Schäfchenzählen mit Panzer

René Pollesch: Der General, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: René Pollesch)

Von Sascha Krieger

Eigentlich ist ja alles wie immer, all die üblichen Zutaten des Pollesch-Theaters sind da: Es wird viel geredet, oder sollte man besser sagen, disputiert? Theorien und Theoreme werden gewälzt, prallen auf einander, werden genüsslich und langwierig variiert und wiedergekäut und, die Texte laufen im Kreis, brechen mal kurzzeitig aus, um bald wieder eingefangen zu werden. Fremdmaterial wird eingeworfen und durch den diskursiven Fleischwolf gedreht, Assoziationsketten aufgefädelt und wieder zerhackt. Es geht immer um die großen Themen, um Leben und Tod, um Liebe und Gesellschaft, Utopie und Individualismus. Pollesch-Abende kreisen ums hier und jetzt und stehen doch immer ein paar Schritte daneben. So weit so gut, nur woran liegt es, dass die gleichen Zutaten mal zu einschneidenden Theatererlebnissen werden und mal in vollkommener Belanglosigkeit versinken? Um es vorwegzunehmen: René Polleschs neuer Volksbühnenabend Der General gehört zu letzterer Kategorie.

Foto: Lenore Blievernicht
Foto: Lenore Blievernicht

Dabei scheint er mit einem gerüttelt Maß jener ironischen Brechung und komischen Leichtigkeit zu beginnen, auf dem seinen Diskursmonstren so gut gedeihen (nicht selten mit dem fabelhaften Fabian Hinrichs als Protagonist und Zeremonienmeister): Da ist Lilith Stangenberg, stilecht gewandet im silberfarbenen Glitzeranzug samt Hut, wie in David Bowie in seinem berühmten Video „Ashes to Ashes“ trug, da wird ein Holzpanzer auf die Bühne geschoben, dreht ein paar Runden, verschwindet wieder, kehrt gleich darauf unvermittelt zurück. Das geht ein paarmal so, dann richtet Stangenberg eine Liebeserklärung an den Panzer, nennt ihn Baby und nutzt dabei Text aus Howard Hawks Film Bringing Up Baby, in dem Baby ein Leopard ist. So auch hier, nur ist es eben die martialischere Version eines Leopard-Panzers. Welch ein Potenzial für Pollesch, in lichte Diskurshöhen abzuheben und in alles verschlingende Untiefen abzutauchen! Und wie wenig macht er daraus!

Pollesch-Abende leben von dieser zweiten und dritten Ebene, diesem Gewusel, das Hinrichs so beherrscht, dem Physischen, das sich vom Dauergerede abhebt, es auf seine Schultern nimmt und herumwirbelt, auch diesen albernen, slapstickhaften Elemente, die Distanz schaffen und dem Gesagten erst ermöglichen, sich aufs Publikum zu stürzen. Nichts davon hier. Stattdessen stehen Silvia Rieger und Lilith Stangenberg herum und hangeln sich von einem Thema zum nächsten, mit der Kreativität und dem Enthusiasmus eines Beamten, der eine Checkliste durchgeht. Dabei wirkt vor allem Rieger völlig fehl am Platze: Reichlich hilflos schlenkert sie mit den Armen, stößt ihre Texte hölzern hervor, ein bisschen rotzige Trotzigkeit ist alle Variation, die sie sich erlaubt. Nicht viel besser ergeht es Stangenberg: Sie wählt einen staunend-kindlichen Ton, der noch durch die anfängliche Ode an „Baby“ trägt, aber nicht viel weiter.

Stattdessen stellt sich bald ein akustisches Plätschern ein, das durch keinerlei nennenswerte Bühnenaktivität unterbrochen oder relativiert wird und das auf große Teile des Publikums einschläfernde Wirkung zu haben scheint. Einziges Bühnenbildelement neben dem schön glänzenden roten Boden sind alte Volksbühnen-Stückebanner, die mal auf-, dann wieder herabgezogen werden, ein Spiel, das ein bisschen Zeit totschlägt, sonst aber keine weitere Funktion zu haben scheint.

Es geht, soweit lässt sich erahnen, um Liebe und ihre Unmöglichkeit im Angesicht des Todes, die unmögliche Notwendigkeit, sich eine Leben ohne den Tod vorstellen zu müssen, um leben und lieben zu können, die moderne Selbstverwirklichungsideologie als Feind der Liebe, den „leeren Raum“ als vermeintlicher Möglichkeitsraum, der tatsächlich eher für die Beschränktheit menschlichen Denkens steht. Das dreht sich im Kreise, doch die diskursive Spiralbildung, die sich bei Pollesch so oft einstellt, fehlt hier gänzlich. Da hilft das statisch Dialogische genauso wenig wie die dann doch ein wenig platte und sehr repetitive inhaltliche Auseinandersetzung. Am wirksamten gerät da noch der Auftritt von drei Talenten des Volksbühneneigenen Jugendclubs P14, die auf dem Panzer sitzend ganz ernsthaft das Problem der Liebe erörtern. Funken schlägt auch dies nicht, aber zumindest ist der Zuschauer kurzzeitig wach. Was viel über den Rest des Abends sagt.

Unter dem Strich bleibt ein Abend, der zu den schwächsten Polleschs zählt, weil er zum einen diskursiv  zu sehr in einem einengenden Korsett steckt und zum anderen keinerlei theatrale Mittel sucht oder findet, in denen sich die Diskursebene austoben und an denen sie sich reiben könnte. So klingen die Gemeinplätzte wie solche, werden die Dialoge zur Nummernrevue der „großen Themen“ und entwickelt das ganze einen Sog, der sich am besten mit nächtlichem Schäfchenzählen vergleichen ließe. „Jetzt stehen wir blöde rum“, sagt Silvia Rieger einmal. Es klingt wie ein Fazit.

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