René Pollesch/Fabian Hinrichs: Geht es dir gut?, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin (Regie: René Pollesch/Fabian Hinrichs)
Von Sascha Krieger
Die Antwort lautet „Nein“. Je öfter Fabian Hinrichs die titelgebende Frage stellt, je klarer wird die Unmöglichkeit ihrer Bejahung. Einskommafünf is die Schlüsselzahl dieses Abends. 1,5 Meter Abstand sollten wir in der Pandemie von einander haben, 1,5 Grad ist das ziel maximaler Erderwärmung, um den Planeten halbwegs bewohnbar zu erhalten. Doch aus ersterem ist längst eine unüberbrückbare Distanz geworden und letzteres erscheint mit jedem Tag illusorischer. Was also tun? Zum Beispiel gegen die Stille, die Abwesenheit anrufen, -schreiben, -klagen. Und sich an die Zeit erinnern, als die Stimme noch anderes konnte, durfte. Singen beispielsweise. Also eröffnet Hinrichs den mal wieder gemeinsam mit René Pollesch gestalteten Abend mit mantrahaften musikalischen Anrufen, unterstützt von zwei wunderbaren Chören, den African Voices Berlin und den Bulgarian Voices Berlin. „Ich war weg“ skandieren sie und schwanken ob der An- oder Abwesenheit der Maske. Macht sie das Gesicht schöner, weil symmetrischer oder hässlicher, weil weniger authentisch? Warten wir drinnen oder draußen vor der Tür und auf wen?

Um diese Fragen kreisen die anderthalb Stunden auf der weitgehend leeren Riesenbühne. Ein Nichts-Raum, der den Nicht-Dialog untermalt. Denn die Fragen nach nach dem Wohlergehen, die Aufforderung „Komm rein!“, sie alle gehen ins Leere. Da ist niemand, mehr oder vielleicht auch schon immer. Kein Selbstgespräch, sondern eines mit dem Nichts. Jemand ist gegangen oder nie gekommen, wartet immer und ewig auf der anderen Seite. „Wir können nicht mehr aufeinander zugehen“, sagt Hinrichs und meint sich, uns, die Welt. Die Pandemie als Symbol der Entfremdung, von sich selbst, den „anderen“, der Wirklichkeit, der Hoffnung. „Ich wache seit drei Jahren in einer neuen Welt auf und weiß nichts mehr“, spricht, nein schreit, schleudert er in die Leere. Zu uns, die wir Teil dieser Leere sind. „Ich bin so müde“ sagt, zerdehnt, dekonstruiert und baut er immer und immer wieder zusammen, ein obsessives Festhalten am nicht mehr Fühlbaren, an der Illusion seiner Wiederkehr. „Unsere Träume, unsere Wünsche unsere Vorstellungen funktionieren nicht mehr, weil sie sich nirgendwo verankern können.“ Als der Abend Premiere hatte, galt hier noch Maskenpflicht, jetzt blickt der Sprechende in allerlei schiefe Münder. Ist da jetzt mehr Leben im Raum, mehr Möglichkeit? Das gähnende, gleichgültige Riesenbühnenrund, das nichts sagt, ist, sein will, es ist die Wirklichkeit und die Zukunft.
Vielleicht. Denn da könnte ja noch Hoffnung sein. In Form einer silberglänzenden Rakete Bühne: Katrin Brack), die auf die Bühne herunterkommt. Hinrichs muss noch etwas holen und rauscht per quietschend rumpelndem Taxi davon. Als er zurückkommt, ist es zuspät, die Abreise erfolgt ohne ihn. Gerade noch hatte er mit den Chören gemeinsam „War“ gesungen und getanzt, jetzt ist der Ausweg verbaut, der Handlungsraum entleert. „Lass mich niicht zurück!“ ruft er, sich der Unmöglichkeit seines Wunsches bewusst. Und so igelt er sich ein, in seiner menschengroßen Walnussschale, die – metaphorisch – dieser Abend auch ist. Die Konfusion unserer Gegenwart, die Lähmung der sich potenzierenden Krisenhaftigkeit unserer Zeit „in a nutshell“.
Er dreht sich im Kreise, dieser Abend, um sich, uns, einander, die fehlende Mitte unserer Welt zwischen Krieg, Corona, Klimakrise. Der Ausweg ist Schein, die Rakete kehrt zurück, aber bleibt auf halber Höhe stecken. Hier geht es nicht raus. Oder rein, je nach Perspektive. Der Blick in den Sternenhimmel bleibt ohne Ergebnis, nur noch mehr nichts. Der Griff zur Gitarre ein Zeitvertreib. Oder noch ein Hoffnungsschimmer? Vielleicht liebt er nicht im Grübeln, sondern in der Kunst. Im Gesang oder im Tanz. Breakdancer der Flying Steps Academy kommen hinzu, lösen die Stimmung, bringen das Publikum zum Aufatmen. „Ich danke euch, dass ich euch einfach anschauen konnte“, sagt Hinrichs. Doch auch das nur ein Moment. „Wnn die Masken fallen, wird alles besser?“ Fragt er. Und am Schluss: „Komm, wir fahren ans mehr!“ Eine Ende? Eine Flucht? Oder nur eine Episode. Zum Schluss nach dem Schluss gibt es noch zwei Zugaben. Beide Chöre können zeigen, was sie draufhaben. Das begeistert, berührt und spendet doch etwas Wärme, überton Fabian Hinrichs Grundton der Verzweiflung. Wenn wir nichts mehr zu sagen haben, lasst uns singen. oder wieder hören lernen. Das mag zumindest mehr sein, als das, was an diesem Abend an jeder (nicht vorhandenen) Ecke drohte: Nichts.