„Everything I touch turns into shit“

Theatertreffen 2022 – Yael Ronen, Shlomi Shaban, Riah Knight und Itai Reicher: Slippery Slope. Almost a Musical, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Yael Ronen)

Von Sascha Krieger

Woher kommt es, dieses Unbehagen, das den Rezensenten während dieser 100 Minuten befällt und auch danach nur noch stärker zu werden scheint? Das ihn ungläubig auf die jubelnden Zuschauenden beim Schlussapplaus blicken lässt und mit wachsendem Erstaunen auf die fast durchgängig ebenso positiven Rezensionen? Hat die lange theaterfreie Coronazeit doch ihre Spuren hinterlassen oder ist da wirklich etwas faul an diesem Abend, der ja, so die Theatertreffen-Jury, zu den bemerkenswertesten der letzten zwölf Monate gehören soll? In der Nachtkritik.de-Rezension nannte Georg Kasch das Stück ein „Debatten-Musical“. Um Debatten, brisante gesellschaftliche, geht es in der Tat, aber auf eine Art, dass der Abend eher zum Debatten-Verhinderungs-Musical mutiert. Oder schlimmer noch: zum theatran Gegenstück des perfidesten aller Diskursblockierungsoutinen: der falschen Äquivalenz.

Gorki_SlipperySlope_Presse_©EsraRotthoff
Bild: Esra Rotthoff

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Vor der Stille

Sibylle Berg: Und sicher ist mit mir  die Welt verschwunden, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Sebastian Nübling)

Von Sascha Krieger

Da ist sie nun, ein letztes Mal, die vervierfachte postmoderne Jedefrau, die seit der ersten Spielzeit der aktuellen Gorki-Intendanz diese Bühne heimsucht und sich nun verabschiedet, pünktlich bevor die Theater wohl ein weiteres Mal geschlossen werden und hier die Grabesruhe der Abwesenheit von Kultur, Kunst, Leben herrscht. Auch im vieten Teil von Sibylle Bergs stets von Sebastian Nübling inszenierter Reihe über Frauen, die sich ins Hamsterrad kapitalistischen Funktionieren gedrängt sehen und am Ende ausgesiebt werden, ist das Ende klar: Auch hier geht es in die Stille, ins Verschwinden, ins Nichts. Aber vorher gibt es noch einen „Wumms“, wie die Politik sagen würde, wenn auch vielleicht, nein, ganz sicher nicht in ihrem Sinne. Denn die namenslose Protagonistin der Tetralogie (begonnen mit Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen, weitergeführt in Und dann kam Mirna und Nach uns das All – Das innere Team kennt keine Pause, die stehts vierfach universell auftrit und zugleich als Gruppe die namentlich genannten Freundinnen, Mitleidenden, Mitrepräsentatinnen umfasst, hat sich für keinen leisen Abgang entschieden. Aus der Ausgeschiedenen, unisichtbar Gemachten, Verdrängten, Aussortierten wird eine veritable Terroristin, die samt Sprengsatz eine „Jahresversammlung libertärer Vordenker“ heimsucht und nun, nicht mehr ganz vollständig in einem Krankenhauszimmer auf den Tod wartet.

Bild: Esra Rotthoff

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„Warum machen wir das hier?“

Yael Ronen & Ensemble: Death Positive – States of Emergency, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Yael Ronen)

Von Sascha Krieger

„Wir sind im Ausnahmezustand“, verkündet Niels Bormann immer und immer wieder in aufgesetzt selbstgerechter Panik. Deshalb läuft er im selbstgebastelten Schutzanzug mit Plastikflaschen-Maske umher, desinfiziert Bühne und Plüschkatzen, steckt sich seine exklusive Spielfläche ab (die natürlich kleinen Platz mehr lässt für die anderen Spieler*innen), liest die Corona-Regeln vor, die schnell ins Absurde und letztlich gar Kunst- und Freiheitsfeindliche kippen. Bloß keine Emotionen auf der Bühne – wenn das Publikum lacht, wird es gefährlich (späte zählt er aggressiv Orit Nahmias an, weil sie auf der Bühne geweint hat). Und keine Dialoge: „Jeder Dialog ist ein potenzieller Konflikt und Konflikte sind voller Aerosole.“ Death Positive – States of Emergency ist das Stück zur Stunde, zur Pandemie, zu unser aller Ratlosigkeit.

