Karussell der Hoffnung

Theatertreffen 2013 – Tennessee Williams: Orpheus steigt herab, Münchner Kammerspiele (Regie: Sebastian Nübling)

Von Sascha Krieger

Orpheus steigt herab gehört zumindest kommerziell den Misserfolgen des Dramatikers Tennessee Williams. Bis heut zählt es zu den selten gespielten Stücken des Amerikaner. Das ist umso erstaunlicher, als hier all die Themen Williams‘ mit einer Konsequenz verhandelt werden wie kaum sonst in seinem Werk. Macht und Gewalt, Ausgrenzung und soziale Kälte, das grausame Spiel der Mächtigen mit den Machtlosen, die immer schon zum Scheitern verurteilte Rebellion der Ausgestoßenen: Orpheus steigt herab ist so etwas wie die Essenz von Tennessee Williams Weltsicht, selten war dieses Universum brutaler, kälter, eine Flucht aussichtsloser. Wahrscheinlich hat diese Unerbittlichkeit einiges damit zu tun, dass das Stück nie Erfolg, Bekannt- und Beliebtheit anderer Williams-Stücke erreicht hat. Sebastian Nübling hat sich dieses dramatischen Stiefkinds angenommen und erzählt die Geschichte des Außenseiters Val, der Unruhe in eine repressive Südstaatengemeinde bringt, die nur durch größtmögliche Gewalt beendet werden kann. am Ende sind zwei Menschen tot und die Ordnung wieder hergestellt. Nübling setzt bei seiner Version von Williams‘ so vernichtender Gesellschaftskritik ganz auf atmosphärische Dichte und starke Körperlichkeit, er erzählt die Geschichte vor allem zwischen den Worten und entfaltet dabei einen ganz erstaunlichen Sog.

Foto: Julian Röder
Foto: Julian Röder

Das hat viel mit der Besetzung des Val zu tun: Risto Kübar spielt ihn, ein estnischer Darsteller, mit dem Nübling bereits bei Simon Stephens‘ Europa-Stück Three Kingdoms zusammengearbeitet hat. Elfenhaft wirft er seine grazile Gestalt in diese Welt der auftoupierten Frauen und grobschlächtigen Männer. Jede seiner schlangenartig eleganten Bewegungen ist eine Provokation und ein Versprechen. Das einer anderen Welt, einer, in der nicht die Gewalt Ausgangs- und Endpunkt von allem ist, in der eigene Wünsche zählen, eine Utopie, die Utopie bleiben wird. Wie die beinlosen Vögel, von denen er spricht und singt, schläft, lebt er auf dem Wind, dem Wind, der ihn hierher trug. Mehr Projektionsfläche als Mensch, personifizierte Hoffnung und Drohung, wandelnde Poesie in einer prosaischen Welt.

Zu der längst auch Jabes Frau Lady (Wiebke Puls) gehört, Tochter eines italienischen Einwanderers, dessen Tod Jabe auf dem Gewissen hat. Es ist faszinierend, ihre allmähliche Verwandlung zu beobachten: von der abweisenden Härte, mit der sie zunächst jedes Wort heraus presst, jede Silbe zu einer tödlichen Waffe formt, bis hin zum zerbrechlichen Klang der Hoffnung, als ihre Stimme weicher, die Augen heller, das Gesicht freundlicher werden. Wie sie bei der ersten Begegnung mit Val bei jeder noch so leichten Bewegung zusammenzuckt, als träfe sie der Schlag, verursacht beim Zuschauen fast physische Schmerzen. Nur ganz langsam öffnet sich ihr verkrampfter Körper, zeigt sich die aufkeimende Hoffnung in ihrer Haltung, ihrem Gang, ihrer Mimik, befreit er sich aus der Angst, der Lähmung, der sie zuvor befallen hat, lässt er sie ausbrechen aus dem gesellschaftlichen Konsens einer auf Angst und Ausgrenzung fußenden Gemeinschaft.

Nübling setzt ganz auf Atmosphäre, von Beginn an erzeugt er eine flirrend-wahnhafte Bedrohlichkeit, die der Abend durchhält und mit laufender Dauer noch verstärkt. Die offenbart sich nicht nur visuell: in den Lederjacken mit Hundemotiv, welche Jabe und seine Kumpane tragen, den Cowboyhüten, der stiernackigen Agression, die nie abschwillt, den künstlichen Riesenfrisuren und abgeschmackten Blümchenkleider der Frauen. Die Bedrohlichkeit erzeugt Nübling vor allem durch Töne. Anfang und Ende des Abends gehören einem Hund, der stumm am Bühnenrand steht. Aber nicht stumm bleibt: Der drohende Klang des Bellens bildet den Soundtrack der Inszenierung: im Bellen des Hundes aus dem Off, im Husten des todkranken Jabe, ja selbst im Sprechen der Einheimischen. Und auch das Mortorrad, das immer wieder um die Protagonisten kreist, jault und bellt voller Blutlust. Selbst die schwingenden Sitze des Kettenkarussell geben eine Art rhythmisches Stöhnen von sich. Und irgendwie gehört hier auch Carol hinein: die einzige mit Gewissen, die dafür Ausgestoßene, die sich nur noch in aggressivem Schreien und Zetern Gehör verschaffen kann. Eine zum Bellen verdammte Verlorene, die sich ganz einfach ignorieren lässt und die nicht einmal mehr zur Störerin taugt.

Hinzu kommen die starken Bilder, die Nübling findet. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die von Lady geplante Umgestaltung und Neueröffnung von Jabes Gemischtwarenladen, den sie zu einer Wiedergeburt des zerstörten Gartenlokals des Vaters umbaut. Bei Nübling gilt all ihre Energie einem Kettenkarussell, das sie Stück für stück behängt und mit bunten Lämpchen schmückt, irgendwann assistiert von Val. Ein strahlender Traum, der nie in Erfüllung gehen kann: Schon zu Beginn hängt das Karussell falsch herum von der Decke, so wie Lady die Machtverhältnisse auf den Kopf stellt. Am Ende sitzen sie und Val auf dem fahrenden Karussell, ein rauschhafter Moment des Glücks, der ebenso äh wie sachlich nüchtern endet. Mord ist hier nur ein normaler Arbeitstag.

Sebastian Nübling hat aus Orpheus steigt herab einen überaus poetischen Abend gezaubert, der vor allem durch seine dichte, fast mit Händen greifbare Atmosphäre beklemmender, beinahe erstickender Bedrohlichkeit überzeugt und der seine Geschichte von Ausgrenzung, von Macht und Ohnmacht vor allem zwischen den Zeilen erzählt: im alles bestimmenden Klang des Bellens, im Sehnsuchtspunkt des Karussels, in den Bewegungen und Verdrehungen der Körper. Es ist ein Theater, das seine Kraft aus dem Körperlichen zieht, das das dräuende Gefühl der Bedrohung vor allem in der Stille erzeugt, die nur durch das Stöhnen des Karussells durchbrochen wird. Die alles überlagernde und abtötende Angst, das Gefühl des Eingequetschtwerdens, die Ausweglosigkeit einer Gesellschaft, die auf Hass und Ausgrenzung gebaut ist, sind hier viel mehr als Behauptung: Sebastian Nübling macht sie spür-, hör-, sichtbar. Und so gilt am Ende der stärkste Applaus dem Regisseur. Das ist auch beim Theatertreffen nicht gerade alltäglich.

1 Kommentar

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..