibt, ist ein ratlos launiger Blick in die Verwirrung des post-post-modernen Menschen. Und die Erkenntnis, dass die starken Abende dieser DT-Spielzeit in der kleinsten Spielstätte des Hauses stattfinden.

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