Die drei Kuscheltiere

Monster Truck: Siegfried, Sophiensaele, Berlin / FFT Düsseldorf / Münchner Kammerspieler / Ringlokschuppen Ruhr, Mülheim

Von Sascha Krieger

Wer ist Siegfried? Um es gleich zu verraten: Diese Frage beantwortet der neue einstündige Abend von Monster Truck nicht. Am Ende ist nicht einmal unwiderlegbar klar, ob er sie überhaupt stellt. Denn sicher ist nur, dass nichts sicher ist. Das am berühmt-berüchtigsten Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaften gegründete Kollektiv befasst sich am liebsten mit Klischees und Vorurteilen, dreht sie von innen auch außen, untergräbt sie mit einem multidisziplinären Mix, der provoziert und Deutungen zulässt. Dabei geht man meist von irgend einem mehr oder minder konkreten, aber irgendwie fassbarem Thema aus. Kolonialismus. Nationalismus. Soziale Ausgrenzung. Siegfried ist da radikaler. Benannt nach dem Urmythos deutscher Identitätsphantasie tritt der Abend ein paar Schritte zurück und fragt nach der Sicherheit oder Illusion von Identität. Wenn Siegfried mythischer Held ist und glitzerbedeckter Zauberkünstler, Identitätsikone und Illusionsverkäufer, was ist er dann nicht? Und kann einer, der alles ist, überhaupt etwas sein?

Bild: Monster Truck

Diskutiert wird das an diesem Abend nicht. Wie auch? Es fällt schließlich kein einziges Wort. Stattdessen treten vor Siegfried-Neonleuchtschrift und zu enervierend fröhlicher Comic-Musik drei Abfallprodukte westlicher Konsumseligkeit auf, lebensgro0ße Plüschpuppen: Donald Duck, jedermanns Lieblings-Pokémon Pikachu und der gute alte Teddybär. Sie hüpfen auf die Bühne, winken ins Publikum und dann wird es dunkel. Der Buchstabe S flimmert durch die Leuchtstäbe, mal einzeln, mal als lange Reihe, dann wieder als Inseln, natürlich ist auch ein „SS“ dabei. Dazu hüpfen und trotzen die drei Plüschmonster über die Bühne – in Kreis- und Schlangenlinien, im Gleichschritt und in behaupteter Individualität, sie tänzeln und hüpfen und marschieren, trennen sich, finden wieder zusammen. Donald scheint der schwächste. Wiederholt sackt er zusammen, dann kümmert man sich oder lässt ihn liegen. Teddy klaut Pikachu den Kopf, der ohne Haupt trotzdem weiter herumwatschelt, seine Vervollständigung schon bald wieder erfährt. Dazu dröhnt ein industriell dissonanter Soundteppich mit allerlei Störgeräuschen.

Wir beobachten: das Entstehen von Gemeinschaft, ihre Zwanghaftigkeit, der Druck auf den vermeintlich Schwachen, die engen Grenzen von Individualität. In einer Welt, in der alles möglich ist, jeder alles sein kann, und alles käuflich, heißt konsumierbar ist, auch und gerade die „individuelle“ Identität, ist ohnehin alles Kollektiv. Fröhlich grinsend tanzen wir in den Untergang, tappen, das Hirn ausgeschaltet, jedem neuen blinkenden Reiz hinterher. Glücklich lächelnde Schafe auf der Konsumweide. Dass alles eins ist, nichts allzu sehr herausstechen soll, die postpostpostmoderne Reizüberflutung natürlich gewollt ist, weil ja sonst die Gefahr bestünde, dass Bedeutung entsteht, betont noch mal Teil zwei. Da sitzen die drei Konsumverkäufer vor der Leuchtschrift, die den Duden nach Wörtern mit S durchforsten. Zu jedem Wort wird auf dem vor die Bühne gespannten transparenten Vorhang ein passendes Bild gezeigt. Es beginnt bei „SA“ und endet – natürlich – bei „Siegfried“. Ausgangs- und Endpunkt. Sieg Heil und Sieg Fried. Wagner und Hitler. Nationale Emanzipation und nationaler Untergang. Immer schneller wechseln die Worte und Bilder, werden zu einem visuellen Rausch, der schmerzt und überfordert, den Zuschauer am Ende ratlos zurücklässt. Orientierungslos wie die drei Kuscheltiere, die Mühe haben, den Weg zur Applausordnung zu finden.

Der Abend bleibt sperrig, will es auch sein, will vor den Kopf stoßen, irritieren, überfordern, vielleicht auch verärgern. Und sorgt bei der erschreckend schlecht besuchten Premiere doch vor allem für sympathisierendes mildes Lächeln. Die sind aber auch knuffig, die drei. Was das alles soll, tritt da mitunter in den Hintergrund, zum Reflektieren und Assoziieren lädt der extreme Abstraktionsgrad des stummen Abends eben auch kaum ein. Und so bleibt das Glühbirnchen im Zuschauer*innenkopf aus, stellt sich der Aha-, Wow- oder sonstige Effekt nicht ein. Womöglich ist auch das gewollte, lässt sich doch auch der selbstverständliche Anspruch auf in verdaubaren Portiönchen servierten Erkenntnisgewinn als perfide Korruptionsstrategie der alles umfassenden Konsumgesellschaft interpretieren. Nö, Antworten sind aus, Fragen gibt’s vielleicht im Späti nebenan. Hier gibt es Bilder. Und Pikachu. Ist ja nicht nichts, oder?

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