„mein schön deutsch sprach“

Theatertreffen 2022 – Nach Ernst Jandl: humanistää! eine abschaffung der sparten, Volkstheater Wien (Regie: Claudia Bauer)

Von Sascha Krieger

Bevor das erste Wort gesprochen wird, ist, wenn nicht alles, so doch vieles bereits gesagt. In einem kleinen kalten wartezimmerartigen Raum inmitten einer grauen Wand ergeht sich ein Paar in einem Abendessen-Crescendo. Angetrieben von langsam anschwellender, rhythmusdurchpulster minimalistischer Musikbegleitung aus dem kleinen Orchestergraben steigert sich das Ballett des Brotschmierens und Anstoßens in immer groteskere Überzeichnungen, in zunehmend bizarrere ekstatische Bewegungsorgien bis zur totalen Eskalation und vollständigen Erschöpfung. Gespielt von wechselnden Darsteller*innen zeichnet die mehrminütige Sequenz die körpersprachliche Miniatur einer Beziehung am Abgrund, die as dem Ruder läuft, bis jede Fiktion eines alltäglichen Miteinanders vollständig ad absurdum geführt ist.  Ein atemlos absurdes Körpertheater, das kein Auge trocken und keine Eskalationsstufe ungesagt lässt.

Bild: Nikolaus Ostermann/Volkstheater

Es ist die vielleicht wunderbarste Ironie, dass Claudia Bauers Abend über den Sprachwerker Ernst Jandl in diesem furiosen Auftakt so ganz ohne Worte daher kommt. Die sprachlichen Verzerrungen und Verkünstlichungen, die Ver- und Entfremdungen der Jandlschen Diktion – Bauer übersetzt sie in ein ebenso verfremdet abstrahiert künstliches Gemisch aus Gestik, Rhythmik, Körperlichkeit, eine bizarre Verzerrung der Wirklichkeit ins Kenntliche. Wenn dann, eingesprochen von der Seite und mit Verszahlen versehen, Jandls Texte – primär zunächst „Aus der Fremde“, die in dritte Person und Konkunktion transferierten Dialoge zwischen fiktionalisierten Versionen Jandls und Friederike Mayröckers – zu Gehör kommen, treffen sie bereits auf ein etabliertes Narrativ, auf eine Sprache, die ganz originär die der Inszenierung ist und doch untrennbar mit der des Autoren verbunden bleibt. Auch wenn der Raum sich weitet in eine größere Version des vorherigen Mini-Zimmers (Bühne: Patricia Talacko), bleibt der Abend dieser etablierten Sprache treu.

Die Musik- und Percussionsbegleitung gibt Takt und rhythmisches Korsett vor, sperrt die Figuren ein in einen Bewegungsraum, der immer wieder sich auflöst und seiner Form entgleitet, um dann in seine Ordnung zurückzufinden. es ist eine zirkuläre Serie des Wideransetzens, Eskalierens und Abbrechens, der Auflösung und Wiederherstellung, der Ordnung im Chaos und des Chaos in der Ordnung. Ob in den absurd skurrilen Privatlebensszenen, dem hochkomischen Debattenslapstick aus dem Stück „die Humanisten“ oder dem verstörenden, spartanisch beleuchteten stockenden Monologfragment von „Deutsches Gedicht“: Der Abend ist eine ebenso wide wie hochpräzise Chrographieabfolge über das Versagen und den Totalitarismus ordnender Systeme – vom Privaten bis zum Völkermord.

Dabei bettet Bauer die sich verselbständigende und entfremdende Sprache Jandls in ihre ebensolche visuelle Ästhetik ein – angesiedelt irgendwo zwischen der apokalyptischen Stagnationsmelancholie Christoph Marthalers und der manischen Slapstickeskalation eines Herbert Fritsch, ergänzt durch mit deindividualisierende, an Susanne Kennedy gemahnende Masken. Wenn das Humanistenduo die deutsche Sprache und Kultur preist in einem Duktus („mein schön deutsch sprach“), der jeglichen Regeln spottet, wenn sie das Hockulturlob konterkarieren mit Pimmelduellen, wenn Samouil Stoyanov seinen Gehorsams- und Tätermonolog ins sprachliche Stocken, in die Auflösung von Sprache als Sinngebungsinstrument hineinstolpert, dann bleibt dem Publikum immer wieder das Lachen im Halse stecken. Nur um gleich wieder loszubrechen.

Vom Privaten ins universell Montröse und wieder zurück, von der sprachspielerischen Albernheit in beklemmende Todesnähe, von lächerlich fröhlicher Sangeskunst in die Erstarrung der Routine anheim gefallener erstorbener Beziehungen reicht das Spektrum des Abends, der wie seine Bühne vom Kleinen ins Große ins Kleine kommt. Jandls Sprache ist stets eine der Sprachlosigkeit und des dieser eine Stimme Gebens und dagegen Anrennens, die Regisseurin Bauer mit einer passenden visuellen, rhythmischen und  körperlichen Sprache korrespondieren, sich reiben und ergänzen lässt. „ich sein mein sprach“, sagt Julia Franz Richters Professor im Dialogduett mit Elias Eilinghoffs Künstler. Und ist ihr zugleich entfremdet. Sie hat ein Eigenleben gewonnen, sich von der Wirklichkeit emanzipiert wie der Konjunktiv des Schriftsteller*innen-Paars. Sie kann die Unerträglichkeit der Wirklichkeit nicht mehr fassen und muss ebenso unerträglich, halbverständlich, mechanisch verkrampft und gewalttätig verbogen werden wie diese.

Es ist ein absurder, waghalsiger Totentanz, der sich hier entspinnt, ein privater wie politischer, ein individueller wie universeller, wahnwitzig und entsetzlich, hochkomisch und den Atem raubend. Die Sprache entkommt der Ordnung, flimmert über die Bühne, teilt sich auf in Geschriebenes und gesprochenes, in Text und Metatext, in weitermachen und Scheitern. Und ist in ihrem Versagen ganz Form, wie es auch der Abend in seiner Auflösungsästhetik bleibt. Wie Bauer Kolleg*innen zitiert, tut Jandls Text mit dem Bekannten, dem Alltäglichen wie dem Literarischen, sichtlich und hörbar anders, aber wiedererkennbar in seinem Bankrott. Schön ist an dieser deutsch sprach“ nichts – und alles. Eine Schönheit der Erkenntnis um die Perversität einer den Abgrund verbergen wollenden Schönheit. Die show geht weiter, aber sie dreht sich um ihre eigene Monstrosität. Und vermutet deren Überwindbarkeit im Lachen, in der Lächerlichmachung, im Wissen um die eigene Ironie. Ein Lachen, das Erkenntnis bringt und Befreiung erhoffen lässt. Ein Abend über die Ausweglosigkeit, der Optimismus atmet. Vollkommen unmöglich und doch für fesselnde mehr als zwei Stunden unwiderlegbar real.

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