Bild: Esra Rotthoff

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„Antifa ist Angriff“

Kevin Rittberger: Schwarzer Block, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Sebastian Nübling)

Von Sascha Krieger

Die Bühne bleibt mehr. Nein, nicht ganz. Zwei-, vielleicht auch dreimal öffnen sich die Türen und drei, vier Darsteller*innen lassen kurze Abschnitte von Kevin Rittbergers Textgläche leibhaftig in den coronabedingt spärlich besetzten Zuschauerraum schwappen. Ansonsten bleibt den Zusehenden nur die kahle Wand, auf die das Gespielte und Gesprochene – so die Technik mitspielt, was sie in der besuchten Aufführung nicht durchgängig tut – projiziert wird. Und das passt auch, macht der Abend doch sichtbar, wovor wir, die wir uns für die aufgeklärte Mehrheitsgesellschaft halten, so gern die Augen verschließen, nämlich dass der Kampf gegen den Faschismus, gegen Hass, Ausgrenzung und Vernichtung nicht nur eine saubere, hehre, moralisch einwandfreie Angelegenheit ist, dass er dreckig sein kann, in den Augen von Autor Kevin Rittberger auch sein muss, dass Lichterketten und Schweigeminuten keine Machtergreifung verhindern werden. Um den „Schwarzen Block“ geht es, den Lieblingsfeind der Hufeisenwerfer, der Totalitaismusrelativierer, derer, die nicht müde werden darauf hinzuweisen, dass jeder Extremismus schlecht und gefährlich sei und die damit wissentlich den von Rechts, von dem wir gerade in Deutschland wissen sollte, wohin er führt, wenn man ihn lässt, verharmlosen.

Bild: Esra Rotthoff

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Der Klang der Hoffnung

Hakan Savaş Mican: Berlin Oranienplatz, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Hakan Savaş Mican)

Von Sascha Krieger

Die erste Premiere dieser Spielzeit am Gorki ist kein einfaches Unterfangen: Natürlich ist das Wichtigste an diesem Abend, dass er stattfinden. Dass diese Türen wieder offen sind, das Bühnenlicht wieder an ist, Menschen in diesem Saal sitzen. Darüber kann man als Kritiker*in hinweggehen, würde damit aber den sprichwörtlichen Elefanten totschweigen, der sich in Bühnen- und Zuschauerräumen breitgemacht hat. Denn nach einem halben Jahr Schließung ist die Tatsache, dass hier überhaupt gespielt wird, mindestens so wichtig wie, was auf der Bühne und vor dem lichten, zu vielleicht einem Viertel gefüllten und durch die Abwesenheit jeder zweiten Stuhlreihe geprägten, beim Schlussapplaus dann aber doch angenehm lauten Zuschauerraum zu sehen ist. Einen leisen, intime Abend präsentiert Hakan Savaş Mican zur Wiedereröffnung, einen, der sich um Abschied handelt und die Frage nach der Möglichkeit eines Wiederbeginns, der zurückblickt, Leerstellen zu füllen scheint und immer wieder zur Stille findet, gegen diese nicht anschreit, sondern sie wie einen Tanzpartner vorsichtig auf die Bühnenbretter bittet.

