Hochglanz-Monopoly

Lillian Hellman: Die kleinen Füchse – The Little Foxes, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier

Von Sascha Krieger

Fast scheint es für Thomas Ostermeier wie eine Rückkehr: Nachdem er Ende der 1990er Jahre an der Baracke des deutschen Theaters mit direktem, kompromisslosen und ungeschönt rauem Gegenwartstheater für Furore gesorgt hatte, überzeugte er in seiner Anfangszeit als Schaubühnen-Intendant mit detailscharfen, atmosphärisch dichten und kühlen Gesellschaftsportraits, in denen zumeist Frauenfiguren im Mittelpunkt standen, die sich aus beengt empfundenen Strukturen zu befreien versuchten. Vor allem Ostermeiers Ibsen-Abende – etwa die Nora mit Anne Tismer oder die Hedda Gabler mit Katharina Schüttler – sind ebenso in Erinnerung geblieben wie die modernistischen, elegant-eisigen Bühnenräume von Jan Pappelbaum. Da wirkt Die kleinen Füchse fast wie ein Déja Vu. Übersichtlich modern und von frösteln machender Kälte der Bühnenraum, dominiert von einer offenen Treppe mit Chromgeländer und einer edlen Ledergarnitur. Im Hintergrund, hinter einer Schiebetür, ein Esszimmer.

Wie in Hollywood (Foto: Arno Declair)
Wie in Hollywood (Foto: Arno Declair)

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Ein Leben

F.I.N.D. 2013: Herbert Achternbusch: Susn, Münchner Kammerspiele (Regie: Thomas Ostermeier)

Von Sascha Krieger

Susn, Thomas Ostermeiers hochkonzentrierte Neuinszenierung von Herbert Achternbuschs Verfallsdrama aus dem Jahr 1980, ist vor allem der Abend einer Frau: Brigitte Hobmeier, diese Ausnahmedarstellerin, die Achternbuschs Titelfigur durch all ihre Lebensalter hinweg spielt. Wie sie da steht, am Bühnenrand, spärlich bekleidet, die Hände ums Mikrofon gepresst, als wolle sie es erwürgen, jede Faser ihres Körpers in höchster Anspannung, die rebellische Studentin, die ihre fordernden, aggressiven Fragen an die Welt in dieselbe hinausschleudert, das ist ein Ereignis. Das Stück ist eine Abfolge von vier Monologen, die zum Teil Dialoge mit weitgehend stummem Gegenüber sind, und zwischen denen jeweils zehn Jahre liegen. Zu Beginn ist Susn 17, am Ende 47. Dazwischen liegen Jahre, Jahrzehnte des Aufbegehrens, des Lebenwollens, des Nicht-Akzeptierens überkommener Rollen, vorgeschriebener Verhaltensweisen. Es ist die Geschichte einer Frau, die leben will, die Grenzen hinterfragt und an dieser Unerbittlichkeit letztlich scheitert. Oder ist es nicht eher die stumme, erstarrte, leblose Gesellschaft um die herum, die scheitert? Jeder Blick Hobmeiers, jede Geste, jedes Wort stellt solche Fragen und zwingt den Zuschauer, eine Antwort zu suchen.

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Die reine Leere

Der Tod in Venedig/Kindertotenlieder nach Thomas Mann/Gustav Mahler, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier)

Von Sascha Krieger

Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig und Gustav Mahler – nun ja, besonders originell ist der Gedanke, beide miteinander zu verschränken, erst einmal nicht. Mahler war sicherlich eines der Vorbilder oder zumindest eine Inspirationsquelle für Manns Hauptfigur Gustav Aschenbach, eine Tatsache, aus der Lucchino Visconti für seine grandiose Verfilmung einiges Kapital schlug. So machte er aus dem Schriftsteller Aschenbach einen Komponisten und bediente sich für seinen Soundtrack ausgiebig bei Mahler. Das Adagietto aus Mahlers 5.Symphonie verdankt dem Film nicht nur ein gutes Stück seiner Bekannt- und Beliebtheit sondern auch die gängige Fehlinterpretation als trauervolle Todesmusik, wo Mahler tatsächlich eine zarte Liebeserklärung geschrieben hat. Nun gut, mag sich Thomas Ostermeier gedacht haben, was Visconti kann, kann ich schon lange. Den Abend nennt er dann Der Tod in Venedig/Kindertotenlieder, damit sind Mann und Mahler genannt, der Rahmen abgesteckt, kann das Spiel beginnen.

Foto: Arno Declair
Schöner sterben (Foto: Arno Declair)

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Der ausbleibende Aufstand

Henrik Ibsen: Ein Volksfeind, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier)

