Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

Duncan Macmillan: The Forbidden Zone, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin / Salzburger Festspiele (Regie: Katie Mitchell)

Von Sascha Krieger

Eine Frau steigt in einen Zug ein, er führt sie, nicht ohne Hindernisse, an ihr Ziel. Doch er selbst ist nicht am Ende. Ganz am Schluss, die Bühne ist menschenleer, gehen die Lichter wieder an und er setzt sich erneut in Bewegung. Er wird weiterfahren, bis ihn, vielleicht, eines Tages jemand stoppt. Ein zweifach teilbarer Waggon dominiert die Bühne von Katie Mitchells Meditation über Krieg und Mensch und er ist zugleich ihre stärkste Metapher. Die passiven Passagiere, die sich dahin transportieren lassen, wo es denen, die die Fahrt kontrollieren gefällt – es sind all jene, die im Jahrhundert der Kriege gefolgt sind, oft in ihr eigenes Verderben, oder die zumindest nicht aufbegehrten. The Forbidden Zone spannt den Bogen vom ersten zum zweiten Weltkrieg, ohne zu vergessen, dass er sich mühelos ins Heute fortsetzen ließe. Wer aussteigt aus diesem Zug, mag protestieren, nicht mehr mitmachen wollen, sich entziehen. Der Zug jedoch rollt weiter.

Foto: Stephen Cummiskey
Foto: Stephen Cummiskey

Im Mittelpunkt des Abends stehen zwei Frauen: Clara Haber, geborene Immerwahr, und ihre Enkelin Claire Haber. Chemikerinnen beide. Die ältere erschießt sich aus Protest gegen den Gaskrieg, den ihr Mann, der spätere Nobelpreisträger Fritz Haber, maßgeblich auszulösen half, die jüngere schluckt Gift, wenn ihre Arbeit an Gegenmitteln für chemische Kampfstoffe beendet wird und sie erkennt, wofür ihr Großvater einst den Grundstein legte. Mitchell hat hinter dem Waggon eine Zimmerflucht angelegt, die Universitätslabor und Habersche Wohnung vereint, die Zeiten ach physische verschränkt in einer Gleichzeitigkeit aus Gestern und vorgestern, in dem das Heute mehr als nur mitschwingt. Über allem thront eine Videowand von grobkörniger Struktur, die den Bildern, die unten live produziert werden, eine instantane Patina verleiht und sie ausdrücklich in der Vergangenheit verortet.

Und doch sind sie Gegenwart werden – mal sichtbar, mal verborgen – in diesem Moment produziert, wie sich auch die Mechanik von Krieg und Vernichtung stets reproduziert bis weit hinein ins Jetzt.  Ganz am Anfang steht da ein junger Mann, mit freiem Oberkörper wird er vermessen, katalogisiert für seinen eigenen Tod. Ein Soldat, ein passives, williges Opfer. Fleisch und Blut, dann sorgsam inszenierte Projektion, zuletzt verblassende Photographie. Später werden wir seinem Sterben zusehen wie auch dem der beiden Frauen – doch tot ist er von Beginn an, wie ein aus dem Off gesprochener Text von Mary Borden verrät. Die Männer sind hier Täter, Helfer, Opfer, stets aber teil des Räderwerks: der Wissenschaftler, der zum Massenmörder wird, der GI, der seine Orientierungslosigkeit mit Hass zu bekämpfen versucht, die ihn bis zu einem halbherzigen Vergewaltigungsversuch führt, der stumme, sich schlachten lassende Soldat, der rückgratlose, sich in jeden Dienst, der da komme, stellen lassende Institutsleiter.

Dem gegenüber stehen die Frauen: Clara, Claire und ihre Kollegin, die sich zum Schluss als ehemalige Geliebte des toten Soldaten entpuppt. Sie leiden stumm, hilflos, sie haben keinen Anteil, keine Macht, sehen nur den Selbstmord als Ausweg, als einzige Form des protests, die ihnen offen zu stehen scheint. Dialogszenen gibt es wenige, über weite strecken bleiben die Gesichter stumm, werden aus dem Off pazifstische und feministische Texte eingesprochen, von Borden etwa, aber auch von Simone de Beauvoir, Virginia Woolf und Hannah Arendt. Über ihnen läuft der Film: ein perfekt inszeniertes Melodram mit einschlägiger Musik und Film-Noir-inspiririerter 1940er-Jahre-Ästhetik. Das ist weit weg und doch nach, längst vergangen und zugleich in diesem Moment entstehend. Der Zug ist unentrinnbar, der Tod alleiniger Ausweg, doch aus dem Off kommen die Alternativen, die Entwürfe einer Welt, die einen anderen Weg einschlägt, der nicht in den immer gleichen Kreislauf aus Tod und Gewalt und Leiden mündet.

Die Stärke von Katie Mitchells abend liegt im Nebeneinander des Disparaten, in der Gleichzeitigkeit des vermeintlich nicht Zusammengehörigen. Die Verschränkung aus Vermittlung und Unmittelbarkeit, glatter, Distanz schaffender Filmästhetik und der rohen Unfertigkeit des Entstehens, das Auseinanderdriften von Text und Bild, aber auch das Ineinanderfließen der Zeitebenen, erzeugen Brüche, schaffen Lichtschächte und Blickachsen, die hinter die glänzende Fassade, hinter die perfekte wie aufwändige Technik, hinter die Ausweglosigkeit des Gesehenen führen. Wo den Protagonistinnen nur der ultimative Selbstentzug bleibt, deutet das Zusammenspiel der nie ganz zusammen kommenden Einzelteile, die Fragmentarisierung eines auf den ersten Blick stimmigen und abgeschlossenen Bildes durch die Instrumente, die das Bild erschaffen, an, dass es vielleicht einen anderen Weg gibt. Ob der sich in den zweifellos plakativ zusammengestellten Sekundärtexten zeigt, sei dahin gestellt. Die Ausweglosigkeit, für die der sich immer wieder aktivierende Zug steht, negiert der theatrale Prozess in sich selbst. Und schafft so vielleicht den Raum für Neues. Denn die Hoffnung, sie stirbt bekanntlich zuletzt.

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