Leben im flackernden Licht

Theatertreffen 2015 – Ewald Palmetshofer: die unverheiratete, Burgtheater/Akademietheater, Wien (Regie: Robert Borgmann)

Von Sascha Krieger

Nein, leicht macht es Robert Bormanns Uraufführungsinszenierung von Ewald Palmetshofers Stück die unverheiratete dem Zuschauer nicht. Das hat zum einen mit dem Text selbst zu tun: ein artifizielles Sprachkunstwerk, eine langes mäanderndes Prosagedicht, das die Distanz zum Erzählten, dessen Infragestellung stets mit transportiert. denn es geht um Wahrheit, Erinnerung, Schuld und deren Vererbung. Große Themen, die allesamt essentiell mit der Möglichkeit oder eben Unmöglichkeit verbunden sind, Narrative zu entwickeln, die überzeugend, konsistent, stringent sind, die Sinn, gar Lehren vermitteln. Drei Frauen stehen im Mittelpunkt: Großmutter, Tochter, Enkelin. Erstere hat in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs – Wien war bereits gefallen, Hitler noch am Leben – ein Telefonat mitgehört, in dem ein junger Soldat vage übers Desertieren nachdachte. Sie meldete ihn, er wurde hingerichtet, sie wanderte ins Gefängnis. Die Erzählung vom Prozess bildet eine Säule des Stücks, die durch einen Unfall der mittlerweile Hochbetagten verursachte Familienzusammenführung im Krankenhaus die andere. Bei Palmetshofer werden Gegenwart und Vergangenheit zu einem großen Strom, der keine Grenzen kennt. Die einstige Schuld und das Schweigen darüber vererben sich: im Hass der Tochter auf die Mutter, der auch Schutzmechanismus ist, in der Alten nicht enden könnenden Selbstrechtfertigungsschleife, in der Liebessuche und Beziehungsverweigerung der Jungen. Die dann die Großmutter konfrontiert, vielleicht der einzige Weg, den Zwängen zu entkommen. Ob das gelingt, bleibt fraglich.

Foto: Georg Soulek
Foto: Georg Soulek

Wo schon der Text anspruchsvoll ist, gilt das erst recht für Bormanns Zugriff. Immer wieder lässt er zu Beginn – und erneut am Ende – den Vorhang auf- und zu-, das Licht an- und ausgehen. Vignetten zeigt er: die einsame Alte, die voller Wut mit einem Beil auf einen Tisch einschlagende Mittlere, die Junge als Bänkelsängerin mit Akkordion. Passende Attribute für die in sich selbe Gefangene, die sich im Hass verschanzt Habende, die noch verhalten Optimistische, die versucht, eine Erzählung zu schaffen, die ihr Leben sein soll. Der Blick ist ein fragmentarischer, das Auf und zu des Vorgangs ebenso wie die erratisch wirkende Lichtregie Symbol einer Wahrheitssuche, bei der die Gewissheit, sie finden und von ihr lernen zu können, das erste Opfer ist. Vier „Schwestern“ gesellen sich dazu – mal in Puppenkleidchen, mal in Gestapo-Outfit. Sie sind Katalysatoren und Kommentatoren, erzählen den Prozess, bilden Ankläger und Zeugen, Mitgefangene. Kleidung, Rolle, Text fallen auseinander, Sicherheiten verschwinden, dieser Chor ist ebenso erhellend wie verunsichernd, trägt er doch seine eigene Negation in sich.

Borgmann setzt auf Langsamkeit und Stille. So wie die Erzählung der trotzigen Grantlerin, die existenziellen Selbstzweifel mühsam zuschüttend, mit der Elisabeth Orth die Alte spielt, nicht von der Stelle kommen kann, weil das ihr eigentliches Ziel ist, so kommen auch die verzweifelt wütende Mittlere (Christiane von Poelnitz, die sich gegen Ende in einem Elektra-Monolog am Bühnenrand entäußert) und die Junge (Stefanie Reinsperger), die um sich selbst zu finden, wiederholt zur Großmutter werden muss, nicht voran. Die gescheiterten Versuche anzufangen, die multiplen Abbrüche, die szenische Vereinzelung und Erstarrung der Figuren, das herumirrende Licht: Sie alle sind Zeichen, Symptome auch, der existenziellen Verunsicherung von der hier erzählt wird. Und mit ihr von der Macht des Schweigens, von der Brutalität, mit der die eigene Schuld, um sich ihr nicht stellen zu müssen, projiziert  und weitergegeben wird in einer Stafette gescheiterter Lebensversuche, von denen der der eigentlich Shuldigen wohl der Erfolgreichste war, auch wenn er in einem finalen Grausamkeitsakt gegen sich, vor allem aber die anderen, endet.

Palmetshofers Spracherkundung und Borgmanns introspektives Bedeutungsertasten zwischen den Grabhügeln im im Neonröhren-Kubus, der natürlich auch etwas von einer Gefängniszelle hat (Bühne: Bormann), gehen eine unheilige Allianz ein, zumindest für so manchen Zuschauer: Ihr Suchen kann, ja, will nirgendwo ankommen, die Endlosschleife erscheint hier als Überlebensstrategie und wird in keiner Sekunde abgemildert. Das ist schwer zu ertragen, zumal die Denk- und Erkenntnisarbeit vor allem beim Publikum liegt (die „Auflösung“ der Denunziationsgeschichte etwa lässt auf sich warten, um den universellen Betrachtungen des Stücks nicht in die Quere zu kommen, keine einfach zu verarbeitende Erklärung zu bieten). Wir beobachten Leben im Stillstand – solche, die sich in ihm eingerichtet haben und solche, die in immer panischeren Bewegungen, versuchen, so etwas wie Sinn und Richtung zu finden, nur um sich dadurch um so mehr zu verstricken. Es ist ein Abend, der das Publikum braucht und zugleich abwehrt, den Zuschauer zwingt, sich seinen Weg hinein zu kämpfen, oder außen vor zu bleiben. Für letztere ist er gähnende Langeweile, für erstere eine intensive, in klaustrophobischer, erstickender Enge kondensierte Versuchsanordnung über Schuld, Wahrheit und Leben. Der am Ende ratlos zurücklässt und genau dadurch den Raum eröffnet, ja, erzwingt, sich einen Reim auf dieses lähmende Wirrwarr aus Geschichte, Familie und Individualität zu machen, in dem nicht nur die drei Frauen auf der Bühne gefangen sind.

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