Der Hun-desohn

András Dömötör, Kornél Laboda: Attila, the Hun (Solo) and the Magical (Laser) Sword, Maxim Gorki Theater (Studio Я), Berlin (Regie: András Dömötör)

Von Sascha Krieger

Attila, Etzel. Da fängt es schon an. Der legendäre Hunnenkönig. Nationalheld der Ungarn, Nebenfigur im Nibeliungenlied. Der Held, der Europa eroberte, der unkultivierte, zerstörerische Barbar. András Dömötör ist ein ungarischer Theatermacher, der mittlerweile vor allem in Deutschland arbeitet und sich gern mit dem heutigen Ungarn, seinem Verhältnis zu Europa und dem „westlichen“ Blick auf das Land herumschlägt. Da liegt der Schritt zu Attila nahe. Im „Westen“ Synonym für alles, was nicht Zivilisation ist, rücksichtslose Gewalt und Zerstörung, wird er im nationalistischen Ungarn zu einer Art Übervater stilisiert, eine Ikone der Unabhängigkeit und eines selbstbewussten Nationalismus, der sich jegliche Fremdbestimmung verbittet. Für Dömötör scheint Attila die ideale Figur zu erörtern, warum sich Ungarn derzeit zu einem autokratischen, ultranationalistischen und antiwestlichem Staat entwickelt. Und darüber zu sprechen, welche Rolle, wir, der Westen womöglich dabei spielen.

Bild: © Maxim Gorki Theater

Diese wird an diesem Abend schnell klar. Mareike Beykirch repräsentiert „den Westen“. Sie spielt eine Forscherin, die sich der Attila-Legende gewidmet hat. Zunächst erklingt diese bei leerer Bühne mit allerlei Effekten und reichlich Pathos, die Geburt eines animalischen, wilden, gewalttätigen Wesens, dessen Existenz es dem Streben nach Rache verdankt. Beykirch lädt die ehrgeizige Wissenschaftlerin mit einigen Komplexen und noch mehr Nervosität auf, die sie mit gespielter Selbstsicherheit nicht wettzumachen vermag. Denn sie hat etwas mitgebracht: In einer transparenten Zelle hockt eine Gestalt, die sie als Attila selbst identifiziert, das Mensch-Tier-Wesen, unsterblich, eingefangen in Ungarn. Gehalten wie ein Tier, dazu da, das „westliche“ Bild der Barbaren zu bestätigen und zu festigen. Das ist durchaus unterhaltsam, von milder satirischer Schärfe und ein wenig platt.

Doch das ist nur das Vorspiel. Denn Attila macht nicht mit. Oder besser dessen Darsteller. Lehel Kovacs spielt eine Version seiner selbst, einen Schauspieler, der nach Berlin gebracht wurde, um Attila darzustellen. Mit Fellmantel, Zopf und angeklebten Hundeohren (der Legende zufolge war sein Vater ein Windhund). Nun kippt er aus der Rolle, rebelliert gegen die kulturelle Aneignung seines Erbes durch den „Westen“, dessen anmaßende Deutungshoheit, seinen Anspruch, die eigene Perspektive überzustülpen. Nach einer Auseinandersetzung mit einer ihre Figur und das, was sie repräsentiert, immer weiter ins Lächerliche ziehen dürfenden Beykirch, gehört schließlich Kovacs die Bühne. Er beschimpft das Publikum, zeigt alternative Bilder Attilas, hetzt gegen den verweichlichten Westen, beklagt die Rolle Ungarns als Spielball fremder Mächte. Er bekräftigt, sein Volk stamme sehr wohl von den Hunnen ab, auch wenn „westliche“ Historiker dies bestritten (auch Beykirch hatte dies getan). Bilder zeigen ihn mit dem ungarischen Präsidenten Orban, den er ebenso aufs Schild hebt wie Putin oder Erdogan. Gegner einer Hegemonie so genannter westlicher Demokratie.

Die Stimmung wechselt. Die satirische Leichtigkeit ist weg, stattdessen füllt Unbehagen das Gorki-Studio, in dem sich da Theater vom Manipulations- zum Wahrheitsraum umzuwandeln sucht. Der natürlich auch Behauptung bleibt, Spiel ist. Denn wenn Kovacs geifert, wird es zwar ungemütlich, auch und gerade weil seine Angriffe gegen die Arroganz des Kerneuropas, seine kulturelle Deutungssucht und politische Macht nicht ganz falsch sind. Aber seine Reaktion ist denn eben auch so extrem, so klischeehaft und leitartikel-haft, dass sich der Zuschauer schnell wieder zurücklehnen kann, das Hirn ausschaltet, mancher kichert gar wohlig vor sich hin. Denn so krawallig, wie der kleine Wut-Ungar sich hier geben muss, so schnell schleicht sich das gerade entzauberte „westliche“ Überlegenheitsgefühl wieder ein. Dieses zu dekonstruieren, dafür fehlt an diesem knapp einstündigen Abend offenbar die Zeit. Und so bleibt sehr viel Lärm um noch mehr. Das hier leider serviert wird, als wäre es nichts.

 

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