Der Westen ist ein Hanswurst

Michel Houellebecq: Unterwerfung, Deutsches Schauspielhaus, Hamburg (Regie: Karin Beier)

Von Sascha Krieger

Am 7. Februar 2015 erschien in Frankreich ein Roman. Nein, nicht irgendeiner, sondern das neue Buch von Michel Houellebecq, zerrissenes Genie, Enfant terrible der internationalen Literatur, Provokateur, einer, der genüsslich Finger in Wunden legt, mit vermeintlichen Tabus spielt, Chronist des Lebens- und Weltekels des westlichen Intellektuellen, Endzeitprophet einer ob ihrer selbstgewählten Schwäche kollabierenden Gesellschaft. In Unterwerfung tut sie genau dies: Sie fällt in sich zusammen, kapituliert gegenüber einem klar umrissenen Wertesystem, einfachen Antworten, einer Weltsicht, die attraktiv scheint, weil sie das Unübersichtliche einer postmodernen Welt in ein leicht konsumierbares Erklärungskorsett presst. Dass es sich dabei um den Islamismus handelt, ist da beinahe zweitranging. Oder doch nicht. Der Roman wurde als Schreckensvision gelesen oder als Sehnsucht nach einer Rückkehr der Werte, als liebäugelnd mit einem „gemäßigten“ Islamismus und als islamophob. Zumal am 7. Febriar 2015 noch etas anderes passierte: Islamistische Attentäter ermordeten elf Menschen in der Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo, deren gerade erschienene Ausgabe eine Karikatur Houellebecqs zierte. Ein Angriff auf die offene westliche Gesellschaft und die Meinungsfreiheit.

Bild: Klaus Lefebvre
Bild: Klaus Lefebvre

Wer Unterwerfung auf die Bühne bringen will, schleppt all dies als Rucksack mit sich: die Ambivalenz des Romans ebenso wie die ihm zu Leibe rückende Realität. Karin Beier begegnet dieser Herausforderung in ihrer Uraufführungsinszenierung mit Reduktion. Das Personal des Buchs schnurrt auf eine Figur zusammen, den abgehalfterten, selbstmitleidigen, alles und jeden inklusive sich selbst verachtenden Literaturprofessor Francois. Die Zeitenwende, von der Houellebecq schreibt, beobachten wir durch seine Augen, mit seinem Blick. Der ist ein selbstbezogener, spöttischer, alles und jeden mit herablassender Ironie überziehender. Edgar Selge brilliert an diesem Ein-Personen-Abend als Inkarnation des schlaffen, ambitions- wie verantwortungslosen Intellektuellen, der keine Haltung hat, kein Rückgrat, der seines Hirns überdrüssig geworden ist und nurmehr durch und für sein Geschlechtsteil lebt. Selge gibt den Francois als larmoyanten Plauderer, als Giftpfeilabschießer, der den Abend mit einer launigen Standup-Nummer eröffnet.

Das Ende der westlichen Zivilisation als Comedy-Routine: kein dummer Schachzug, um den Ballast des Stoffs an die Seite zu stellen und den Zuschauerblick von ablenkenden Nebengeräuschen wegzulocken. Nur worauf? Das Problem bei der Reduktion des Buchs auf seine egozentrische Hauptfigur ist, dass seine Perspektive alles verschlingt. Und die ist eine zutiefst spöttische, alles lächerlich machende, alles Höhere schnell verwerfende. Selge wirft sich genüsslich in dieses arme Würstchen,  das seine Erfüllung in Bequemlichkeit findet, im Nichts-Tun- und Nichts-Denken-Müssen. Er spielt ihn als Beobachter mit spöttischem Blick, der die politische Umwälzung wie eine Fernsehshow konsumiert, mit der erregten Begeisterung eine Gelangweilten, der hier endlich einmal Ablenkung findet von der Leere, die er ist und deren er sich durchaus bewusst ist.

Das hat Vor- wie Nachteile: Zum einen gelingt es Selge, seinen Francois zum Symbol zu vergrößern. Die schlaffe Dekadenz der den Kopf angesichts der als Überforderung erfahrenen Komplexität der Gegenwart in den Sand steckenden Intellektuellen und so genannten bürgerlichen Mitte bekommt in ihm ein Gesicht und eine Stimme. Er ist die Gesellschaft, die dem, was ihr entgegentritt, nichts entgegenzusetzen weiß, weil sie ihre Substanz vergessen, ihr Fundament verlassen hat. Diese Figur und Selges Spiel sind scharfe Gesellschaftskritik. Steh auf, zeige Rückgrat, nimm Haltung ein, möchte man ihm – und uns – zurufen. Doch das tut er natürlich nicht, zieht sich zurück in das beengende, aber einen klaren Rahmen vorgebende, doch zugleich sinnentleerte Kreuz, das Olaf Altmann inmitten einer schwarzen Wand auf die Bühne gestellt hat. Das Symbol des christlichen Abendlandes hat seine Bedeutung verloren, es rotiert, wackelt, wird zur schiefen Ebene, auf der alles ins Rutschen gerät: zunächst Francois‘ Einkaufstüten, später, er, sein Leben, seine Welt. Ein starkes Bild, nicht zuletzt am Ende, wenn die westliche Welt still kapituliert, das Kreuz im Hintergrund entschwindet und einen leeren Raum hinterlässt, in der Francois ganz adrett konvertiert, ein neues Kleid überstreift, einen neuen Raum findet für seine Bequemlichkeit.

Doch ist Selges Francois eben vor allem ein Clown, der – nach der Pause mit weißer Farbe im Gesicht, deren Quelle die Fußsalbe des Hypochonders ist – alles in den Dreck allumfassenden Spotts zieht, ein Entertainer, der Unterhaltung sucht und findet. Viel wird gelacht an diesem Abend, doch es ist selten ein erkennendes Lachen. Wenn es um die Frauenrolle im neuen islamischen Frankreich geht, herrscht ausgelassene Heiterkeit im Publikum, alles so schön lächerlich und ganz weit weg. Denn das ist das Problem mit der Ironie: Sie distanziert. Was hier verhandelt wird, mag mit uns zu tun haben, aber in seiner Grundskepsis gegenüber allem und jedem scheint es weit weg. Dieser Abend versucht sich dem schwierigen Stoff zu stellen, in dem es erst einmal nichts von ihm ernst nimmt. Und er tut das so konsequent, dass es am Ende keinen Weg zurück gibt. Und so entlarvt er die westliche Selbstbezogenheit , die Arroganz der alles verschlingenden Ironie nicht nur – er teilt sie gleichzeitig auch. Was dazu führt, dass die Haltungslosigkeit, die er anprangert, zu seinem eigenen Grundproblem wird, Houellebecqs alles andere als eindeutige Anklage sich zu einer Varieténummer mit netten Lichteffekten reduziert. Wo er sich in der Ambivalenz des Buches positionieren müsste, macht er es sich im Unentschiedenen bequem. Auch das ist eine Botschaft.

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