Iggy Pop in Schweinfurt

René Pollesch: Keiner findet sich schön, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: René Pollesch)

Von Sascha Krieger

Es hatte sich ja angedeutet: Schön länger hat René Pollesch, der Diskursgroßmeister des deutschsprachigen Theater, die Liebe als Thema für sich entdeckt.Und so sehr er es zuletzt durch seine Theoriemühle drehte, es wollte nicht so recht verschwinden. Also hat er kapituliert, den üblichen philosophischen, soziologischen, psychologischen  Überbau von Bord geworfen, Fabian Hinrichs zurückgeholt und ihm einen Text auf den Leib geschneidert über, na ja, die Liebe eben. Oder besser gesagt: das leiden an ihr und ihre Tendenz, sich immer rechtzeitig zu verflüchtigen, wenn man droht, ihr zu nahe zu kommen. Weil, und das ist das Grunddilemma, es dieses eine Wort gib, das auch in diesem Text schon auftauchte: oder. Denn, und so hebt dieser Abend an, am Anfang war nicht das Wort, sondern die Entscheidung. In diesem Fall die, zum Iggy-Pop-Konzert zu gehen oder (das ist es wieder) zu Hause zu bleiben und Robocop zu sehen. Von da aufs geht es immer weiter. Unzählig und bald schon unüberschaubar die Verästelungen des Entscheidungsbaumes, unmöglich zu wissen, welche der zahllosen Weggabelungen denn zum Ziel führt.

Foto: Sascha Krieger
Foto: Sascha Krieger

Und dieses Ziel ist hier stets der bzw. die Andere. Nicht das Ich, auch nicht das Wir sondern das Du. „Deinen Weg“ will der suchende gehen und singt dazu eine entsprechend umgedrehte Version eines bestimmten Sinatra-Klassikers. Doch erst einmal bleiben da nur das Nicht Mehr und das Noch Nicht, steckt der Vierziger, den Hinrichs gibt, den langsam auf die zweite Hälfte seines Lebensmarathons Einbiegenden, zwischen Liebeskummer und Sehnsucht fest und befürchtet, dass die Zeit abläuft. Zu den Klängen Leonard Bernsteins gibt er die „Restzeit-Story“, komplett mit Tänzern in blauem Gewand mit weißem Stern, die gemeinsam mit dem rot-weiß gestreiften Bühnenboden die US-Flagge andeuten, das Sehnsuchtsland, dessen Kulturmaschine längst vorgeschrieben hat, wie das denn sein soll mit der Liebe. Doch vielleicht liegt das Glück eben nicht in New York, sondern in Schweinfurt – dem Hinrichs denn auch gleich eine Hymne auf Basis von „New York, New York“ widmet, vielleicht darf der Suchende sich nicht da aufhalten, wo sich alle tummeln.

„No Fear“ steht auf der Riesenpuppe, die sich irgendwann aufbläst und die Hinrichs unter größter Anstrengung in die Vertikale wuchtet. Denn womöglich war am Anfang gar nicht die Entscheidung, sondern die Angst. Die, etwas zu verpassen, falsch abzubiegen, die falsche Entscheidung zutreffen. Iggy Pop beim Stagediving auffangen oder nicht, New York oder Schweinfurt – das „oder“ enthält nicht die Chance, etwas zu finden, sondern die Angst, etwas zu verpassen. Die Erkenntnis, „dass ein Leben so oder so oder anders hätte ausgehen können“, ist nicht neu, verrückt machen kann sie einen aber immer noch. Und so singt und fragt und rätselt und redet sich Fabian Hinrichs eine gute Stunde lang durch das Labyrinth namens Leben und Liebe und das ganz ohne Slavoj Žižek und ohne die Ausdehnung des Liebesdiskurses auf Grundprobleme der herrschenden Gesellschaftsordnung. Was jedoch nicht fehlt, sind das Verzweifeln an der Komplexität dieses seltsamen Experimentes names Leben, die Polleschsche Lust an der Sprache, der Mut zur albernen Spielerei und so manches loses Ende.

Man kann René Pollesch vorwerfen, dass Keiner findet sich schön  die übliche diskursive Weite und Tiefe fehlen, dass der Rahmen dessen, was hier verhandelt wird, eher eng gefasst ist, man kann den Assoziationsreichtum vermissen, die Theorie- und Metallebenen. Stattdessen ist Keiner findet sich schön ungewöhnlich direkt, emotional dicht und verdammt ehrlich. natürlich begeistert der Abend auch, weil er mehr als einmal ein zustimmendes Kopfnicken im Zuschauer hervorruft. Eine schwäche ist das nicht, denn in seiner kreisförmigen Struktur, die zugleich immer weitere Fäden spinnt, ist eben auch dieser Abend ein echter Pollesch: komplex, doppelbödig, ironisch, intelligent. Selbstverständlich ist die Schlussfolgerung („I did it your way“) eher simpler Natur. Aber auch das tendiert das Leben ja zuweilen zu sein. Keiner findet sich schön ist so widersprüchlich und paradox wie das, was er beschreibt. Und Fabian Hinrichs würde man wohl auch gern zusehen, wenn er das Dortmunder Telefonbuch vorläse.

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