Freier Fall

Heinrich von Kleist: Penthesilea, Berliner Ensemble / Schauspiel Frankfurt (Regie: Michael Thalheimer)

Von Sascha Krieger

Michael Thalheimer ist kein Fan falscher Illusionen. Wie zum Beispiel jener, alles würde gut. Wird es natürlich nicht. Zumindest nicht dort, wo Macht und Selbstaufgabe eine tödliche Allianz eingehen. Man  nennt das, glaube ich, Liebe. Dass es den großen Tragödienessenzauspresser, den Auf-den-Kern-Reduzierer Thalheimer einmal zu Heinrich von Kleists Penthesilea bringen würde, war erwartbar. Schließlich interessiert den neuen Hausregisseur am Berliner Ensemble das schmutzige Fundament der menschlichen Existenz, den Grund, wo die Zivilisation abfällt, das Ich als Alleinherrscher regiert, die Firnis des Miteinanders abgeschabt ist. Deshalb kehrt er ja auch immer wieder zu jenen antiken Stoffen zurück, die uns daran erinnern, von wo die „Zivilisation“ einst seinen Ausgang nahm. Der Kreislauf aus Macht, Rache, Gewalt, der das Ich erhöhen soll und doch nur in den Dreck zieht, ist dort noch ohne zivilisatorisches Beiwerk (in den folgenden Jahrhunderten ist das vielleicht nur bei Shakespeare wieder der Fall), der Blick unverstellt und doch so unerträglich. Das ist die Antike, bei der Kleist ansetzt, die das harmonisierende Gleichgewichtsgeschwurbel etwa der Weimarer.

Bild: Birgit Hupfeld

Seine Penthesilea geht denn auch an Eingemachte. Die Geschichte der Amazonenkönigin und des Griechenhelden, die sich im Kampf verlieben und nicht zu einander kommen, weil zu lieben für sie Unterwerfung heißt, weil sie sich dem Anderen nur als Sieger, als Überlegener nähern können. Und die endet in der wohl brutalsten und vielleicht auch ehrlichsten Einswerdung der Geliebten, die nur vorstellbar – und gerade das eigentlich nicht – ist. Dass es hier um Macht gibt, macht schon Olaf Altmanns Bühne klar: Eine Schräge verjüngt sich pyramidenartig in den Bühnenraum hinein. Ganz oben sitzt Penthesilea im gelbe Kleid. Constanze Becker lässt ihre Worte in den Raum fallen. Hart, trocken, echolos. Jede Silbe eine Mauer, eine undurchdringliche Festung.In ihren armen der blutverschmierte Achilles (Felix Rech), leblos. Nur jetzt, im Tod, ist Nähe möglich. Das Ende steht am Anfang, aber es ist keiner. Von hier führt kein weg mehr weiter. Also geht es zurück.

Penthesilea stößt den Toten von sich. Er rollt die Schräge hinter. Erst hier weit weg, ganz unten, kann er zum Leben erwachen. Immer wieder wechseln an diesem Abend die Konstellationen. Mal steht oder sitzt sie – buchstäblich – an der Spitze, mal er. Unerträglich ihre Erkenntnis, dass sie im Zweikampf die Unterlegene war, was der Zuschauer-Komplize längst wusste, schließlich thront er oben und sie kauert in der Mitte der gekippten Welt. Ganz vorn ist das Reich der Zivilisation, der Vernunft, des Pragmatismus. Josefin Platt repräsentiert diese, gebeugt, im ironisch unschuldig weißen Kleid, mit scharfer Zunge. Sie fordert, appelliert, fleht, verurteilt. Aus dem Zweikampf wird ein Dreikampf. Liebe, Macht, Vernunft. Das kann nicht gut gehen und tut es auch nicht. Man bleibt getrennt und kommt man gegen Ende zusammen, gleicht die Vereinigung einem Ringkampf. Das Prinzip der Welt, das wussten schon die Griechen, ist der Kampf um die Macht, das Beherrschen des andere. Die Vorstellung der Liebe als Begegnung auf Augenhöhe ist eine neue – Kleist entlarvt sie als Illusion.

Felix Rech gibt ein grandioses Porträt eines Mannes ab, der die Unterwerfung des anderen verinnerlicht hat, aber, getrieben von der Stimme der „Vernunft“, diese vorurteilsfreie Liebe versucht. Seine Hilflosighkeit, die sich erst verflüchtigt, wenn er seine angelernte Position wieder einnimmt, berührt vielleicht mehr als alles andere an diesem strengen, stillen Abend, an dem Bert Wredes sonst oft omnipräsenter Soundtrack erst spät einsetzt und dann aufdreht, wenn alles schon vorbei ist, sich die Mörderin und die Leiche in einem (Alb-)Traum gegenseitiger Aneignung und Auflösung verschlingen. Ansonsten ist der Abend ungeheuer statisch. Man steht, sitzt, kauert, ringt mit dem eigenen Körper um Kontrolle, schnürt sich ein, kämpft um die eigene Geschichte. Meist wird erzählt,  ringt man – besonders eindringlich Constanze Becker – um das Ich, das Vorherrschaft will über die dritte Person, die hier der Feind ist, weil sie Fremdbestimmung meint. Man wechselt sich ab in der erzählung, fordert die Kontrolle ein, die eigene Stimme. Lichtkegel bestimmen und kommentieren die Machtverhältnisse, machen in jedem Moment klar, dass es kein Wir gibt, sondern immer nur Ichs.

Und so bleibt am Ende nur die animalische Natur. Immer wieder entlocken die Darsteller*innen ihren Kehlen tierähnliche Laute, kriechen sie über ihre Welt, fallen sie zurück auf das, was der „Kultur“ vorausging und ihr wahrscheinlich auch nachfolgt. Thalheimer ist kein optimistischer Betrachter der menschlichen Natur und er fängt an diesem Abend auch nicht damit an. Er ist formstrenger, statischer, abstrakter, auch distanzierter als frühere Tragödieneindampfungen des Regisseur. Und geht doch ungeheuer nahe. Im Erstaunen, Erschrecken über sich selbst, im Ringen um eine Stimme der Vernunft, die bei Becker zu virtuosen und erschütternden Zwiegesprächen mit sich selbst führen, in denen die Stimmen – wütende, herrschsüchtige, aber auch staunende, sehnende, flehende, miteinander Ringen, um sich zuletzt gemeinsam in den stillen Abgrund des einzigen Friedens zu stürzen der denkbar scheint: die Auslöschung als Nichts. denn die, die sich das Herrschaftsprinzip der Welt zu eigen machten, müssen am Ende aus ihr fallen. Ihre Unbedingtheit, ihre Grenzenlosigkeit sind nicht gesellschaftsfähig. Das Machtprinzip lässt sich nur gewinnbringend anwenden, wenn es sich nicht als solches zu erkennen gibt. Darin fehlen Penthesilea und Achilles, deshalb fallen sie. Und wie, die wir am Schluss im kalten, fahlen Licht sitzen, mit ihnen.

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