Showmaster der Macht

Festival „Leaving is not an option?“ – Nach William Shakespeare: Korijolánusz, HOPPart Company Regie: Csaba Polgár) (Gastspiel im Hebbel am Ufer/HAU1, Berlin)

Von Sascha Krieger

Dieses Rom ist ziemlich herunter gekommen. Oder unfertig, gerade erst dabei sich zu finden. Wahrscheinlich beides. Wie bestellt und nicht abgeholt stehen die Darsteller im leergeräumten aufgefüllten Zuschauerraum des Hebbel-Theaters und warten. Worauf? Das weiß keiner von ihnen Eine Prekariatsparade, selbst der gefeierte Kriegsheld Caius Martius, der bald nach gewonnener Schlacht den Namen Coriolanus wird tragen dürfen lungert im Unterhemd daher. Ein paar gepflegter gekleidete Gestalten gibt es auch, viel mit sich anzufangen wissen auch sie nicht. Die Kleidung und die wie zufällig zusammengetragenen Requisiten – Coriolanus‘ Feind Aufidius etwa läuft ständig mit einem Kassettenrekorder herum – deuten darauf hin, dass wir uns im Nachwende-Ungarn befinden könnte, im Aufbruch nach dem Zusammenbruch, in einem heruntergewirtschafteten Land, das gerade dabei ist sich neu zu erfinden, ein Zustand, so zeigt ein Blick auf das Land heute, aus dem es vielleicht noch immer nicht ganz erwacht ist.

Foto: Sascha Krieger
Foto: Sascha Krieger

Hier also entspinnt sich das Spiel um die Macht, in dem der große Kriegsheld untergehen wird, weil er als einziger die Spielregeln nicht versteht und auch nicht akzeptieren kann. Kein unschuldiges Opfer jedoch: Zu machtgeil ist auch er, berauscht von seiner vermeintlichen Unangreifbarkeit, seinem übergroßen Ego, der Verachtung all jener, denen er sich überlegen fühlt. Dass dieser Glücksritter aus der Anarchie des Machtvakuums als Verlierer hervorgeht, liegt einzig daran, dass er nicht begriffen hat, wie das Spiel funktioniert. Ganz anders die beiden Volkstribunen, die bei Regisseur Csaba Polgár als gerissene, skrupellose und mit allen Wassern gewaschene Politiker daherkommen, die die Gunst der Stunde nutzen und mit präzisem Gespür die Macht an sich zu reißen verstehen. Ihnen zur Seite stehen jene, die sich schadlos zu halten wissen, wendige Opportunisten, gewiefte Diplomaten, unangreifbare Teflon-Politiker. Und das Volk: Das schließt sich dem an, der am meisten zu bieten hat und am Berechenbarsten ist. Zu gewinnen hat es wenig, aber umsonst gibt es die Gunst nicht.

Polgár lässt den Machtreigen als launige Parodie spielen, mit farcenhaften Elementen, Slapstickpassagen – etwa jene, in der Coriolanus Aufidius besiegt, ohne zu bemerken, dass dieser Sieg nichts wert ist, eine Erkenntnis, die dem Zuschauer nicht entgeht. Polgár betont das Show-hafte, die Macht des Scheins, das Theatrale erfolgreicher Politik, lässt seine Protagonisten immer wieder als Darsteller auftreten, die wirkungsvoll eine Rolle spielen, Varietékünstler des Populismus, für die das Performative längst das Inhaltliche verdrängt hat. In einer Zeit, in der alles im Fluss ist, in der die alte Ordnung abgedankt hat und die neue noch nicht konsolidiert ist, geht es darum, wer sich am besten in den Vordergrund spielt und am effektivsten die Menschen auf seine Seite zu ziehen versteht. Dabei bleiben die Verhältnisse vergleichsweise stabil, Arm und Reich, Oben und Unten verschieben sich nur leicht, die Ordnung stellt sich wieder her, mit neuen Gesichtern vielleicht, aber mit den alten Rollenzuteilungen. Eine Scheinveränderung nur, die jedoch um der behaupteten Glaubwürdigkeit willen Bauernopfer verlangt. Einen wie Coriolanus also. Und so geht man am Ende zur Tagesordnung über, widmet sich bürokratisch und pragmatisch dem Anliegenden. Und wenn es von der Decke tropft, wird einfach ein Eimer hingestellt. Ist das Dach auch undicht, Hauptsache, das (Macht-)Fundament steht.

Das ist in seiner Stringenz klug durchkomponiert und bei aller Ironie und Komik von durchaus verstörender Logik. Wer will, kann Bezüge zum Populismus der derzeitigen, auf Kontrolle aller wichtigen Gesellschaftsbereiche und langfristigen Machterhalt ausgerichteten Strategie der gegenwärtigen ungarischen Regierung sehen – oder das Ganze als universelle Zustands- und Entwicklungsbeschreibung moderner Gesellschaftssysteme ansehen. Von da ist es nicht mehr weit zum „Die da oben sind nur an ihrer Macht interessiert und machen sowieso mit uns was sie wollen“, zu Politikverachtung, Resignation und Apathie. Dem hat der Abend wenig entgegenzusetzen, denn auch von Universalität zu Beliebigkeit ist der Weg ein kurzer. Vielleicht wirkt das in Ungarn stärker, greifen die hier beschriebenen Mechanismen dort stärker die noch brüchigen Fundamente einer vergleichsweise jungen Gesellschaft an, reißt das hier gezeigte womöglich offene Wunden auf. .So aber gerät Korijolánusz denn doch ein wenig plakativ und holzschnitthaft, gefällt sich zu sehr im Schwarz und Weiß als dass der Abend wirklichen Erkenntnisgewinn brächte.

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