Bild: Esra Rotthoff

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An Schnüren in die Welt

William Shakespeare: Hamlet, Maxim Gorki Theater (Container), Berlin (Regie: Christian Weise)

Von Sascha Krieger

„Es ist etwas faul im Staate Germany.“ Moment, Germany? Ja, bei Christian Weise spielt sich das Drama um den Dänenprinzen in einem expressionistisch abstrahierten Deutschland statt, das durchgängig in der nicht gerade akzentfrei verzerrten englischen Variante benannt wird. Das ist „unser“ Land und ist es nicht, sind wir und sind es natürlich nicht. Ein lustvolles Spiel der Ebenen, das die drei Stunden recht kurzweilig erscheinen lässt – bei einem so bekannten und durchgenudelten Stoff an sich schon eine bemerkenswerte Leistung. Julia Oschatz hat eine mehrzimmrige Bühne geschaffen in blaugrau verzerrter Mischung aus Realismus und Expressionismus, ein Cartoon-Land moderner Einrichtungshölle, ein Spielplatz für Fantasien und theatrales Ausprobieren. Svenja Liesau, die einmal damit kokettiert, eigentlich die geborene Nebendarstellerin zu sein, ist Hamlet. Oder ist, die Hamlet spielt. Oder die spielt, dass sie Hamlet spielt. Oder so. Und sie tut es in jedem ihr zur Verfügung stehenden Modus. Immer wieder weist sie Musiker Jens Dohle an, jetzt doch bitte das Genre zu wechseln. Dann wird Horrorfilm gegeben oder hohe Tragödie oder Musical.

Bild: Esra Rotthoff

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Jenseits von John Wayne

Falk Richter & Ensemble: In my Room, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Falk Richter)

Von Sascha Krieger

„Mein Vater, dieses fremde Wesen“: Es sind einige der ersten Worte, die an Falk Richters neuestem Abend am Gorki fallen. Und sie beschreiben recht präzise, was in den folgenden fast zweieinhalb Stunden passiert: eine Annäherung an die Väter, die des Regisseurs, die des Ensembles und das Konzept des Vaters, Ernährers, Erziehers, Bestimmers allgemein. Jonas Dassler spricht sie, zu Beginn eines langen Monologs über einen Patriarchen, der nach der freiwilligen Frühverrentung nichts mehr mit sich anzufangen weiß, der sich als Familienoberhaupt inszeniert, keine Nähe zum Sohn aufbaut, auf dessen Homosexualität mit einer Gewalt antwortet, die spätere queerfeindliche Gewalterfahrungen vorwegnimmt. Und der Kriegstraumata mit sich führt, in einer sich steigernden Wutrrede vom „Sohn“ Besitz ergreift und die Wiederkehr derer anklagt, die im selbst die Jugend raubten. Die AfD und die Wiedererstarkung der Rechten sind bei Richter nie weit und das gilt auch an diesem Abend. Die Macht der Vergangenheit, sie findet sich im ewig währenden Kampf der Söhne mit den Vätern im Individuellen, aber eben auch im Gesamtgesellschaftlichen. Und so steigert sich der Vater hinein in seine Tirade wider die Wiederkehr des Bösen, wird ununterscheidbar vom sich von ihm emanzipierenden Sohn, ein Knäuel aus Freiheitskämpfen, die nie enden.

Bild: Esra Rotthoff

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Ungewürzter Eintopf

Sibylle Berg: Hass-Triptychon. Wege aus der Krise, Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Ersan Mondtag)

Von Sascha Krieger

Wenn sie doch auch im wahren Leben so einfach zu erkennen wären: die Trolle, die mit online vergossenem Hass seit geraumer Zeit das gesellschaftliche Klima vergiften und die fragile Balance der Demokratie kippen zu lassen drohen. In seiner Uraufführung von Sibylle Bergs Hass-Triptychon lässt Ersan Mondtag die „Mittelmäßigen“, die ihre Unsichtbarkeit in Wut und Hassrede umwandeln, als ihre märchenhaften Namensgeber auftreten, mit spitzen Ohren, wirren Frisuren und unförmigen Körpern. Dabei sind sie zunächst gar nicht so trollhaft: der todtraurige, resignierte schwule Ex-Kindergärtner, den Bruno Cathomas mit berührender Verlorenheit spielt, die in stiller Panik erstarrte „Teilzeit-Alkoholikerin“ der Çiğdem Teke, die von Johannes Meier und Jonas Grunder-Culeman gespielten orientierungslosen Aggro-Jugendlichen. Einzig Aram Tafreshian (Abak Safaei-Raeds Figur bleibt leider weitgehend abwesend) ist als Content-Mitarbeiter der Wasserwerke bereits von Beginn an mit der Mischung aus toxischer Männlichkeit und Minderwertigkeitskomplex ausgestattet, die man mit Wut- und Hut- und anderen Bürgern meist assoziiert.

