Alexander Eisenach nach Sophokles: Anthropos, Tyrann (Ödipus), Volksbühne Berlin – Livestream-Premiere (Regie: Alexander Eisenach)
Von Sascha Krieger
„Mittendrin statt nur dabei“: Mit diesem Werbeslogan eines ehemaligen deutschen Sportsenders ließe sich auch die Grundidee dieses Abends beschreiben: Weil das Publikum ja derzeit nicht persönlich im Theater sein kann, stellt Alexander Eisenach es kurzerhand in den Mittelpunkt. Zentriert auf der Bühne befindet sich eine 360-Grad-Kamera, die Augen und Ohren des Zuschauers darstellt, durch die er mittendrin ist im Bühnengeschehen, sich seine Perspektive durch Tastenbetätigung an Keyboard oder Fernbedienung frei wählen kann. Soo ist man mehr „mittendrin“ als säße man im Zuschauerraum, auch wenn man physisch abwesend bleibt. Doch dieser Blickwinkel ist mehr als nur ein Versuch, die Zusehenden zu involvieren oder ihnen gar ihre zentrale Rolle zuzuerkennen. Er ist auch Kern der narrativen Intention Eisenachs, der sich längst einen Namen als recht aufgeregter Verhandler zeitgenössischer Brennpunktthemen und Krisen gemacht hat. Das Kameraauge ist Ödipus, der sich schuldlos unwissen – oder auch nicht – schuldig gemacht hat. Und er ist Anthropos, der Mensch, die Menschheit, also auch wir die Zusehenden, die Schuldigen am Zustand unserer Welt, an Klimakrise, Demokratiedämmerung, Pandemie.