Die Liebe erzählen

Theatertreffen 2022 – Frei nach Dante Alighieri, Meat Loaf und Britney Spears: Das neue Leben. where do we go from here, Schauspielhaus Bochum (Regie: Christopher Rüping)

Von Sascha Krieger

Eine gute Nachricht. So heißt das Lied von Danger Dan, mit de der Abend endet. Nach und nach bewegen sich die fünf Spielenden an die Rampe, stimmen ein oder lächelskeptisch hoffnungsvoll ins Publikum. Alles wir enden, erzählt das Lied, doch die gute Nachricht sei: „Heute nicht. Es bleibt noch Zeit für dich und mich.“ Für die Liebe. Oder ihren Versuch, Oder den Traum von ihr. „Ich will nicht, dass es echt wird“, sagt Damian Rebgetz einmal, „Ich will, dass es vollkommen bleibt.“ Man muss nicht, wie dieser Rezensent, eine längere Corona-bedingte Theaterpause eingelegt haben, um die Zeit, aus der wir vielleicht gerade herauszufinden versuchen, stets mitzudenken in diesen gut zwei Stunden. Theater als Neuanfang, als neues Leben, als Wiederfunden und doch nicht recht greifen Können der Liebe. Zu Menschen, zum Leben, zu Welt, zu sich selbst.

Das neue Leben. Where do we go from here
Bild: Joerg Brueggemann / Ostkreuz

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„Noch ein wenig braune Soße?“

Nach Henrik Ibsen: Volksverräter!!, Schauspielhaus Bochum / Volksbühne Berlin (Regie: Hermann Schmidt-Rahmer)

Von Sascha Krieger

Der Abend beginnt mit einer Entschuldigung: Eva Hüster, in züchtig uniformen Grautöne gekleidet, tritt vor den Vorhang und wendet sich an AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider. Der hatte unter anderem im Wahlprogramm der sachsen-anhaltinischen Landespartei gefordert, Theater müsse zur Identifikation mit dem Land beitragen und solle nur Stücke spielen, die das auch täten. Hüster erklärt nun mit zerknirschter Miene, man habe lange ein solches Stück gesucht, aber nicht finden können. Also gibt man Ibsen, den Volksfeind natürlich, der in den letzten Jahren ohnehin landauf landab gespielt wird, weil er ganz gut in eine Zeit passt, in der „denen da oben“ immer unverhohlenere Verachtung entgegenschlägt und der Volkszorn sich in ganz unterschiedliche Richtungen zu bewegen vermag. Die Ambivalenz massenhafter Empörung ist ja im Stück angelegt, wo Badearzt Thomas Stockmanns Versuch, das Vertuschen einer unangenehmen Wahrheit zu verhindern, in totalitäre Demokratiefeindlichkeit umschlägt. Für Regisseur Hermann Schmidt-Rahmer der ideale Ausgangspunkt, um sich dem schwierigen Verhältnis von Politik und Bevölkerung, Wahrheit und Demagogie, Demokratie und Populismus zu widmen. Bei dem Ibsen – der Titel deutet es schon an – bestenfalls Startpunkt, Folie und Steinbruch ist.

Bild: Karl-Bernd Karwasz

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Auf dem Weg zur Selbstabschaffung

Einar Schleef: Gertrud, Deutsches Theater (Kammerspiele), Berlin / Schauspielhaus Bochum (Regie: Jakob Fedler)

Von Sascha Krieger

Gertrud(e). Mutter. Was ist es an diesem Namen, das diese Verbindung sofort aufkommen lässt? Hamlet. Einar Schleef. John Updike. Frauen mit diesem streng, irgendwie freundlich klingenden Namen sind in der Literatur Mutterfiguren und nie besonders einfache. Nun ist daran eher Shakespeare schuld als Einar Schleef. Dessen Mutter, dem er sein 1000-seitiges Opus magnum gewidmet hat, hieß nun einmal so. Da lässt sich nichts machen. Und doch schwingt jene andere irgendwie auch mit, wenn sich diese durch ihr Leben mäandert und durch die Zeiten springt, in einem einzigartigen Gedankenstrom, der ein Leben in fünf Welten als Erinnerung greifbar, verstehbar, (be)deutbar zu machen versucht. Die Frau, die im Kaiserreich geboren wurde und in der wiedervereinigten Bundesrepublik starb, doppelte Mutter oder eher eine fünffache? Denn mit den Zeiten, den Regimes, den Welten, ändern sich auch die Rollen, ihre Rolle als Frau, als Mutter, als Mensch. Und da ist denn auch die andere Gertrud, die ihre Rolle auch mit jedem Machtwechsel neu zu definieren hat. Agierende oder Spielball, Täterin oder Opfer, Mutter, Königin oder was auch immer. Eine Abschweifung natürlich, aber eben eine von unzähligen Ebenen, die Schleefs Roman andeutet, eröffnet, zum Andocken anbietet. Um so riesiger der Kontrast zu diesem verlorensten aller DT-Abende in dieser bislang erschreckend schwachen und unambitionierten Spielzeit. Denn er nimmt weder diesen Faden auf noch sonst einen anderen. Er wankt und schwankt und taumelt durch die herausgerissenen Textfetzen dieses Riesensprachwerks. Ratlos, verständnislos, blind.