Bild: Esra Rotthoff

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Die Sehnsucht, ein Tier zu sein

Sivan Ben Yishai: Oder: Du verdienst deinen Krieg (Eight Soldiers Moonsick), Maxim Gorki Theater (Studio Я), Berlin (Regie: Sasha Marianna Salzmann)

Von Sascha Krieger

Das Schlüsselwort in Sivan Ben Yishais neuem, von Autor*innen-Kollegin Sasha Marianna Salzmann, auf die Studio-Bühne des Maxim Gorki Theaters gebrachten Stück, zählt gerade vier Buchstaben und steht im Titel: Oder. An diesem Kürzel der Alternativen, der Widersprüche, der (Un)Möglichkeiten hangelt, streckt, tatstet sich die Geschichte empor, welche die in Berlin lebende israelische Autorin als Bewegung einer sprachlichen Selbstermächtigung, einer Suche nach Sprachlichkeit, nach Stimme und Ausdruck, sich in die (Theater-)Welt hineinkriecht, wie die Realität, die sie beschreibt, eine verdrängte, unmögliche, nicht sagbare. Um acht Soldatinnen geht es, acht namenlose 18-Jährige, sich zusammenkauernd in einem Tarnzelt, verschmelzend miteinander und den ihnen anvertrauten Waffen, ein ununterscheidbares Knäuel der verzweifelten Widerständigkeit gegen eine toxisch männliche Welt, die sie ausnutzt, negiert, missbraucht, wegwirft. In Träumen entladen sich die unaussprechlichen Erfahrungen von Ohnmacht und Auslöschung, Albträumen, die immer wieder mit Toden enden: der Hinrichtung einer Soldatin, die das Gewehr vergaß, die Ermordung einer anderen nach erfolgter Vergewaltigung durch einen Kameraden, die unbeabsichtigte (?) Selbsttötung beim Versuch, die Waffe zu reinigen. Die Frauen sind Opfer, das ist ihre Funktion im System menschlicher Macht.

Bild: Esra Rotthoff

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Puppen des Patriarchats

Euripides: Medea, Slowenisches Nationaltheater Maribor / Gastspiel im Maxim Gorki Theater, Berlin (Regie: Oliver Frljić)

Von Sascha Krieger

Gutbürgerlich ist dieser griechische Königshof, habe das Mobiliar ist in Folien verpackt, eine ebensolche Rückwand kann die Abgrenzung zur Außenwelt bestenfalls andeuten. Die Fassade trügt nicht nur, sie ist gar nicht wirklich vorhanden. Schmerzverzerrte Gesichter werden diabolisch von Scheinwerfern beleuchtet, die die Schauspieler*innen in den Händen halten, später gruppieren sie sich hasserfüllt um eine Frau, Medeas Dienerin, sie anzischend, ansabbernd in farcenhafter Verzerrung. Eine feministische Sicht versucht Regisseur Oliver Frljić auf die Geschichte von der verlassenen Ehefrau, die zur Mörderin ihrer Kinder wird. Seine Medea ist eine, die sich von den dämonischen Fratzen des Patriarchats umringt sieht, die sie angeifern, zu erdrücken suchen und auf die sie mit deren Waffen antwortet. Nataša Matjašec Rošker spielt sie als wandelbare Rollenspielerin, die stets die ist, die sie sein muss, soll, als die sie erwartet wird oder die ihren Interessen Vorschub leistet. Von der Seite tritt sie an die Hass-Gruppe heran, deutlich machend, dass sie nicht bereit ist, Opfer zu sein und bereit ist, Täterin zu werden.

Das Maxim Gorki Theater während des 4. Berliner Herbstsalons (Bild: Sascha Krieger)

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