Wenn das Nichts singt

Autorentheatertage 2014 – Wolfram Höll: Und dann, Schauspiel Leipzig (Regie: Claudia Bauer)

Von Sascha Krieger

Selten kam ein dramatischer Erstling mit so vielen Vorschusslorbeeren daher wie Und dann des geborenen Leipzigers Wolfram Höll. Schon vor seiner Uraufführung hatte der Text Preise bei zwei der wichtigsten Autorenfestivals des deutschsprachigen Theaters abgeräumt – den Hörspielpreis des Stückemarkts beim Theatertreffen und den erstmals vergebenen nachwuchspreis beim Heidelberger Stückemarkt, beide 2012.Da fehlte nur noch der Mülheimer Dramatiker Preis, den Höll vor wenigen Tagen gewann. Die Erwartungshaltung ist beim ersten Berliner Gastspiel der Leipziger Uraufführungsinszenierung entsprechend groß – und gerechtfertigt. Denn was Höll, 1986 geboren, per Schreibmaschine aufs Papier gebracht hat ist, schlicht atemberaubend. Eine ostdeutsche Nachwendegeschichte, eine Familie, die mit den großen geschichtlichen Umwälzungen ebenso klarkommen muss wie mit einer noch größeren privaten Abwesenheit: dem Verlust der Mutter. So weit, so unspektakulär. Doch die Geschichte tritt schnell in den Hintergrund, die Sprache selbst ist hier Protagonist und Gegenstand der Auseinandersetzung. Sie ist Schauplatz und Akteur, sie ist Labyrinth und Ausweg zugleich.

Spielort des Gastspiels von Und dann: die Kammerspiele des Deutschen Theaters (Foto: Sascha Krieger)
Spielort des Gastspiels von Und dann: die Kammerspiele des Deutschen Theaters (Foto: Sascha Krieger)

Hölls Sprecher ist ein Kind, das kindliche „und dann“ nicht nur Titel, sondern Vorantreiber des Erzählprozesses, Verhinderer seines Zum-Erliegen-Kommens. Und doch ist das kleine kindliche Sprache in ihren Schleifen und Wiederholungen, ihrem rhythmischen Stakkato, ihren kreativen Wortmonstern, ihrer reduzierten verbarmen Syntax. Hölls Sprache ist eine der Brüche, eine fragmentarische, eben weil er sie so verdichtet. Höll spricht den Verlust nie aus, den doppelten des geliebten Menschen und der Heimat, jenen aller Sicherheiten und Fundamenten, auf denen das Leben gebaut schien. Er macht ihn erfahrbar, sichtbar, hörbar, in der klagenden Sprachmelodie, im Immer-Wieder-Zurückmüssen der sich im Kreis drehenden Textstücke, im Anwesenheit erzwingenwollenden Aufeinandertürmen der Wortteile zu monströsen Riesenwörtern, die selbst Kreisbewegungen vornehmen und immer wieder zum Anfang zurückkehren. „Panzerparadenlangestraßespanzerparade“ ist so eines, „Kistenvatermutterkindkiste“ ein anderes.

Hölls Text wohnt der Zwang inne, immer wieder zurück zu müssen, sie ist Erinnerung im Sinne  einer Sichtbarmachung des Abwesenden. Zahlen spielen eine Schlüsselrolle, insbesondere die drei: kleinstmögliche Familieneinheit, aber auch unvollständig Auseinandergerissenes. Die drei Übriggebliebenen sind wie die drei Findlinge, die bei Höll Verlierlinge heißen und inmitten der Plattenbausiedlung stehen: Zurückgelassene in Erwartung des sie heimholenden Gletschers. Der Text ist wie ein langer – auch auf Zahlen basierender – Abzählreim, der immer wieder abbricht, der zurückholen will, wo er nur auszuschließen vermag. Hölls Sprache ist Ausdruck des Verlorenseins, aber sie gibt ihm auch erst die Möglichkeit kommunikativen Ausdrucks und somit vielleicht so etwas wie einen Ausweg. Denn das Kreisen um das Abwesende ist ein Kreisen um das eigene Ich, das private wie das kollektive, ist Auseinandersetzung mit Identität und schafft letztlich erst dessen Möglichkeit. Und dann gibt dem Nichts eine Sprache und macht es erst dadurch greifbar, befähigt zur Auseinandersetzung.

Die Aufgabe, diesen Text umzusetzen, ist keine übermäßig dankbare, doch in Claudia Bauer hat Wolfram Höll eine kongeniale Partnerin für die Uraufführung gefunden. Bauer konkretisiert nicht, sondern abstrahiert. Andreas Auerbach hat ihr ein Plattenbauskelett gebaut, in dem sich überdimensionale Kinderpuppen bewegen. Sie spielen Alltag – mit Papierschlangenspaghetti und Papptrinkflaschen. Die viel zu großen Köpfe grinsen unentwegt in diesem Alptraum aus flackerndem, fahlen Licht und monströs verzerrter Banalität. Das Normale ist eben nicht mehr normal, wenn seine Basis verschwindet, das Alltägliche wird zum Monströsen, Grotesken, Apokalyptischen. Bauer gibt dieser Verschiebung Bilder, sie schafft eine Atmosphäre des Phantastischen, irgendwo zwischen Geistergeschichte und Alptraum, zwischen Märchengrusel und kindlicher Einbildungskraft. Ihr gelingt es eine Atmosphäre zu schaffen, die einen ganz eigenen, aber ungemein zwingenden Sog entwickelt, der das Ringen mit der Unbegreiflichkeit der Abwesenheit Sicht- und fühlbar macht. Eindrücklich jenes Abschiedsbild, in dem die Figuren mit ihren Händen eine lebende Leinwand formen, auf welcher das Bild der Mutter zum letzten Mal erscheint.

Dazu kommt Hölls Sprache, die Bauer melodisch und rhythmisch umsetzt. Die Worte werden zu Trommelschlägen, sie marschieren, tippeln, stolpern, gehen voran und bleiben stehen. Die Sprache wird zum Klang, Passagen werden gesungen oder zumindest melodisch getönt, gegen Ende steht ein fast kirchlich anmutender Kanon, der Text fächert sich immer wieder in parallele Sprachwelten auf, eine Polyphonie des Verlorenen. Die klanglichen Qualitäten der Sprache sind mindestens so wichtig wie ihre Wortbedeutungen, sie bilden eine ganz eigene Ebene der Vermittlung, die gleichberechtigt neben dem Visuellen und dem Gesagten stehen: Bauer und Höll erzählen drei Geschichten in drei Sprachen, die am Ende zusammenkommen in einer Erkenntnis, die sich nicht auf einer der drei allein spiegeln lässt. Vielleicht sind diese Ebenen auch die „Verlierlinge“ und das Verbindende der Gletscher, der vielleicht nie kommt, aber dessen Denkbarkeit ausreicht, um weiterzugehen, wenn das Licht erloschen ist.

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