Bild: Arno Declair

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Einfach mal die Klappe halten

Lutz Hübner und Sarah Nemitz: Wunschkinder, Schauspielhaus Bochum (Kammerspiele) (Regie: Anselm Weber)

Von Sascha Krieger

Eine deutsche Familie anno 2016: Papa ist beruflich erfolgreich, pragmatisch, zielorientiert, ein Meister ironischer Distanz. Mama hat ihre Karriere auf Eis gelegt, um sich in übergriffiger Konsequenz um den Sohn zu kümmern. Die ist 19, hat sein (schlechtes) Abi in der Tasche und die neue Freundin geschwängert. Hinzu kommt eine verständnisvolle Tante als Vertrauensperson und Mittlerin sowie Familie zwei: depressive Mutter mit taffer, zielstrebiger Tochter, die denn auch das Paar männlicher Schhlaffi – selbstbewusste Frau komplettiert. Das Figurentableau und die Grundkonstellation von Wunschkinder, das Starautor Lutz Hübner gemeinsam mit seiner Frau Sarah Nemitz verfasst hat, die mittlerweile auch gleichberechtigte Co-Autorin sein darf – auch wenn das im  Programmheft der Bochumer Uraufführung noch nicht angekommen zu sein scheint – ist von Subtilität weit entfernt. Stattdessen haben wir die übliche gehobene Mittelstandsfamilie samt Riesenegos, verwöhntem Kind und knallharter Erwartungshaltung an den – je nach Perspektive – Nachfolger, Stolzmacher und Sinngeber. Daneben dann das Prekariat mit gebrochener Elterngeneration (allein erziehend!) und erzwungener Stärke des – ihrem Mittelschicht-Pendant gegenüber natürlich viel lebenstüchtigeren – Nachwuchses.

Die Kammerspiele des Schauspielhauses Bochum (Bild: Jürgen Landes)
Die Kammerspiele des Schauspielhauses Bochum (Bild: Jürgen Landes)

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Wenn Theater twittert

Eine Nachlese zur ersten Twitter-Theater-Woche

Von Sascha Krieger

Das deutsche Stadttheater  gilt ja nicht gerade als Keimzelle oder zentrale Stütze der digitalen Revolution. Jenseits von Spielplanveröffentlichungen und Ensembleportraits tut sich da wenig, vor allem die Social-Media-Nutzung ist zumeist, sagen wir: ausbaufähig. Das ist nicht allein die Schuld der Theatermacher: Wenn sie sich mal aus dem digitalen Fenster lehnen, wie etwa das Hamburger Thalia-Theater mit der Spielplanwahl 2011 oder das Berliner Maxim Gorki Theater mit einer Facebook-Fassung von Effi Briest, gibt es regelmäßig von der berühmt-berüchtigten Internetgemeinde wie von den sich klassisch nennenden Medien auf die Mütze. Hinzu kommt, dass bei der Frage, wie Theater und Internet zusammenkommen können, immer noch vor allem Fragezeichen in den Gesichtern der Theaterschaffenden stehen, wie beispielsweise die erste Ausgabe der Konferenz „Theater und Netz“ im Mai dieses Jahres zeigte.

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Eugene O’Neill: Ein Mond für die Beladenen, Maxim-Gorki-Theater (Gorki Studio), Berlin / Schauspielhaus Bochum (Regie: Armin Petras)

Irgendwann während dieser gut 90 Minuten stehen Anja Schneider und Christian Kuchenbuch auf Stapeln von Sperrhulz-Quadraten, die zuvor die Bühne bedeckt hatten, und tasten sich unsicher an eine Liebeserklärung heran. Halb gelingt sie, halb bleibt sie im Versuch stecken, endet sie im Frage-, nicht im Ausrufezeichen. Es ist der vielleicht einzige Moment wirklicher Nähe, den O’Neill seinem düsteren Stück über Armut und Alkoholismus, vor allem aber über verletzte, seelisch versehrte und verkrüppelte Charaktere erlaubt. In Armin Petras Inszenierung ist dies die einzige Szene, die keine physische Nähe zulässt, ein Zusammensein unmöglich macht. Bei O’Neill wie bei Petras ist den Lebens- und Liebessuchenden von Beginn an der Misserfolg gewiss – es gibt nur, so heißt es schon zu Beginn, diese einzige mondklare Nacht, mehr ist es nicht, das sie teilen können. In dieser kurzen Nähe ist ihre Unmöglichkeit bereits präsent. Ein einfaches Bild – und doch ein äußerst eindringliches.

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