Maulwurf mit W-LAN

Foreign Affairs 2013 – Philippe Quesne / Vivarium Studio: Swamp Club (Regie: Philippe Quesne)

Von Sascha Krieger

Zunächst ist alles dunkel. Nebel wabert über eine Sumpflandschaft, darin ein Glaskasten, rechts eine Art Höhleneingang, dazu erklingt Schostakowitschs achtes Streichquartett. Sonst passiert nichts, minutenlang. Irgendwann kommt eine Person mit einer seltsamen Kopfbedeckung, die an Grimms Zwerge erinnert, in den Glaskasten, dann eine zweite, eine dritte, eine vierte. Eine Leinwand wird aufgezogen, darauf ein Computerbild, eine 3D-Animation des Gebäudes. Bedächtig murmelnd bewegt man sich durch die virtuellen Räume, setzt Musikerfiguren ein verschiebt sie, bis irgendwann ein echtes Streichquartett dazukommt und beginnt zu spielen. Schubert diesmal, Der Tod und das Mädchen. Langsam wird es heller, als begänne sacht der Tag in dieser verwunschenen, entrückten, entschleunigten Welt, in diesem verschrobenen Kulturzentrum namens Swamp Club, weit entfernt von Trubel unserer Zeit, entrückt in Raum und Zeit. Und doch ist da ein Fenster, durch das Hochhäuser sichtbar werden, zeigt eine Leuchttafel das Tagesprogramm an, verfügt das Zentrum über W-LAN und Sauna.

Foto: Martin Argyroglo
Foto: Martin Argyroglo

Es ist eine seltsame Welt, in die uns Philippe Quesne,  gelernter Bühnenbildner und seit einigen Jahren mit seinem Vivarium Studio auch selbst Theatermacher, geschaffen hat. Der Begriff Vivarium ist dabei Konzept: Wie hinter Glas beobachten wir diese Menschen, die vier Zentrumsbetreiber und später ihre drei neu eingetroffenen Gäste, wie sie banalen Tätigkeiten nachgehen: wie sie sich begrüßen, das Gelände erkunden, saunieren und später ein Sonnenbad nehmen. Was gesprochen wird, ist kaum zu verstehen, wie selbstverständlich mischen sich die Sprachen, kurze Sätze sind es zumeist, knappe Erklärungen, ein wenig schnell ersterbender Small Talk. Die vierte Wand ist undurchdringlich, kein Blick verirrt sich ins Publikum, das auf das Geschehen starrt, als beobachte man ein Terrarium oder Aquarium mit ganz besonders seltsamen Tieren.

Eine Traumwelt ist dieser Swamp Club, eine Utopie, eine Symbiose von Mensch und Natur, die natürlich auf beider Trennung beruht. Denn auch in dieser Sumpflandschaft ist der Rückzug ins Urbane stets möglich, bricht die Natur erst ein, wenn gegen Ende die Pflanzen und (ausgestopften) Tiere ins Innere in Sicherheit gebracht werden, das Außen kahl und leer wird und die Natur nur im geschützten Inneren, in einer Kunstwelt überleben kann. Starke Bilder sind das, deren Interpretation Quesne offenlässt. Da deutet er naive Zurück-zur-Natur-Ideologie an, nur um sie im nächsten Moment zu ironisieren, durch den trockenen Tonfall der Figuren, das großäugige Staunen der Gäste oder die vielen Annehmlichkeiten, die man auch hier nicht missen möchte. Und doch kommt auch die Natur zu ihrem Recht, vermittelt sie doch gerade in ihrer Künstlichkeit, in ihrer rein dekorativen Funktion eine Idee von dem, was fehlt.

Philippe Quesnes Theater ist eines der Entschleunigung, eines, das seine eigene Zeit schafft, die hier nie linear ist, zuweilen still steht und immer ein wenig langsamer voranschreitet, als wir das erwarten. Eine Traumzeit, die vielleicht auch eine Märchenzeit ist, denn dieser Swamp Club ist auch ein Ort, an dem das Fantastische zu Hause ist. Da erstaunt es nicht, wenn aus der Grotte riesige Goldklumpen herausgeschleppt werden oder wenn irgendwann ein erschöpfter Riesenmaulwurf auftaucht und vom Herannahen der Abrissbagger berichtet. Eine Nachricht, die keineswegs zu Angst und Panik führt, sondern zu einer vollkommen rationalen Auf- und Umräumaktion, an deren Ende man gemeinsam und buchstäblich in den Untergrund geht. Ein weiteres Abenteuer vielleicht, nur ein zusätzlicher Programmpunkt, eine neue Ebene, auf der die Utopie weiterlebt – stets im Einvernehmen mit der eigenen Unmöglichkeit.

Swamp Club ist kein plumper Gegenentwurf zum atemberaubenden und alles verschlingenden Tempo unserer Zeit und er ist doch auch dies. Er verhandelt das Aussteigen als Option, welche die Unmöglichkeit ihrer Ausführung bedingt. Es ist ein Theater der Bilder, das vor allem über die akustische Ebene kommuniziert: die entrückte Zeitlosigkeit des Streichquartetts, das unausweichliche Grummeln der heranziehenden Bagger. Es ist ein Theater der Ernsthaftigkeit, das sich ständig selbst ironisieren muss, um am Leben zu bleiben, eines, das den Zuschauer hypnotisch hereinzieht, weil es ihn vollkommen außen vorlässt. Wir beobachten aus der Distanz und tauchen gerade dadurch tief in diese seltsame Parallelwelt ein. Swamp Club  ist eigentlich wenig mehr als ein langes Standbild und es ist großes Theater, gerade weil es eigentlich keines ist. Folgen wir dem Maulwurf. Es lohnt sich.

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