Abschied in den Nebel

Leander Haußmann und Sven Regener: Die Danksager, Berliner Ensemble (Regie: Leander Haußmann, Sven Regener)

Von Sascha Krieger

Die Luft ist raus. Das ist nicht erst zu Beginn dieses letzten Abends der Ära Claus Peymann am Berliner Ensemble zu spüren. Da sitzen Norbert Stöß und Karla Sengteller vor dem schweren roten Vorhang und langweilen sich. Sie sind Assistent*innen einer Einrichtung der darstellenden Künste – der Begriff Theater fällt nie – und halten die Maschine am Laufen, wohl wissend, dass das nicht mehr allzuviel bringt, weil das Haus dem Untergang geweiht ist. Man macht halt weiter, so lange die Lichter nicht aus sind. Natürlich ist das symbolisch gemeint, ist Die Danksager ein letzter, nachgeschobener Abschied auf das Haus, das seine bisherigen Protagonist*innen und wohl auch so mancher langjähriger Besucher – Achtung: Parallele zu einem anderen Theater gar nicht so weit entfernt – im Sommer untergehen sieht. Das Ende der Geschichte ist gekommen, was folgt, sind traditionslose Gesellen, Vertreter*innen einer charakter- und gesichtslosen, leicht verpflanzbaren Konsenskunst ohne Wurzeln. Man kennt die Diskussion. Doch so sehr Peymann und Team versuchen, diese dystopische Botschaft zu vermitteln, so wenig verfängt sie doch. Das liegt zum einen daran, dass jenes andere Haus dieses Thema so meisterlich für sich zu reklamieren vermocht hat, zum anderen daran, dass hier, wo Brecht bronzen-stumm vor dem Eingang sitzt, eben doch schon länger, nun ja, die Luft eben raus ist.

Bild: Marcus Lieberenz

Es gehört zu den charmanteren Aspekten des Abschiedsabends von Leander Haußmann – der eigentlich schon in der vergangenen Spielzeit seine letzte Inszenierung abgeliefert hatte, dieses Da Capo versucht gerade auch Frank Castorf an der anderen Bühne – und Sven Regener. Der Film- und Theaterregisseur sowie der Musiker und Autor arbeiten nicht zum ersten Mal zusammen, doch begegnen sich hier über ihren gemeinsamen Hausheiligen: Bob Dylan. Der hat ja gerade den Literaturnobelpreis gewonnen, auch so ein Schlusspunkt, nach dem eigentlich nicht mehr viel kommen kann. Und so versammeln sich zehn Dylan-Imitator*innen, in Kleidung, Hut und Make-up sehr schön unterschiedliche Schaffensperioden repräsentierend – das Haus im Stück scheint auch Nobelpreisträger- und -anwärter-Imitatoren spezialisiert zu sein, zumindest beschäftigt es wohl auch Thomas Manns und Günter Grass (was ist eigentlich dessen Plural?) – zu einer Art Vorspiel, das darin mündet, dass jede(r) eine Art Dankesrede vorträgt. Da wird gegen die Nobel-Akademie gegiftet, kommt Persönliches zum Vorschein, wehrt man sich gegen das Klischee der „Stimme seiner Generation“ und betont das Universelle. Das ist meist launig, gern auch humorig (wenn auch eher von der weniger subtilen Sorte) und plätschert doch irrsinnig unerheblich dahin. Die Stagnation einer Endphase: Der Abend thematisiert sie nicht nur, er fährt sie auch exemplarisch vor.

Eigentlich gibt es nur zwei belebende Elemente – die meist betont gelangweilt vorgetragenen Dylan-Songs, die natürlich als Crowd-Pleaser trotzdem den Laden zusammen halten und fast ausschließlich aus Dylans erstem Schaffensjahrzehnt stammen, zählen eher nicht dazu. Nein, sie gehören zwei BE-Urgesteinen, die beide seit den 1970er-Jahren im Ensemble waren. Carmen-Maja Antoni gibt in einem Kurzauftritt als „General“ einen schön gedoppelten Peymann-Dylan, autoritär, scharfzüngig, nüchtern den Hype des Neuen durchstechend, aber natürlich auch angenehm selbstironisch, ein altes Eisen, das um seine Überlebtheit weiß, aber sich natürlich noch immer für relevant hält. So lange er/sie hier regiert, kontrolliert er/sie das alles. Trotzig und selbstbewusst. Das ist von so charmanter Arroganz, dass man kaum böse sein kann. Noch eindrucksvoller ist Martin Seifert: Mit Nebelmaschine, Clipboard und traurigem Hundeblick bricht er eine Lanze für den Dramaturgen, das „Einhorn“ unter den Künstlern und doch ein verborgener Herrscher. Ein Bewahrer des Guten, Schönen, Wahren. Das ist witzig, berührend und natürlich auch ein wenig Selbstbeweihräucherung eines Hauses, das seine Relevanz bis zuletzt trotzig behauptet.

So zweideutig ist der Rest des Abends selten. Spannung birgt er kaum, die Aneinanderreihung ewig gleicher Nummern ist ermüdend. Das tropft und plätschert und wippt vor sich hin, will nichts und nirgendwohin und ist sich selbst genug. Die Gegenüberstellung Peymann-Dylan ist nett, wird aber kaum wirklich verfolgt. Zwei Ikonen (eine davon eher selbst ernannt) künstlerischer Selbstbestimmung, zwei Pioniere, die längst zu Marken geworden sind, entkernt, nur noch für das stehend, was ihre Rezipienten in ihren sehen wollen. Das funktioniert beim Barden aus Minnesota natürlich besser und ist bei Peymann denn doch arg bemüht. Also ironisiert man die Dylansche Heldenverehrung – tatsächlich ein Problem unter Hardcore-Dylan-Fans – und holt den Jahrhundert-Songschreiber ein bisschen herunter vom Sockel, damit der hiesige Hausherr neben ihm weniger winzig erscheint. Und trifft sich beim Geschichtenerzählen. Am Ende sind alle Vorhänge gefallen, wabert der Nebel, brennt in der Bühnenmitte ein Lagerfeuer, um das sich die Truppe versammelt und gemeinsam „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“ singt, auch noch, nachdem der „General“ längst den Eisernen Vorhang hat herunterfahren lassen (auch ein Volksbühnen-Zitat). Ein schöner, beiläufiger Schlusspunkt eines Abends, der nichts anderes will als einfach da zu sein, bevor sich das alles im eigenen Nebel verliert und verschwindet, als hätte es nie existiert. Ein letztes gemeinsames Lied. Es sei ihm und diesem Haus gegönnt.

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