Mit Hölderlin ins schwarze Loch

Foreign Affairs 2012: The Four Seasons Restaurant von Romeo Castellucci

Von Sascha Krieger

Das war es dann also: Nach vier Wochen ist es das geschafft. Die erste Ausgabe von „Foreign Affairs“, dem neuen internationalen Theater- und Perfomancefestival der Berliner Festspiele ist über die Bühne. Ein Künstlerfestival sollte es sein, ein „Clash“ der Visionen und Ideen, wie es Festival-Leiterin Frie Leysen ausdrückte. Und das Ergebnis konnte sich sehen lassen: So viel Interdisziplinarität war lange nicht mehr, so viel Internationalität auch nicht und vor allem: so viel künstlerische und ästhetische Vielfalt: Von der stummen Poesie von FC Bergman bis zum lauten Bildertheater Rodrigo Garcías, von der brutalen Konfrontation mit dem Dunklen der menschlichen Natur bei Brett Bailey bis zum Tanztheater von Anne Theresa de Keersmaker und Bris Charmatz, reichte das Spektrum, Japan, Argentinien, Korea und Südafrika waren vertreten, Europa sowieso. Nicht alles hat funktioniert, aber es war selten langweilig und noch seltener pure Routine. Wer künstlerische Risiken eingeht, muss auch den Mut zum Scheitern haben und auch den hatte „Foreign Affairs“. Es war eine vierwöchige Reise durch unsere Welt, voll unterschiedlichster Blicke und Sichtweisen, der sprichwörtliche Blick über den Tellerrand, der das Blickfeld öffnet. Und gut besucht war es: Die günstigen Eintrittspreise hatten sicher ihren Anteil daran, den Altersdurchschnitt deutlich gegenüber dem zu senken,was an Berliner Theatern sonst üblich ist. Ein guter Einstand ohne Frage.

Romeo Castellucci The Four Seasons Restaurant
Geburtsphantasien mit Hölderlin (Foto: Christophe Raynaud de Lage_WikiSpectacle)

Und zum Schluss noch mal ein großer Name: Romeo Castellucci zählt zu den Stars der internationalen Off-Theater-Szene, einer, der gern auch einmal provoziert, der bei seinem letzten Berlin-Gastspiel die Katholische Kirche zu wütendem Protest anregte. Den gab es diesmal nicht, Provokation ist in The Four Seasons Restaurant keine zu finden. Der Titel bezieht sich auf den amerikanischen Maler Mark Rothko, der in den 1950er Jahren den Auftrag bekam, für das edle New Yorker Restaurant dieses Namens Bilder anzufertigen. Dies tat er auch, weigerte sich dann aber, sie dem Restaurant zu überlassen, ein Protest gegen den Bilderkonsum, ein Sich-Entziehen, für Castellucci ein Akt des Verschwindens. Von einer „Philosophie des Verschwindens“ spricht er denn auch im Programmheft-Interview, und so ist wohl auch dieser Abend zu Verstehen: ein sich dem Bilderkonsum entgegenstellender Reigen von Bildern des Verschwindens.

Der ohne Bilder beginnt: Wir sehen schwarz – und hören es auch. Den Anfang bilden Gesräusche, die einem schwarzen Loch entstammen. Düster grummelnd und sich in pfeifenden Höhen entladend werden so die Strahlungen eines solchen alles – auch das Licht – verschlingenden kosmischen Gebildes hörbar gemacht. Das schwarze Loch: ein Nichts, das zugleich das dichteste Gebilde des uns bekannten Universums ist, ein Verschwinden also, in dem etwas erscheint. Das Motiv erscheint auch wieder gegen Ende des Abends: Da wird die Bühne schwarz und punktuell durch donnernde Blitze erhellt. Das Licht ist eine kurze Episode, wenn das Auge sein erscheinen bemerkt, ist es auch schon wieder weg. Den Schluss bildet ein wunderbarer Strudel, eine apokalyptische Vision aus Federn, hinter der jemand, kaum sichtbar eine schwarze Flagge schwenkt. Ein Wirbel, in dem auf jedes Sinken ein neues Aufsteigen folgt und der immer beides gleichzeitig ist.Verschwinden und Erscheinen, in Bildern die Bilderlosigkeit erzählen: Das will Castellucci und das gelingt ihm am besten, wenn die Worte verstummen.

Über weite Strecken ist dies leider nicht der Fall. Da versammeln sich zehn bildschüne Frauen in Arbeitskleidung und trennen sich die Zungen ab. Auch ein Akt des Verschwindens, dem ein neues Erscheinen folgt: Wenn sie anfangen zu sprechen, hören wir Verse. Hölderlin, Der Tod des Empedokles, auch eine Geschichte selbstentschiedenen Verschwindens, angereichert mit schön choreografierten Knäuelbildungen (Verschwindendes Individuums!), die zu Geburtsszenen (Erscheinen!) werden. Dazwischen wird viel deklamiert, werden die Arme theatralisch in die Luft geworfen, entstehen immer weder Standbilder, die unsere klassische Bilderwelt zitieren und wohl auch entlarven wollen. Unddoch gelingt das nicht so recht, zu künstlich ist das Turnhalleambiente, zu plakativ werden die Motive vorgeführt, zu bleiern gerät das Spiel. „Das ist Kunst!“, schreit uns das entgegen, „Wir sind Abstraktion!“. Das ist in all seiner gewollt elegischen Langsamkeit zu laut und eindeutig, als dass sich der Zuschauer auf das Wechselspiel von Bildüberflutung und Bilderentzug, auf das Verschwinden als Voraussetzung für neues Entstehen einlassen könnte.

Das gelingt erst wieder – ein gewolltes Paradox?-  als die Bilder die Bühne übernehmen, das Wort verstummt, und der Zuschauer sie fasziniert und genüsslich, ja, konsumieren kann. Der Bilderkonsum rettet einen Abend, der über das Verschwinden von Bildern philosophieren möchte. Eine eigentlich wunderbare Ironie, die durchaus auch zum Festival als Ganzem passt. Und die beste Nachricht: Schon im Juni 2013 gibt es die nächste Ausgabe. Gründe zur Vorfreude hat Runde eins ausreichend geliefert.

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