Der Vorhang zu und keine Fragen gestellt

Claudia Basrawi und Team: El Dschihad, Ballhaus Naunystraße, Berlin (Regie: Claudia Basrawi)

Von Sascha Krieger

Hören wir das Wort „Dschihad“, denken wir an Al-Qaeda und den „Islamischen Staat“, an Terrorismus und Gewalt gegen Andersgläubige, religiösen Fanatismus und Massenmord. Woran wir nicht denken, ist Kaiser Wilhelm II. Und doch findet sich der „heilige Krieg“ auch in einer Fußnote der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts wieder: Zu Beginn des ersten Weltkriegs versuchte Deutschland die Bevölkerung der britischen und französischen Kolonien im arabischen Raum zu eben diesem „heiligen Krieg“ aufzustacheln, . Natürlich nicht, um den Freiheitskampf der unterdrückten Völker zu unterstützen, sondern um den Kriegsgegner zu schwächen. Der erste „heilige Krieg“ der Moderne wäre, hätte er stattgefunden, ein inszenierter, von außen gesteuerter gewesen. Da ist der Weg dann nicht weit, nachzuschauen, wie es denn um seine heutigen Nachfolger steht. Ist „der Westen“ vielleicht auch hier instrumental, spielt er auch hier mehr als nur die Rolle des Beobachters, Chronisten, Unterstützers der Opfer?

Foto: Sascha Krieger
Foto: Sascha Krieger

Claudia Basrawi, deutsche Theatermacherin mit irakischen Wurzeln, die einen Teil ihres Lebens auch in Syrien verbrachte, inszeniert ihre theatrale Recherche als persönliche Suche. Syrien, so erzählt sie, sei für sie immer die Insel der Ruhe in einer aufgewühlten Region gewesen (wie teuer diese Ruhe erkauft war, erzählt sie allerdings nicht). Dass ausgerechnet hier das Zentrum einer Auseinandersetzung liegt, die weit über den rahmen eines Bürgerkriegs hinausgeht, hätte sie auf die Idee zu diesem Abend gebracht, sagt sie. Er beginnt als scheinbar improvisiertes persönliches Gespräch mit dem Publikum und setzt sich fort als kommentierte Versuchsanordnung über das gewählte Thema. Zunächst werden reale Gespräche über den Begriff des Dschihad, der natürlich viel mehr bedeutet als den Krieg für den Glauben, sondern traditionell eher die persönliche Lebensreise, den persönlichen Kampf um sich, den Glauben das Leben, meint, nachgespielt. Mit verteilten Rollen und einem goldenen Trichter, in den hineingesprochen wird. Das Ganze hat einen sanft ironischen Ton, weist aber schon in die Richtung, die der Abend wählen wird.

Worte werden nur gehört, wenn sie medial aufgezeichnet werden, und diese Aufzeichnung ist natürlich ein Akt der Selektion. Nur das erreicht uns, was jemand für uns ausgewählt hat. Die Medien als Manipulator: Es ist eines der großen Themen von El Dschihad. So kommen die O-Töne von 1914 als sich selbst abstrahierende Multimedia-Show daher, werden „Experten“-Statements ebenso per Live-Video in TV-Interviewform gereicht wie ein nachgestelltes Rehabilitationsgespräch zwischen einem Justiz-Psychologen und einem vermutlichen Islamisten, in dem Letzter die Machtverhältnisse geschickt umkehrt. Stets jedoch verläuft die Vermittlung medial, betont Basrawi – etwa durch das nebeneinander von Video und realer Präsenz oder durch visuelle Verfremdungseffekte – die Distanz zwischen „Realem“ und Gezeigtem.

Dabei bemüht sie sich um einen leicht ironischen Tonfall, lässt widerstreitende Stimmen zu Wort kommen – etwa im Gespräch mit dem einem vermeintlichen „Mainstream“ zu geordneten Islam-Experten K. und dem Militärhistoriker S., der in stringenter Vereinfachum, den „Westen“ und vor allem die USA als Grundübel ausmacht, der die Islamisten groß gemacht habe, von der Destabilisierung der Lage profitieren und selbst das Atom-bkommen mit dem Iran nur abgeschlossen habe, um Russland zu schaden. So überheblich S. daher kommt, so überzeugend wirkt er. Wo K. stottert und stockt und ausweichen muss auf altbekannte Phrasen, ist S. selbstsicher, seine Argumentation überzeugend und wird er unterstützt durch tendenziöse Frage der vermeintlich neutralen Sucherin Basrawi. Und hier krankt der Abend: Er ist eben nicht eine Ausgrabung (mit Bilder einer solchen endet er), eine Suche nach der Wahrheit, sondern ein unterhaltsam ausgestalteter Frontalunterricht, der keine Fragen stellt, sondern alle Antworten schon hat. 2015 ist 1914, der Westen steckt hinter allem und die Medien spielen die Schlüsselrolle bei der Manipulation der Massen – auf beiden Seiten natürlich. Das ist schön einfach, durchaus überzeugend, weil es wie jede ideologische Weltsicht sich eben nicht mit den multiplen Widersprüchen der Realität herumschlagen muss. Was nicht ins Bild passt, lässt sich als Manipulation von Macht und Wirtschaft und Medien wegerklären.

El Dschihad beginnt wie ein Abend Hans-werner Kroesingers: ein nüchtern-sachlicher investigativer Versuchsaufbau, der bis zur Ermüdung Akten wälzt, Zeitzeugen befragt und Informationen sammelt, zusammenfügt und interpretiert. Doch das ist ihm schnell viel zu mühsam. Und so verlegt er sich, statt Fragen zu stellen, auf das möglichst vielgestaltige, vordergründig ironisch gebrochene Präsentieren vorgefertigter Antworten, denen der historische Rahmen eine allzu einfache Erklärungsgrundlage gibt. Statt sich dahin zu begeben, wo es weh tun könnte, zeigt er uns lustvoll und immer mit einem Augenzwinkern, wie leicht wir uns manipulieren lassen, natürlich überzeugt davon, dass er dies selbstverständlich nicht tue. Er schürft nicht tief, sondern wirft uns plakative Erklärungsmuster um die Ohren, die leicht verdaulich verabreicht werden, attraktiv verpackt sind und sich leicht konsumieren lassen. Der Zuschauer kann sich zurücklegen und sich wie in einer besonders kreativ gestalteten Unterrichtsstunde von vorgekauten Wahrheiten berieseln lassen. Selbst zu denken, ist hier nicht von Nöten, alles ostbekömmlich dosiert, um keinen Widerstand herauszufordern. Wie sehr der Abend die Mittel nutzt, die er vorgibt, zu kritisieren, wird dabei wohl kaum jemandem bewusst, zu sehr lässt man sich im wohligen Gefühl des Wissenden ablenken. Dass das Ballhaus Naunynstraße, vor nicht allzu langer zeit Keimzelle neuer theatraler Blicke und Perspektiven auf Themen, die wir gern verdrängen, die neue Spielzeit mit einem so selbstgefälligen und denkfaulen Abend eröffnet, stellt mehr Fragen, als El Dschihad es über seine 70 Minuten Dauer hinweg tut.

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