Wir müssen reden

In Berlin fand zum zweiten Mal die Konferenz „Theater und Netz“ statt

Von Sascha Krieger

In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich viel verändert: Die digitale Revolution hat das tägliche Leben in so kurzer Zeit so stark verändert, wie kaum eine Veränderung zuvor in der Menschheitsgeschichte. Für jeden von uns – ob Nutzer oder nicht – spielt „das Netz“ jeden Tag und jede Stunde eine Schlüsselrolle, es gibt keinen Bereich des Lebens, der vom Siegeszug des Internets unberührt geblieben wäre. Keinen? Als im vergangenen Jahr nachtkritik.de und die Heinrich-Böll-Stiftung zum ersten Mal die Konferenz „Theater und Netz“ durchführten, schien es, als sein das gallische Dorf des digitalen Zeitalters gefunden, so ahnungslos bis abwehrend zeigte sich das etablierte Theater selbst in den Vertretern, die den Weg nach Berlin gefunden hatten und denen man daher eine gewisse Affinität zum Thema unterstellen konnte. Es war wie ein Blind Date, bei dem man Zweifel haben musste, ob es zu einem Folgetreffen kommen würde. Und vielleicht war auch die zweite Ausgabe ein solches Blind Date, das dem eigentlichen Kennenlernen zuvorkommen müsse: Da gab es am ausschließlich Praxisworkshop gewidmeten ersten Tag, Einführungen in Social Media, dürfte am Hauptkonferenztag die Freiburger Intendantin Barbara Mundel ihre tiefe Skepsis gegenüber der neuen Welt äußern, fielen Sätze wie „Das Internet ist, was man daraus macht.“

Foto: Sascha Krieger
Foto: Sascha Krieger

Und doch gab es auch die andere Seite: Viel war vom Einfluss der Computerspiele auf das Theater – und umgekehrt – die Rede, etwa in der Auftaktveranstaltung mit Regisseur Robert Borgmann und den Spielemachern von Crytek oder bei der Vorstellung des theatralen Großprojekts Regiodrom – übrigens ausgerechnet in Freiburg durchgeführt – einem 24-Stunden „Open World Game“. Dazu veranstaltete die Gesellschaft für Kulturoptimismus im Rahmen der Konferenz ein echtes Spiel, das soziale Interaktion, Erfindungsreichtum und Internetkommunikation auf durchaus theatrale Weise verknüpfte. In einer weiteren Podiums Diskussion ging es um die Rolle, die theatrale Ausdrucksformen und die öffentlichkeitsschaffende Macht des Internets im politischen Aktivismus zu spielen vermögen, etwa am Beispiel der mit dem Slogan „Yes We Scan“ bekannt gewordenen NSA-Proteste samt Bühne, Kostümierung und Bildmächtigkeit, oder im Falle des gegen existenzbedrohende Sparmaßnahmen aufbegehrenden Anhaltischen Theaters Dessau, das den Protest sowohl auf die Bühne wie ins Netz brachte. Auch von Crowdfunding und –sourcing im Theaterbetrieb war die Rede in einer zuweilen sehr ins Konkrete gehenden Runde.

Diese Scherenbewegung war wohl das Spannendste am offiziellen Teil (Videos aller Panels gibt es hier) der Konferenz: auf der einen Seite das Netz als Neuland und im besten Falle Marketinginstrument bin weiten Teilen der Theaterszene, auf der anderen die schon tief in beide Bereiche eindringende Verzahnung und gegenseitige Befruchtung in konkreten Projekten. Es ist dieser Grabe, der den Blick auf den trotz des umfangreichen Programms vielleicht wichtigsten Teil der Konferenz legt: die Gespräche in den Pausen und außerhalb des Plenums, das wirkliche Kennenlernen von Theatermachern und Netzaktivisten, Journalisten und Marketingleuten, Politikaktivisten und Spielemachern und all denen, die ihren Platz irgendwo in diesem Spektrum – oder eben auch nicht – finden, allen, die, diese schwierige Beziehung mit Leben erfüllen sollen und dies auch wollen. Hier können die Kontakte und Ideen und Einsichten in das vermeintlich Fremde entstehen oder dieser Prozess zumindest angeschoben werden, die irgendwann das Eis zu brechen, die Angst zu nehmen, die Überheblichkeit aufzuheben in der Lage sein werden.

Dass das in Einzelbereichen durchaus schon längst und selbstverständlich zusammenpasst, zeigte eine Nische, der die Konferenz erstmals eigenen Raum – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn – widmete: den Theaterbloggern. Im so genannten „Bloggers‘ Space“ waren acht sehr unterschiedliche Blogs vertreten, die das mittlerweile äußerst breite Spektrum dieses Sektors bestenfalls andeuteten: Da gab es mit dem Blog des Theaters Heilbronn ein permanentes institutionelles Blog und mit dem des Theatertreffens ein temporäres, es gab individuelle (etwa das von Eva Biringer) und kollektive, klassische Rezensionsblogs (wie dieses oder blog.theater-nachtgedanken.de) und gar eines, das sich allein dem Thema Bühnenbild widmete (ueberbühne), ein Blog, mit Ausrichtung speziell auf die Freie Szene (Unruhe im Oberrang), mit Anne Aschenbrenner war selbst eine Bloggerin aus Wien vertreten. Heute bloggen JournalistInnen, Theaterprofis, Studenten, theaterbegeisterte Laien und demokratisieren mal ganz nebenbei den Diskurs über Theater, öffnen ihn weit jenseits der klassischen Theaterkritik und des traditionellen Kulturjournalismus, machen Formen wie Bereiche von Theater sichtbar, die sich bislang in der öffentlichen Wahrnehmung kaum wiederfanden. Hier sind sie bereits zusammen, diese seltsam verschiedenen Welten von Netz und Theater, hier tun sie das, was sie auch auf dieser Konferenz und darüber hinaus in erster Linie tun sollten: in Kontakt kommen, sich austauschen, einfach mal miteinander reden.

Hinweis: Der Autor war Kurator des Bloggers‘ Space im Rahmen der Konferenz „Theater und Netz“ 2014.

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