Von Sascha Krieger

Es ist so etwas wie das Stück der Stunde: Erst im Mai war Ibsens Ein Volksfeind in Lukas Langhoffs Bonner Inszenierung beim Theatertreffen zu sehen und jetzt, zu Beginn der neuen Spielzeit, haben gleich zwei Berliner Theater das Spiel um Macht und Ideale, um Wahrheit und Lüge, um Politik und  Populismus auf dem Premierenplan. Den Anfang macht Thomas Ostermeier an der Schaubühne, ein ausgewiesener Ibsen-Spezialist, einer, der die Mechanismen menschlicher Beziehungsgefläche offenlegen kann wie kaum ein anderer, der durch Oberflächen schaut, indem er gerade diese fein säuberlich vor uns ausbreitet. Das Mit-, Neben- und Durcheinander von Gewissen und Macht,von Privatem und Politischem, das Gegeneinander des Individuellen und des Gesellschaftlichen in Ein Volksfeind, es scheint wie geschaffen für Ostermeiers Ansatz. Und doch scheitert er letztlich genauso an dem Stoff wie Langhoff mit seiner plumpen Vergegenwärtigung, seinen grellen Karikaturen und der holzschnittartigen Typisierung. Vielleicht ist dieser Stoff in einer Zeit gesellschaftlicher wie politischer Krisen, einer Zeit allgemeinen Misstrauens gegen Politik und die demokratischen Prozesse einfach zu nah an der Gegenwart, um sich von dieser Nähe nicht vereinnahmen zu lassen. Es wird spannend sein zu sehen, ob Jorinde Dröse am Gorki in der Lage sein wird, die notwendige Distanz zu finden.

Ein Volksfeind Schaubuehne
Foto: Arno Declair

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Kochen am Abgrund

F.I.N.D. 2012 – August Strindberg (Fassung von Michail Durnenkow): Фрекен Жюли – Fräulein Julie, Theater der Nationen, Moskau (Regie: Thomas Ostermeier)

Von Sascha Krieger

Eine Frau kocht. Stumm und konzentriert steht sie über die Edelstahlküche gebeugt. Sie nimmt ein Hühnchen aus, schneidet Kopf und Füße ab, kocht es ganz in einem Topf. Das Geschehen auf dem Herd wird dokumentiert über eine Videowand. Von oben sehen wir, wie im Fernsehen – oder ist es eine Überwachungskamera? – die einzelnen Schritte. Methodisch, routiniert, zielstrebig geht sie vor. Minutenlang geht das so. Um sie herum fällt Schnee, von fern wummert Partymusik. Es ist Silvester, werden wir erfahren, und der, für den sie da kocht, ist ein Hund. Der russische Autor Michail Durnenkow hat Strindbergs Fräulein Julie ins heutige Russland übertragen und Thomas Ostermeier hat seiner Fassung eine Eingangsszene verpasst, die es in sie hat. Die Servilität der durchaus selbstbewussten, aber die Realität der bestehenden Verhältnisse akzeptierenden Kristina, das elegante, chromglänzende, kalte Ambiente, die Diskrepanz zwischen Datum (Silvesterabend), Aufwand (ein Huhn kochen) und Nutzen (Hund): Darin liegt schon das ganze Stück verborgen. Die Geschichte von der Tochter aus reichem Hause, die mit dem Chauffeur flirtet, die anschließende Eskalation, die eine Reihe ernsthafter Konflikte sichtbar macht und zur Explosion bringt, die weit über diese Beziehung hinausreichen, die beiden Protagonisten, die beiden von Fluchten träumen, dazwischen die den Chauffeur liebenden, ihre Ambitionen auf das Machbare reduzierende Kristina: Das passt auf die moderne russische Gesellschaft so sehr wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge, dass es weh tut. Es ist eine Gesellschaft, in der sich reiche Töchter nehmen, was sie wollen, und in der Bedienstete in der Silvesternacht für Hunde kochen.

Fraeulein Julie
Foto: Sergey Petrov

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Aufräumen mit dem Gartenschlauch

William Shakespeare: Maß für Maß, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier)

Maß für Maß gehört nicht gerade zu Shakespeares meistgespielten Stücken, insbesondere auf den Spielplänen deutschsprachiger Theater findet es sich nur selten wieder. Das hat eine Reihe von Gründen: Der wichtigste ist sicher, die Unmöglichkeit, das Stück richtig einzuordnen. Auf Basis des antiken Gattungsbegriffs ist es eine Komödie, da es ein Happy End hat. Mit dem, was wir uns heute unter einer Komödie vorstellen, hat es jedoch über weite Strecken nichts zu tun, zu selten sind die komischen Momente, zu ernst das Geschehen, zu groß die behandelten Themen. Es geht um Macht und Moral, eigentlich ein sehr aktuelles Thema. Doch die zunehmende Auflösung der Gegensätze und behandelten Werte, die am Ende Nahe an der Beliebigkeit sind, gekoppelt mit einer uns heute suspekten Unbedingtheit moralischer Grundsätze, die scheinbar mühelos über das Leben einzelner gestellt werden, machen es Regisseuren nicht leichter. Drittes Problem: In wohl keinem anderen Stück Shakespeares sind die Handlungsumschwünge so unvorhersehbar und vor allem so unerklärlich. Thomas Ostermeier hat es jetzt trotzdem versucht. Herausgekommen ist ein Theaterabend, der sich mit zwei Worten zusammenfassen lässt: Wasser und Schweinehälften. Für knapp zweieinhalb Stunden eindeutig zu wenig.

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William Shakespeare: Othello, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin (Regie: Thomas Ostermeier)

Am Anfang ist hier nicht das Wort, sondern die Musik. Thomas Ostermeier stellt, oder genauer setzt, vier Musiker um seinen musikalischen Leiter Nils Ostendorf auf die Bühne und überlässt der Musik die Einstimmung. Dazu wird ein nackter Othello zunächst von Desdemona mit schwarzer Farbe bemalt, anschließend wird er per Videprojektion mit verrauschten Bildern angestrahlt. Anschließend landet er mit Desdemona auf dem Bett und unter der Decke, die dabei ebenfalls als Leinwand dient. Bett und Paar werden herausgeschoben und damit gleichsam entsorgt. Die Show gehört anderen.

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