Im Innern des Vulkans

Marek Janowski und das RSB mit Werken von Bruch und Bruckner

Von Sascha Krieger

Max Bruch wäre bestenfalls eine Fußnote inn der Musikgeschichte, härter er nicht sein erstes Violinkonzert, jenes in g-Moll geschrieben, das heute allein mit seinem Namen verbunden ist. Ein Nebenwerk des Oratorienkomponisten und Symphonikers, dessen Hauptwerke ebenso vergessen sind wie die anderen beiden Violinkonzerte. Was bleibt, ist Einzug und allein dieses erste – mit seinem romantischen Gestus, seiner Mischung aus tänzerischer Energie und Kantabilität, seinen leicht östlich angehauchten Themen, deren Zauber kaum ein Geiger von Rang zu entgehen im Stande ist. Auch Kristof Baráti stürzt sich mit Inbrunst in Bruchs Melodik, die nirgendwo hinweist und die doch, in diesem einen Moment, so etwas wie die Essenz romantischen Komponierens ist. Barátis Spiel ist kraftvoll wie gesanglich, sein Strich energisch und fest, sein Ton rund, voll, zuweilen äußerst muskulös. Er sucht das romantische Pathos ohne zu übertreiben. Sein Spiel ufert nicht aus und ist doch in jedem Takt affirmativ. Marek Janowskis RSB liefert dazu einen kompakten, dichten, kraftvollen Orchesterklang, der sich weitgehend aufs Begleiten beschränkt und zugleich dem werk eine ungeahnte Dramatik verleiht, die der Solist nur zu gern aufnimmt. Das Solospiel kippt, vor allem im Adagio, streckenweise fast ins Süßliche, Schwelgerische und wird doch immer wieder von Janowskis Verdichtungen aufgefangen. Auch im Finale zügelt die Strenge des Orchesters die hörbaren Mühen des Solisten, etwa beim ersten Thema, so dass er schnell wieder zu seinem kraftvollen Gesang findet. Janowski jedoch versucht, dem Werk eine Substanz unterzuschieben, die es nicht hat. Doch sein dramatischer Gestus mark Gegengewicht zum romantischen Schmelz Barátis sein – ganz überzeugen kann er nicht.

Marek Janowski, Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (Foto: Felix Broede)
Marek Janowski, Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (Foto: Felix Broede)

Da ist er bei Anton Bruckners sechster Symphonie eher in seinem Element. Es ist in gewisser Weise ein Gegenstück zu Bruchs Werk: Wo dieses ein Nebenwerk ist, das es zu großer Popularität gebracht hat, verhielt es sich bei der Sechsten lange – und zum Teil bis heute – genau andersherum. Wo Bruckner sonst so gern ins weite, Universale strebt, ist sein Blick hier mehr nach innen gerichtet, wirkt das Werk – trotz durchaus stattlicher Ausmaße von etwa einer Stunde Spieldauer – wie eine Konzentration seiner symphonischen Welt. Dazu passt der konzentrierte, verdichtende Ansatz Janowskis sehr gut. Von Beginn an gelingt es Janowski, eine innere Spannung aufzubauen, die den Punkt des Zerreißens mehr als einmal streift, und das aus dem Kontrast zwischen zartestem Piano und dichtem Forte entsteht. Das Orchesterspiel wechselt zwischen konzentriertem und kompaktem Klang und lichter Transparenz, die Bewegungsenergie der Partitur zerfasert nicht in unterschiedlichste Richtungen – wie vor Wochenfrist bei Daniel Barenboim und der Staatskapelle – sondern ist gebündelt und zielgerichtet. Die Vielstimmigkeit des Kopfsatzes ist stets präsent und steht doch unter dem Primat klanglicher Einheit. Unaufhaltsam drängt der erste Satz voran, hin zum Adagio, dem Epizentrum der Symphonie, die bei Janowski ungewöhnlich viel Zug hat. Da ist kein Mahlersches Mäandern, dieser Fluss ist bewegt und zieht kontrolliert seine Bahnen. Sein Grundton ist einer ernsthafter Strenge, die ihm Gewicht verleiht, die Energie des Kopfsatzes aufnimmt und den Boden bereitet für das weitere musikalische Feld, das die Sätze drei und vier beackern werden. Der Blick ist stets nach innen Gewand, ein introspektiver Satz , der in der Konzentration auf seinen Kern eine ungemeine Kraft und Energie entwickelt.

Von der die beiden Schlusssätze durchaus zehren: Das Scherzo ist eine einzige Wellenbewegung aus organischem An- und Abschwellen, aus Wiederholungen von Ansetzen und Abbrechen. Janowski betont den fragmentarischen Charakter des Satzes, ohne das drängende Vorwärtsstreben der Symphonie als Ganzer aufzugeben. Der Gestus ist hier eher ein neugieriger, forschender, als ein fragender. Voller Dramatik dann das Finale mit seinen Lautstärke- und Tempi-Kontrasten, seinem Wechselspiel aus Vorwärtsdrängen und Innehalte, das Janowski klar herausarbeitet. Das Orchester ist ganz bei sich – mit seinem hochpräzisen Spiel und einem konzentrierten, dunkel grundierten Klang, der längst so etwas wie ein Markenzeichen geworden ist. Unter Marek Janowski wirkt das RSB oft wie ein Vulkan, der kurz davor ist auszubrechen und es dann doch nicht tut. Die Kraft, welche die im Inneren brodelnde Magma zu entfalten vermag, reicht vollkommen aus. Mit viel Bewegung endet das Finale, nicht ohne noch einmal deutliche klangliche Bezüge zu den ersten beiden Sätzen – der feierlichen Energie des ersten, der dichten Kontemplation des zweiten – hergestellt zu haben. Wo sie bei Barenboim ziellos ausfranste, formt Janowski die Sechste zu einer musikalischen Einheit, in der die Sätze nie nur für sich stehen, sondern wie ein Konzentrat stets nicht nur die anderen, sondern Bruckners ganzes musikalisches Universum beinhalten. Dass Bruchs Violinkonzert aus dieser Perspektive noch leichtgewichtiger erscheint, steht auf einem anderen Blatt.

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