Abends im Museum

Bertolt Brecht: Die Gewehre der Frau Carrar, Berliner Ensemble (Probebühne), Berlin (Regie: Manfred Karge)

Von Sascha Krieger

Man wirft den Brecht-Erben ja gern vor, ihr Ziel sei es, Autor und Werke zu konservieren und nur quasi museale Interpretationen zuzulassen. Solche, wie man sie zuweilen dem Berliner Ensemble nachsagt, dem Haus, das Brecht gründete und Helene Weigel nach seinem Tod weiterführte und das sich heute als theatrale Heimat des gebürtigen Augsburgers versteht.  Wenn Manfred Karge nun Brechts Drama über den spanischen Bürgerkrieg Die Gewehre der Frau Carrar – einst uraufgeführt mit der Weigel in der Titelrolle – auf der Probebühne inszeniert, scheint er die Kritik schon vorwegnehmen zu wollen. Karge (einst selbst von Wiegel engagiert) entführt das Publikum in ein Museum. Eine Reisegruppe steht vor Pablo Picassos Guernica und erzählt vom Bürgerkrieg und von Brechts Stück. Dann fällt der Vorhang und in der bühnenfüllenden Wand erscheint eine quaderförmige Öffnung als Spielfläche (Bühne: Manfred Karge). Wie ein Gemälde im Museum.

Foto: Thomas Eichhorn
Foto: Thomas Eichhorn

Der spanische Bürgerkrieg ist längst Vergangenheit und auch hier ist er nur Erinnerung. Eine stille Melancholie liegt über dem Abend, in der schmerzverhärteten Stimme von Ursula Höpfner-Tabori als Teresa Carrar, in dem ihre eigene Niederlage schon beinhaltenden getragenen Wörtern und langsamen Bewegungen der Darsteller, im körnigen Schwarz-Weiß der projizierten Bürgerkriegsfotos, dem zarten Bedauern der chorisch vorgetragenen Spanienlieder, dem Erstarren der Spieler zu Standbildern, wenn vorn der Chor singt. Was wir sehen, ist ein Aufbäumen der längst Todgeweihten, derer, die wissen um ihre Chancenlosigkeit und die doch nicht anders können, als für das zu kämpfen, woran sie glauben. Bühnenbild und Kostüme sind naturalistisch, das Spiel deutlich, unentschieden zwischen Realismus und Künstlichkeit schwankend, Pathos, Wut und Leidenschaft mal ganz lehrbuchmäßig als V-Effekt eingesetzt, mal bitterlich ernst gemeint. Gäbe es eine Bedienungsanleitung für originalgetreues Brecht-Spiel – diese Inszenierung könnte sie illustrieren.

Nur verfehlt sie eben gänzlich ihr Ziel: Brecht wollte in den Kopf des Zuschauers, nicht in sein Herz. Auch hier, in der Geschichte der Mutter, die glaubt, ihre Söhne retten zu können, in dem sie im Krieg neutral bleibt und zu den Waffen greift, als sie erfährt, dass sie gescheitert ist. Wenn der Abend etwas schafft, dann kurze Momente der Berührung zu schaffen. In der innigen Beschwörung der Toten durch den sacht berührenden Chor, in der versteinerten Verzweiflung des trotzig verhärteten Gesichts der Titelfigur und der wütenden ihres Bruders (Roman Kaminski), in der Stille, die sich zwischen Brechts eher plakativ geratenen Texten immer wieder Bahn bricht. Das Hirn des Zuschauers dagegen darf auf Standby bleiben. Dieser Abend spricht nicht zum Publikum, hat ihm nichts zu sagen. In einer zeit, in der die Frage, ob, wofür und wie man Partei ergreifen sollte, welche Rolle Gewalt spielen darf oder gar muss, aktueller ist denn je, kapselt sich Karges Inszenierung ab wie in einer Zeitblase. Man meint, in einem Brecht-Museum zu sein, die Zeit eingefroren wie das an Wiegel erinnernde Spiel, ins Archiv zu blicken zurück in eine Zeit, in der die Standpunkte fest und klar waren, das Theater eine propagandistische Funktion hatte und sich die Welt unterteilen ließ in Schwarz und Weiß. Es ist ein befremdlicher Blick, nachdem das Hinaustreten in die Verwirrung und Ratlosigkeit unseres Heute beinahe befreiend wirkt.

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