Der plappernde Narr

Apokalypse, nach der Offenbarung des Johannes, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: Herbert Fritsch)

Von Sascha Krieger

Wenn so das Weltenende aussieht, dann bin ich dabei. Herbert Fritsch, ausgerechnet Herbert Fritsch, der Großmeister des Klamauk und Erzfeind jedweder Bedeutungshuberei, der vielleicht subversivste aller derzeitig aktiven deutschsprachigen Theatermacher, legt sich mit Gott an. An der Volksbühne von Frank Castorf. So ganz inkonsequent und unlogisch ist das nicht. Die Offenbarung des Johannes ist die Partitur, die er diesmal zerpflücken darf, diese seltsam blutrünstige Schreckensvision vom Ende aller Zeiten, von der Rache Gottes an der verderbten Menschheit. Sieben Siegel, sieben Plagen, ein rächendes Lamm, drei Wehe und die Zerstörung der „großen Hure Babylon“ – das ganze Programm, aus dem sich religiöse Eiferer und weltliche Despoten seit 2000 Jahren bedienen, um die Menschheit in Schach zu halten oder gegeneinander aufzuhetzen, je nachdem, was gerade benötigt wird. Und was macht Herbert Fritsch daraus: eine eineinhalbstündige Comedy-Show. Da schnurrt das göttliche Gedonner plötzlich zusammen zum effektvollen Mummenschanz, das es wohl immer schon war.

Bild: Sascha Krieger
Bild: Sascha Krieger

Sein Johannes heißt Wolfram Koch. Keine Stimme Gottes, kein Prediger oder Verkünder, sondern – ein Clown, ein Showmaster, ein Zirkusdirektor. Im knallgelben Anzug steht er da und erzählt eine Geschichte. Eine ganz erstaunliche, und er tut das – wie immer – mit vollstem Körpereinsatz. Mit großem Pathos und mitreißender Erregtheit, mit ansteckendem Staunen und kindischem Trotz pflügt er sich durch eine Spuk- und Horror- und Abenteuergeschichte, die ihresgleichen sucht. Er unterstreicht jedes Wort mit gern auch etwas alberneren Gesten, zerdehnt die Sprache von Martin Luthers Bibelübersetzung, betont auch mal die falschen Stellen und nimmt – wie meist bei Fritsch – die Sprache und vor allem deren so genannte Inhalte als Spielmaterial, als rhythmisches Futter, das nicht mehr ist als Mittel zum Zweck. Der lautet hier: zu unterhalten, zu verblüffen, zu betören. Große Show eben, präsentiert von Gott und Luther. Und so ist Koch vieles an diesem Abend: Ansager und Einpeitscher, Standup-Comedian und schmieriger Laienprediger, schleimiger Conférencier und subversiver Clown. Er wechselt geschwind die Tonlagen und Rollen und verfolgt damit nur ein Motto: The show must go on.

Und Show ist es. Hier spricht kein Evangelist, sondern einer, der virtuos seine texte aufsagt. Fritsch findet dafür ein großartiges Bild: Er lässt Koch von der Souffleurin Elisdabeth Zumpe auf Schritt und Tritt verfolgen, die ihm den Text unablässig einflüstert, immer ein paar Worte voraus. Kochs Johannes plappert nach, er folgt einem Skript, das andere für ihn schrieben. Das bringt schnell den ganzen theologischen Überbau zum Einsturz, mit dem Fritsch und Koch spielen. Wenn Koch per angestrengt angelegtem Hebegurt gen Himmel fährt und dort ein paar Minuten bleibt, nur um auf einer quietschgelben Showtreppen majestätisch herniederzufahren, die wiederum halb im Höllen(?)-Loch verschwindet, dann ist das vor allem eines: großes Entertainment. Wie der ganze Abend: Da gibt es Slapstick (etwa, wenn aus der Anbetung Gottes Liegestütze werden), herrliche Show-Effekte – elektrische Stöße durchzucken den Evangelistenkörper – und wird das ganze Versatzstückrepertoire der medialen Bibeladaption genüsslich durchgenudelt. Es gibt viel Hall, Echos und einen effektverstärkenden Live-Soundtrack des als pflichtbewusster Ton-Beamter auftretenden Ingo Günther.

Dazu erstahlt die Bühne mal himmelblau, mal sonnengelb, dann wieder blutrot, je nachdem, was die Geschichte gerade erfordert. Aus dem Entertainer wird irgendwann der Clown im bunten Harlekinskostüm, der die Geschichte seinem Ende zuführt. Ist von den Massenmorden Gottes die Rede, freut er sich diebisch wie ein gehässiges Kind. Und so wird aus der biblischen Schreckens- und Angstkeule eine wahnwitzige Räuberpistole, bei der man sich ein bisschen gruselt, vor der man aber keine Angst zu haben braucht. Erschrecken darf man jedoch schon: davor etwa, was der Gott der Liebe hier an Brutalitäten auffährt, um die „Krone der Schöpfung“ klein zu halten. Oder besser: was letztere ersterem unterstellt, um sich selbst ein effektives Machtinstrument zu gehen. So verkleinert, so lächerlich gemacht, erscheint der Text in seinem ungetrübten Hass, seiner gehässigen Menschenverachtung, seinem unverstellten Totalitarismus so grotesk wie erschreckend. Es war in den Jahrhunderten der Tyrannei der Clown, der Narr, dem es vorbehalten war, die Wahrheit zu sprechen. Herbert Fritsch und Wolfram Koch sind schon seit Langem die Narren unserer Zeit. Anarchisch, uneitel, albern bis über die Schmerzgrenze hinaus. Und so wahrhaftig, dass selbst das Lachen wehtut.

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