Traum und Trauma

Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm, Schlosspark Theater, Berlin (Regie: Thomas Schendel)

Von Sascha Krieger

Ein Klassiker im Privattheater? Das heißt historische Kostüme, „authentisches“ Bühnenbild und Deklamieren der alten Schule. Wer sich also Lessings Minna von Barnhelm am Berliner Schlosspark Theater gönnen möchte, kann sicher sein, von den enervierenden Neuinterpretationen, Veränderungen und Zerstückelungen des Regietheaters verschont zu bleiben. Und ja, der Besucher darf sich zunächst beruhig zurücklehnen. Daria Kornysheva hat eine verwinkelte barocke Salonflucht auf die Bühne gebastelt, die in ihren erdigen Farben ein wenig verlebt, aber noch ausreichend edel wirkt und die Wirtsstube ebenso wie das Zimmer Minnas darzustellen vermag, in denen sich das Geschehen abspielt. Und auch die Darsteller*innen sind passen gekleidet, in Uniformen und Kleidern, die denen des Spätbarocks zumindest sorgfältig nachempfunden sind. Da kann man sich schon einmal freuen: auf gut zwei Stunden Theater, wie es „sein sollte“, Theater, bei dem der Text im Vordergrund steht, so wie er „gemeint ist“, und nicht irgendwelche seltsamen „Regieeinfälle“.

Bild: DERDEHMEL/Urbschat
Bild: DERDEHMEL/Urbschat

Und tatsächlich: Zunächst lässt sich durchaus übersehen, dass Schendel und sein Ensemble Störgeräusche eingebaut haben, dass das Unterhaltungsuhrwerk immer wieder ins Stocken gerät. Der deutlichste Indikator ist Just, Diener des unehrenvoll aus der preußischen Armee entlassenen Major von Tellheim. Anton Spieker hat seinen ersten Auftritt in einer Art Prolog, wo er, ein Kartenspiel begleitend, eine traurige Weise spielt, die andeutet, dass die zivilisatorische Fassade eine recht dünne sein könnte. Schließlich kommt man gerade aus dem Siebenjährigen Krieg, den Preußen unter riesigen Verlusten gewonnen hatte. An der Oberfläche bleibt der Krieg fern, doch in den Figuren wütet er, hat er Verwüstungen hinterlassen. Das gilt zunächst vor allem für Just: Spieker gibt ihn an unbeherrscht aggressives Pulverfass, das bei jeder Kleinigkeit aus der Haut fährt. Seine Toleranzschwelle, seine Geduld sind auf ein Minimum reduziert. Die Ruhe des Friedens bekommt ihm nicht, der harmonische Schein erscheint ihm falsch. So versehrt sein Herr physisch ist, so sehr ist es der Diener mental.

Ersterer dagegen hält sich zurück. Und doch ist auch bei ihm von Beginn an zu spüren, dass die galante Oberfläche bestenfalls gespielt ist. Die Anspannung, die Anstrengung, die es erfordert, den soldatischen und adligen Verhaltenskodex aufrechtzuerhalten, sind bei Tatort-Star Oliver Mommsen in jedem Moment zu spüren. Sein verqueres Verständnis von Ehre, das dazu führt, der geliebten Minna, die nach Berlin gereist ist, um ihn zu finden, zu entsagen, hat von Anfang an Brüche. Vor der Pause lassen sich diese noch mühsam übertünchen, bleibt der Ton lebhaft und vergleichsweise leicht. Dieser erste Teil gehört dem wieder erwachenden Leben, vor allem in der Person von Moinnas Zofe Franziska, die bei Maria Steurich zum Star des Abends wird: burschikos, frech, schlau und bei aller Schärfe warmherzig. Sie hat die meisten Lacher des Abends, ist sein Kraftzentrum, hält ihn zusammen, so lange es geht. Und mit ihrer ebenso sanft wie humorvoll erblühenden Liebe zum Wachtmeister Paul Werner (Oliver Nitsche) gehört ihr auch die Hoffnung, der Optimismus, der Glaube an bessere Zeiten. Es ist Schendels Verdienst, dass der Humor nie grob wirkt oder auf billige Lacher ausgerichtet ist. Vielmehr speist sich das Lachen aus der Sehnsucht.

Eine Sehnsucht, die sich Tellheim verbietet. Nach der Pause gerät er bei Mommsen aus dem Gleichgewicht. Die fatale Mischung aus Kriegstrauma und den Illusionen von Stolz und Ehre, die er für den letzten Rest seiner Identität hält, brechen sich Bahn. Er tobt und schreit und droht, bricht in wahnsinniges Lachen aus, steigert sich hinein in groteske Eifersüchteleien, baut einen Panzer aus Selbstmitleid auf und flüchtet sich in Selbstgerechtigkeit. Von „Lustspiel“ ist hier nichts mehr zu spüren, stattdessen reißen Schendel und sein Hauptdarsteller die sorgsam erhaltenen Fassaden ein. Was zum Vorschein kommt, ist eine verwundete Seele, die im Widerstreit von Kriegsgräueln und einem repressiven, Schwäche nicht zulassenden Ehrbegriff schier zerreißt. Da stürzt das ganze Harmoniegebäude ein und ist doch nicht alles verloren. Auch wegen Katharina Schlothauers Minna: Sie spielt die Titelfigur als wissende, selbstbewusste Frau, die sich nicht einschüchtern und nicht abschrecken lässt, die an ihrem Geliebten festhält, auch wenn sie um seine Verletzungen weiß. Eine unaufgeregte praktische Feministin, die die Zügel in die Hand nimmt und doch nie zu fest anzieht. Wenn sie ganz am Ende Mommsen mühsam die Stiefel auszieht, glimmt da ein winziger Funken Hoffnung. Mommsens Züge entspannen sich kaum merklich. Daneben sitzt Spiekers Just und blickt mit einer Prise Traurigkeit ins Weite. Nein, vergessen und überwunden ist hier nichts.

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